Schwarze Melodie. Ditte Birkemose

Schwarze Melodie - Ditte Birkemose


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eine kleine Stadt, Valença, die dicht vor der spanischen Grenze lag. Wir wohnten in einem großen alten, ein wenig abseits gelegenen Hotel, wo die Kellner lautlos in weißen Jacken und weißen Hemden umherliefen und aussahen, als ob sie vornehme Gäste erwarteten. Die Atmosphäre dort war wie ein Hauch aus einer verschwundenen Zeit.

      Zusammen mit drei Schwarzen waren wir die einzigen Gäste im Hotel. Einer der Schwarzen saß jeden Morgen auf der im Flur gelegenen Toilette und blies Rauchwolken durch das Schlüsselloch. Den tieferen Sinn dieser Aktion konnten wir nie in Erfahrung bringen, auf jeden Fall roch das Treppenhaus nach jedem seiner Toilettenbesuche nach verbranntem Papier.

      Eines Abends spät fuhren zwei Rolls-Royce vor dem Hotel vor. Die Privatchauffeure öffneten die Türen, und lauter elegant gekleidete ältere Menschen, die meisten waren mindestens achtzig, quollen heraus und setzten sich an die Tische auf der Terrasse. Die Kellner servierten Krebse und Champagner, und das Festmahl dauerte bis in den frühen Morgen.

      In diesem Hotel mit Kronleuchtern und goldgerahmten Spiegeln machte Jaap mir am Tag vor unserer Weiterfahrt nach Lissabon einen Heiratsantrag.

      Wir waren einige Jahre zusammen, aber wir haben nie geheiratet. Ich fand es kompliziert, einen Freund zu haben, der in den Niederlanden wohnte.

      Danach lernte ich Giannis kennen, einen griechischen Kapitän von Volos. Neun Monate pro Jahr fuhr er Korn von Brasilien in die Sowjetunion, mit einem griechischen Schiff, das in Panama registriert war. Während der drei Sommermonate segelte er dann mit seinem eigenen Schiff durch die Ägäis, manchmal waren auch ich und Benjamin dabei.

      Ich erinnere mich an Sommerabende in einer Taverne, an Zikaden, Ouzo und Benjamin, der am Strand spielt.

      Giannis war Mitglied der Pasok, er war fortschrittlich eingestellt, aber er war nun einmal ein Grieche. Eines Tages kam er vom Einkaufen zurück und feuerte wutschnaubend sein Einkaufsnetz in die Ecke. Die Frauen im Laden hatten sich über ihn lustig gemacht, weil er einkaufte und nicht ich. Von nun an übernahm ich den täglichen Einkauf. Ich hatte ein wenig Griechisch für den Hausgebrauch gelernt. Lange Zeit bat ich beim Metzger um »schlafendes Rindfleisch«. »Gehackt« und »schlafend« hören sich auf Griechisch ziemlich ähnlich an.

      Damals gab es bei den Griechen den Begriff »rent a boy«. Es ging dabei um Griechen, vor allem um Kellner, die ein Verhältnis mit einer Ausländerin hatten. Angeblich ließen diese Männer sich für ihre Dienste bezahlen. Giannis und mir wurde deshalb, vor allem auf den kleineren Inseln, oft Verachtung entgegengebracht. Das quälte Giannis, und als wir uns einige Jahren kannten, verlangte er von mir, daß ich nach Griechenland übersiedelte. Vermutlich war das ein verzweifelter Versuch, unsere Beziehung legitim zu machen. Ich dagegen wollte nicht neun Monate im Jahr neben seinen Eltern auf Volos leben. Und um nichts in der Welt sollte Benjamin in Griechenland als »uneheliches Kind« aufwachsen.

      Mein nächster Freund war Flip aus Belgien. Ein Jazzmusiker, der außerdem zusammen mit seinem Vater und seinem Onkel ein Reisebüro betrieb. Er wohnte in einem großen Haus in Löwen, und es war sein Ehrgeiz, aus mir eine gute Tennisspielerin zu machen. Unmittelbar vor unserer Abreise nach Bangkok, wo wir verschiedene Restaurants testen sollten, gerieten wir aneinander. Flip hatte soeben die Verträge mit zwei Hotels in Österreich gekündigt, weil dort auch Behinderte aufgenommen wurden. Das führte zu einem heftigen Streit zwischen uns, und wir einigten uns dahingehend, daß wir doch zu unterschiedlich seien.

      Benjamin, der sich auf Bangkok gefreut hatte, war mit einer Angel und Campingferien in Schweden ebenso zufrieden. Ich war in diesem Urlaub vor allem damit beschäftigt, mich mit Mückencreme einzuschmieren und mich zu fragen, warum ich mir immer Freunde suchte, die so weit weg von mir wohnten wie möglich.

      Zwei Jahr später gingen wir nach Tansania, dort arbeitete ich in Arusha als Krankenschwester. Benjamin lernte fließend Swahili und freundete sich innig mit unserem Wärter Jumapili an, der jeden Abend mit seinem Speer vor unserer Veranda saß. Er war ein Sonntagskind, und darauf war er stolz. Jumapili bedeutet Sonntag.

      Jumapili war ein alter zahnloser, aber dennoch respekteinflößender Massai. Er nannte Benjamin »Kijani«, das bedeutet Jugendlicher. Und wir lernten, daß »jani« die Farbe des frischen Grases bezeichnet. »Majani« ist neues Gras, und deshalb heißen Jugendliche »Kijani«.

      Wir verbrachten zwei unvergeßliche Jahre in Afrika.

      Zur Zeit ist Benjamin der einzige Mann in meinem Leben. Er ist jetzt dreiundzwanzig, studiert Literaturwissenschaft und wohnt in Kongedybet.

      Als Kind habe ich »Försters Pucki« gelesen, und viele Jahre lang träumte ich davon, später einen Oberförster zu heiraten. Mit fünfundzwanzig setzte ich einen Teil dieses Traumes in die Tat um: Ich heiratete, im Laufe der Zeit sogar zweimal. Ein Oberförster war leider nicht unter meinen Ehemännern.

      Zwei Tage bevor ich mit der Einrichtung meines Büros fertig war, kam ein Brief vom DDV. Nach schriftlichem Antrag und persönlichem Gespräch war ich in den Dänischen Detektivverband aufgenommen worden.

      Danach gab ich in verschiedenen Tageszeitungen eine Anzeige auf: Kit Sorél, vom DDV anerkannte Privatdetektivin. Korrekte und solide Ermittlungen jeder Art.

      Am ersten Tag herrschte strahlender Sonnenschein. Der Himmel hatte die gleiche Farbe wie die kleinen Blüten des Bitterwurz, den ich auf die Fensterbank gestellt hatte. Wochenlang hatten wir nur Regen und Schneematsch gesehen, deshalb erschien der Sonnenschein mir als gutes Omen.

      Ich saß hinter meinem frischgestrichenen Schreibtisch, schaute das Telefon an und wartete.

      Um halb zwölf schaltete ich den Anrufbeantworter ein, hängte ein Schild vor die Tür, ging ins Café Sokkelund und genehmigte mir ein Chili con carne.

      Das Café war nicht sonderlich gut besucht. Eine junge Frau in engsitzenden schwarzen Leggings und brauner Lederjacke stand vor dem Tresen, rauchte eine Zigarette und plauderte mit dem Barmann. Ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, daß sie sich für ihn interessierte. Seine Miene dagegen war recht professionell.

      Ich setzte mich an einen Fenstertisch, schaute hinaus und war ein bißchen niedergeschlagen. Natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, daß das Telefon heißlaufen würde, aber einen oder zwei Anrufe hatte ich schon erwartet.

      Sich selbständig zu machen, bedeutet, ins kalte Wasser zu springen, man weiß nicht, was der nächste Tag bringen wird. Ich habe eine Bekannte, Karen, die Analytikerin ist. In ihrem ersten Berufsjahr hatte sie vergessen, daß die Leute während der Sommerferien in ferne Gegenden reisen. Deshalb saß sie mit einem leeren Terminkalender und mieser Finanzlage da und machte während der Sommerferien unfreiwillig Urlaub. Aber sie hat es ja schließlich auch mit heiler Haut überlebt, dachte ich, kratzte meinen Teller leer, ließ mich im Sessel zurücksinken und schaute mich im Café um. Ich hatte Aussicht auf ein großes Gauguin-Plakat. Vier Frauen, eine mit Strohhut, hielten auf einer Veranda Siesta. Die frohen Farben und die heitere Gelassenheit in ihren Gesichtern zeigten mir, wie sehr diese Frauen in sich ruhten, und das erweckte in mir plötzlich einen ziemlichen Optimismus. Vielleicht wußte das außer mir noch niemand, und meine potentiellen Klienten schon gar nicht, aber ich war auf dem richtigen Weg. Ich erhob mich, erfüllt von den besten Erwartungen.

      Der junge Blonde hinter dem Tresen nickte und lächelte.

      »Bis bald«, sagte er.

      »Ja«, antwortete ich und stieß die Tür auf. »Bis bald.«

      Im vergangenen Monat hatte ich fast täglich im Sokkelund eine warme Mahlzeit zu mir genommen. Es kostet nicht allzu viel, und während ich mein Büro einrichtete, war das eine praktische Lösung.

      Auf der Straße entdeckte ich sie dann. Ihre knallrosa Baskenmütze belebte das Straßenbild. Sie trug einen grauen Herrenmantel mit hochgeklapptem Kragen und einem Ledergürtel. Sie stand tatsächlich vor meiner Bürotür und wartete auf mich.

      Ich ging schneller und konnte sie noch erreichen, ehe sie sich die Sache anders überlegte.

      »Warten Sie vielleicht auf mich?« fragte ich, während ich in meiner Tasche nach den Schlüsseln wühlte. Sie nickte und blickte mich leicht verlegen an.

      Ich


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