Schwarze Melodie. Ditte Birkemose

Schwarze Melodie - Ditte Birkemose


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schwiegen wir. Dann erlangte ich meine Fassung wieder und beschloß, meine Taktik zu ändern.

      »Laura hat mir ja immer schon gefallen«, sagte ich mit sanfter Stimme. »Sie ist so lieb und vernünftig.«

      »Das brauchst du mir nicht zu erzählen«, meinte er trocken.

      »Aber kannst du nicht einsehen, daß sie recht hat?« Ich nahm meine Ohrclips ab. »Es liegt doch auf der Hand, daß...«

      »Also wirklich«, fiel er mir ins Wort. »Es ist schon spät, und ich bin müde. Wenn du mir sonst nichts Wichtiges mehr zu sagen hast...«

      »Nein«, antwortete ich kleinlaut. »Das habe ich eigentlich nicht...«

      Danach blieb ich noch lange sitzen und bereute diesen Anruf bitterlich. Du meine Güte – ich schüttelte den Kopf und streifte meine Schuhe ab.

      Ich brauchte eine Dusche.

      Unter dem heißen Strahl zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie ich meinen Auftrag in Århus ausführen sollte. Ich kicherte, als ich mir vorstellte, wie ich mich mit dunkler Sonnenbrille, einem in einer Baguette versteckten Mobiltelefon und einer Kamera in der Tasche durch die Straßen schlich. Worauf hatte ich mich nur eingelassen? Auf eine Welt der Paranoia?

      Ich putzte mir die Zähne, und obwohl ich mich dagegen wehrte, mußte ich immer wieder an Benjamin denken. Es ist schwer, die Kinder loszulassen, man weiß nie, ob die besten Absichten nicht genau das Falsche sind. Als Benjamin von zu Hause ausgezogen war, habe ich ihn ein halbes Jahr lang jeden Morgen um neun angerufen. Ich wollte nicht, daß er zu spät zu seinen Vorlesungen kam. Aber in einem lichten Moment konnte ich in die Zukunft schauen und sehen, wie ich als Fünfundsechzigjährige meinen dreiundvierzigjährigen Sohn mit Telefonterror quälte. Es hatte mir große Mühe und viel Kummer bereitet, mit diesem Muster zu brechen.

      Nach der Dusche war ich schläfrig und beschloß, mit einer Tasse heißem Kakao ins Bett zu gehen. Vielleicht würde ich noch ein wenig lesen oder mein Vorgehen in Århus planen. Es war halb eins.

      Ich stand am Herd und machte Milch heiß, als ich auf der Hintertreppe ein Geräusch hörte. Ich hielt den Atem an, nahm den Kochtopf von der Platte, stand lautlos da und horchte. Es war still. Doch auf einmal erstarrte ich und blickte die Tür an. Die Klinke bewegte sich, irgendwer versuchte, hereinzukommen. Jemand drückte gegen die Tür, erst vorsichtig, dann energischer. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.

      »Wer ist da?« Meine Stimme war ganz tief vor Angst. Einen Moment lang war alles ruhig. Auf einmal wurde heftig gegen die Tür gehämmert. Ich fuhr zusammen, ging rückwärts aus der Küche ins Wohnzimmer, griff zum Telefon und wählte die Nummer der Fredriksberger Polizei.

      Der diensthabende Beamte beruhigte mich.

      »Wir sind in fünf Minuten bei Ihnen«, sagte er.

      Vorsichtig legte ich auf und schlich mich in den Flur, wo ich in sicherer Nähe der Wohnungstür stehen blieb. Und dann hörte ich Es. Ich hielt den Atem an, beugte mich vor und starrte in die Küche. Irgendwo hinter der Küchentür erscholl ein tiefes dunkles Lachen.

      Ich stand wie angenagelt da und hatte jegliches Zeitgefühl verloren, als bei mir geklingelt wurde.

      Es war die Polizei, wie mir durch die Gegensprechanlage mitgeteilt wurde.

      Der junge Beamte hörte sich meinen Bericht mit ernster Miene an.

      »Es muß jemand aus dem Haus sein«, sagte ich und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. »Man braucht doch einen Schlüssel für den Durchgang zum Hof, und die Haustür ist immer abgeschlossen.«

      »Ein Schlüssel ist leicht besorgt«, meinte der Beamte. »Das ist nun wirklich kein Problem.«

      Ich bekam eine Gänsehaut. »Vielleicht wollte mir jemand einen Schrecken einjagen?« fragte ich und blickte ihn forschend an. Er hatte blonde, fast gelbe Haare, farblose Augenbrauen und blaue Augen.

      »Vielleicht«, er runzelte die Stirn. »Auf jeden Fall ist es ein bedrohliches Verhalten. Er wollte Sie offenbar auf seine Anwesenheit aufmerksam machen...« Er dachte kurz nach, strich sich mit dem Finger über den Nasenrücken und sagte dann: »Wissen Sie, wer das gewesen sein könnte, ein ehemaliger Liebhaber oder...«

      »Ganz und gar nicht«, fiel ich ihm ins Wort und mußte unwillkürlich lächeln. Die Vorstellung, daß ein Verflossener sich damit amüsierte, mitten in der Nacht an meine Küchentür zu hämmern, war einfach absurd. »Also, hören Sie«, er ging zur Tür, öffnete sie und drehte sich zu mir um. »Ich sehe mir mal die Treppe an, danach drehe ich eine Runde auf dem Hof«, teilte er mit leiser Stimme mit.

      Ich nickte erleichtert und schloß hinter ihm die Tür. Dann hörte ich ein leises Klatschen, so, als sei irgend etwas auf den Boden gefallen, und ich dachte, daß er sicher über die Schuhe gestolpert war, die immer unten auf dem Treppenabsatz standen. Die Haustür fiel ins Schloß.

      Ich beugte mich über den Küchentisch und schaute aus dem Fenster. Er lief mit einer Taschenlampe in der Hand hin und her und leuchtete in die Büsche.

      Ich nahm mir eine Mentholzigarette und wartete. Das Licht seiner Taschenlampe streifte noch zweimal über den Hof.

      Nachdem ich die Zigarette geraucht hatte, schaute ich auf die Uhr. Es waren mehr als zehn Minuten vergangen.

      Als ich mich aufrichtete, klingelte das Telefon. Ich stürzte hin und riß den Hörer hoch.

      »Hier ist die Polizeistelle Fredriksberg«, sagte eine kühle Frauenstimme. »Wir haben einen Streifenwagen zu ihrer Adresse im Wilkensvej geschickt.«

      »Ja, richtig«, antwortete ich. »Der ist auch gekommen.«

      Eine kurze Pause folgte.

      »Der Kollege ist auf Ihrem Hof eingeschlossen.«

      »Was?«

      »Der Kollege ist auf Ihrem Hof eingeschlossen«, wiederholte die Frau. »Würden Sie ihn bitte hinauslassen?«

      »Himmel!« Ich knallte den Hörer auf die Gabel, stürzte die Hintertreppe hinunter und öffnete die Tür.

      »Das Tor war abgeschlossen«, erklärte der Polizist mit dämlicher Miene.

      »Das ist es immer«, sagte ich.

      »Ich habe versucht, Ihr Fenster anzuleuchten.«

      »Ja, das habe ich gesehen, aber ich konnte doch nicht ahnen...«

      Er starrte mich an.

      Ich schüttelte den Kopf und legte die Hand auf seinen Arm. »Sie müssen schon entschuldigen.«

      Er lächelte verkrampft, zog seinen Arm zurück und konnte seine Gereiztheit nur mit Mühe verstecken.

      Als er gegangen war, kochte ich Kakao und zwang mich dazu, diese unangenehme Episode zu verdrängen. Sicher waren es ein paar große Bengel gewesen, die es witzig fanden, anderen einen Schrecken einzujagen. Es war schon fast zwei Uhr, und um ganz bestimmt rechtzeitig aufzuwachen, bestellte ich einen telefonischen Weckruf.

      Ich trat ans Fenster und blickte nach unten. Eine Katze lief über die Straße, sonst war alles verlassen. Ich schüttelte mich und gähnte. Hinter einem der Fenster im Haus gegenüber sah ich blauweißes Fernsehflimmern.

      Ich konnte nicht einschlafen und wälzte mich von einer Seite auf die andere, während meine Gedanken hin und her flogen. Ich zerbrach mir noch immer den Kopf über diese ganze Geschichte mit Benjamin. In diesem Moment fehlte mir zwar nicht Benjamins biologischer Vater, aber dennoch ein Mann, der meinen Sohn kannte, und mit dem ich meine Sorgen teilen konnte.

      Ich spielte kurz mit dem Gedanken, Benjamins Vater Paul anzurufen. Vor zwei Jahren hatte er eine Frau in Benjamins Alter geheiratet, die jedoch, was ihre geistige Entwicklung angeht, viel jünger wirkt. Ich nenne sie immer »das kleine Echo«, weil sie häufig und mit großem Enthusiasmus wiederholt, was Paul gerade gesagt hat. Aber das zahlt sich aus. Sie haben ihre Hochzeit in Slagelse groß gefeiert, und viele Gäste hielten Benjamin irrtümlicherweise für den Bruder der Braut.

      Unmittelbar


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