Schwarze Melodie. Ditte Birkemose

Schwarze Melodie - Ditte Birkemose


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> Ditte Birke­mose

      1

      Der Sagasvej bildete den Rahmen um meine früheste Kindheit. Ich war blaß, schmächtig und die Kleinste in der Straße. Die großen Mädchen steckten mich oft in einen Puppenwagen und fuhren mich im Park Frederiksberg Have spazieren. Manchmal gingen wir auch ins Rathaus und drehten eine Runde mit dem Paternoster. Dabei hatte ich immer schreckliche Angst, weil man mitten in der Fahrt abspringen mußte.

      Mit sechs Jahren verliebte ich mich in einen Jungen, der Nils hieß. Es gab nur eins, was mir an ihm nicht gefiel: daß er mit den Pferdeäpfeln spielte, die die Pferde des Müllkutschers auf der Straße verloren. Deshalb schickte ich ihn vor dem Händchenhalten immer zuerst zum Waschen. Nils liebte zwei Dinge auf dieser Welt: die Pferde des Müllkutschers und mich.

      Damals war es mein größter Ehrgeiz, tüchtig im Krabbenpulen zu werden. So tüchtig wie eine von den Großen und ihre Mutter. Schon in ihrem Treppenhaus konnte man die Krabben riechen. Jeden Nachmittag ging ich mit ihnen zum Fischhändler im Gammel Kongevej, wo sie zwei große Tüten mit gepulten Krabben ablieferten.

      Ich vergaß Nils, und ich vergaß auch meinen Traum vom Krabbenpulen.

      Es nieselt, der Himmel ist fast wie selbstverständlich oder unwiderruflich blaßgrau. Ich trete einen Schritt zurück, betrachte das Schild: Kit Sorél, Privatdetektivin. Mein Name steht in Weiß auf der schwarzen Platte.

      Ich bin jetzt in dem Alter, in dem eine vernünftige Frau ihre Träume in die Tat umsetzt. Ich bin fünfundvierzig und habe soeben meinen ersten großen Fall abgeschlossen.

      Auf der Straße, vor meinem Büro, steht ein leuchtendroter Renault. Das ist mein Wagen, und er trägt zur Hälfte die Schuld daran, daß ich hier sitze. Ich habe ihn vor etwas über einem Jahr bei einem Waschmittelpreisausschreiben gewonnen. Das Problem war nur, daß ich keinen Führerschein besaß. Deshalb wollte ich das rote Wunder eigentlich verkaufen. Aber als ich dann in dem duftenden neuen Auto hinter dem Lenkrad saß, war ich verloren. Ich erkannte, daß ich schon längst davon geträumt hatte, fahren zu lernen, und nun bot sich mir die Gelegenheit. Nach kurzem Überlegen rief ich bei einer Fahrschule an, machte einen Termin ab und wäre angesichts der Preise fast in Ohnmacht gefallen. Aber in der Not frißt der Teufel Fliegen, und um die Fahrstunden zu finanzieren, vermietete ich den Wagen an den Wochenenden.

      Als ich endlich den Führerschein hatte und den Fuß auf mein eigenes Gaspedal stellen konnte, tauchte in mir ein neuer Traum auf: Ich wollte eine Detektei aufmachen.

      Als drei Jahre zuvor mein Sohn Benjamin von zu Hause ausgezogen war, hatte ich mein Reihenhaus in Galgebakken gegen eine kleine Zweizimmerwohnung im Wilkensvej in Frederiksberg eingetauscht. Ich hatte das erste Examen in Theologie abgelegt und brauchte nun eine Pause, was Griechisch und Hebräisch betraf.

      Ich bin ausgebildete Krankenschwester, außerdem halbe Theologin, und aus irgendeinem Grund fand ich es nur natürlich, nun als Privatdetektivin mein Glück zu versuchen. Die Wege des Schicksals sind nun einmal unergründlich...

      Meine schönen Pläne wurden dann aber durch einen Krankenhausaufenthalt durchkreuzt. Miriam, meine Ärztin, hatte in meinem Unterleib einen Knoten von der Größe einer Avocado festgestellt. Nach einer längeren Diskussion mit dem Oberarzt, der mir riet, die Gebärmutter entfernen zu lassen, ließ ich mich einweisen. Allerdings unter der Bedingung, daß sie die Finger von meiner Gebärmutter ließen, so lange das noch zu verantworten war, und so geschah es dann auch.

      Im Krankenhaus kam ich ins Gespräch mit einer Schwester, die einige Jahre in Tansania gearbeitet hatte. Sie hatte ihren jetzigen Job satt und sehnte sich zurück nach Afrika. Halb aus Jux weihte ich sie in meinen Plan ein, eine Detektei aufzumachen.

      »Du solltest dir ein Beispiel an meiner Schwester nehmen«, sagte sie. »Und Starthilfe beantragen. Sie hat ein Sonnenstudio aufgemacht, und das läuft wie geschmiert.«

      »Was ist denn Starthilfe?« fragte ich, und sie erklärte mir alles.

      »Aber du mußt seit mindestens fünf Monaten arbeitslos sein«, sagte sie schließlich und schlug meine Decke beiseite.

      Das ist doch geradezu perfekt, dachte ich und spürte einen Stich im Oberschenkel. Als ich mich von der Universität beurlauben ließ, hatte ich mich bei der Studiendarlehenskasse gemeldet. Zwischendurch hatte ich zwar Konfirmationsunterricht gegeben, aber wenn ich das richtig verstand, war ich trotzdem seit mindestens fünf Monaten arbeitslos.

      Hin und weg von meinen Plänen und reichlich benebelt von der Beruhigungsspritze wurde ich zum OP gefahren. Mein letzter Gedanke, ehe ich in die Narkose entschwebte, galt der Telefonnummer der Darlehenskasse.

      Als ich erwachte, stand mein Bett in einem Sechs-Personen-Zimmer mit blauen Wänden und weißen Vorhängen. In diesem Zimmer lernte ich Kamma kennen, eine Person, die für mich noch sehr wichtig werden sollte.

      Kamma ist eine ausgesprochen wohlhabende Frau von zweiundsiebzig, die – zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes – »nun endlich ihre Lebensfreude gefunden hat«, wie sie das ausdrückt.

      Da sie jeden Monat dreißigtausend Kronen Steuern bezahlt, wollte sie partout nicht in einer Privatklinik behandelt werden. »Für meine Steuern will ich schließlich was haben«, wie sie sehr vernünftig sagte.

      Kamma war die Gebärmutter entfernt worden, und der Arzt hatte ihr davon abgeraten, Hormonpräparaten einzunehmen.

      »Kann das Auswirkungen auf mein Sexualleben haben? Verliere ich dann vielleicht alle Lust?« fragte sie bei der Visite.

      »Kann schon sein«, sagte der Arzt und rückte seine Brille gerade.

      »Ja, ja«, seufzte Kamma, ihr Liebhaber ist fünfzig und Philosoph. »Dann muß ich mich wohl mit der Philosophie begnügen.« Kammas guter Freund Carl, der ehemalige Chauffeur ihres Mannes, besuchte sie oft und brachte dann fast immer Wein mit. Deshalb wurde abends auf unserem Zimmer ausgiebig gefeiert. Wir saßen in scheußlichen Morgenrökken da und berauschten uns an Konfekt, Zoten und Wein.

      Eines Abends erzählte ich Kamma von meinen Plänen, und sie war sofort Feuer und Flamme. »Ich habe ein Haus in der Smallegade«, sagte sie. »Da wird nächsten Monat ein kleines Büro frei. Das kannst du mieten.«

      Vorsichtig erkundigte ich mich nach dem Preis, aber davon wollte Kamma nichts hören. »Da werden wir uns schon einig«, sagte sie. »Wenn du mir alles über deine spannenden Fälle erzählst, dann kriegst du’s billig.« Und dabei blieb es.

      Einen Monat nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus war ich vollauf damit beschäftigt, mein neues Büro in der Smallegade 52 b einzurichten.

      Es bestand aus einem Zimmer von zwanzig Quadratmetern, einer besenkammergroßen Kochnische und einer Toilette im Treppenhaus.

      Die Wände strich ich weiß an, die Möbel, ein großer alter Schreibtisch, einige Regale und zwei Stühle, wurden blau. Als einziges Dekorationsstück hängte ich ein großes Kandinsky-Plakat an eine Wand.

      Es war ganz schön viel Arbeit. Ich hatte mich noch nicht so recht von der Operation erholt, und deshalb fiel ich abends ins Bett, sowie ich wieder in meiner Wohnung im Wilkensvej angekommen war. Und ich pries mich glücklich, weil ich nur für mich selber sorgen mußte.

      Was das andere Geschlecht angeht, so lege ich gerade eine Pause ein. Dabei habe ich gar nichts gegen Männer. Wenn ich eine Beziehung habe, geht mir nicht der Mann auf die Nerven, sondern ich. Wenn ich einen Freund habe, besetzt er sofort achtzig Prozent meiner gedanklichen Tätigkeit, und ich habe den Eindruck, daß ich nicht die einzige Frau bin, die diesen Fehler macht.

      Nach meiner Scheidung von Benjamins Vater Paul hatte ich das, was ich meine internationale Periode nenne.

      Ich war mit einem niederländischen Journalisten zusammen, mit Jaap aus Utrecht. Während Benjamin mit Paul auf Bornholm Ferien machte, verbrachten Jaap und ich zwei Monate in Portugal. Es war die Zeit der Nelkenrevolution, und Jaap interviewte Bauern aus den verschiedenen Agrarkommunen und Offiziere aus der Armee. Durch die portugiesischen Kolonialkriege hatten etliche Söhne des Proletariats zu Offiziersrängen aufsteigen können. Und diese Söhne führten nun die Revolution an. Abends tranken wir über einer Gasflamme temperierten Portwein und


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