Schwarze Melodie. Ditte Birkemose
ihr Zeigefingernagel vom Nikotin gelb verfärbt war.
»Verzeihung«, sagte ich und blickte sie voller Bedauern an. »Jetzt schalte ich den Anrufbeantworter ein.« Ich drückte Däumchen, daß niemand anrief.
»Macht doch nichts«, sie lächelte, und zum ersten Mal sah ihr Gesicht einigermaßen entspannt aus.
»Also, hören Sie«, ich fuhr mit der Hand über meinen Notizblock. »Eigentlich haben Sie doch selber schon ziemlich viel herausgefunden. Ich weiß wirklich nicht, ob Sie mich überhaupt brauchen. Ich nehme dreihundert Kronen pro Stunde...«
»Ich möchte, daß sie hinfahren«, sie blickte mich ganz entschieden an. »Der Preis ist nicht so wichtig«, sie zog heftig an ihrer Zigarette. »Er will mit mir zusammen ein Haus bei Brabrand kaufen... meine Mutter soll für das Darlehen bürgen.«
»Ach was«, ich hob die Augenbrauen. »Ist er finanziell nicht abgesichert?«
»Vielleicht nicht.«
»Hat er Sie schon häufiger angepumpt?«
»Ich bin Grundschullehrerin, ich schwimme also nicht gerade im Geld...«
»Also hat er Sie angepumpt?«
Ihre Wangen liefen blutrot an. Sie nickte beschämt.
Vor meinem inneren Auge zeichnete sich ein Bild von ihm ab. Ein ungeheuer charmanter cholerischer Kleinpsychopath.
»Sie haben gesagt, er sei sehr eifersüchtig?« fragte ich.
»Entsetzlich«, sie runzelte die Stirn. »Ein Elternabend in der Schule reicht schon aus... dann hält er mich die ganze Nacht hindurch wach.« Sie schüttelte den Kopf.
»Wissen Sie noch, was wir als Kinder gesagt haben?« Ich beugte mich vor, sah sie an und sagte langsam: »Was man anderen in die Schuhe schiebt, hat man selber getan.« Ich setzte mich wieder aufrecht hin. »Vielleicht ist er deshalb so eifersüchtig.«
»Ja«, flüsterte sie, ihre Augen wurden feucht, und ihr rechter Mundwinkel fing ganz leicht an zu zittern.
»Kommt es oft vor, daß er Sie nachts weckt?« fragte ich und registrierte, daß sie nun ganz blaß war.
»Fast jede Nacht.«
»Es ist nicht gesund, aus dem Schlaf gerissen zu werden«, ich wurde langsam wütend. »Das würde doch wirklich alle mißtrauisch machen.«
»Ich weiß nicht mehr weiter«, sagte sie. »Ab und zu wünschte ich, ich könnte einfach alles hinschmeißen...«
Sie sagte das sehr ernst, und ich dachte, es sei sicher höchste Zeit, daß sie zu mir gekommen war.
»Das ist wie beim Karussellfahren«, sagte ich leise. »Alles bewegt sich die ganze Zeit.«
»Ja«, sie blickte mich leicht verwundert an. »Genau so ist es.«
Dann schwiegen wir wieder eine Weile. »Sie könnten noch eins machen«, regte ich dann an. »Wenn bei ihm besetzt ist, dann rufen Sie einen Kurierdienst an und lassen ihm eine wichtige Nachricht übermitteln: Er soll Sie sofort anrufen. Wenn Sie nichts von ihm hören, dann rufen Sie den Kurierdienst noch einmal an und fragen, ob der Kurier ihm Ihre Nachricht persönlich überreicht oder sie einfach vor die Tür gelegt hat.«
»Geht das denn?« fragte sie.
»Ja, sicher. Das kostet zwar einiges, aber es ist doch viel billiger, als mich nach Århus zu schicken.«
Sie überlegte sich meinen Vorschlag eine Weile. Dann schüttelte sie den Kopf. »Mir wäre es lieber, wenn Sie hinfahren«, sagte sie.
»Gut«, ich öffnete die Schublade und nahm meinen Rechnungsblock heraus.
Geld stellt schließlich auch eine gewisse Energiemenge dar. Ich sah das so: Sie wollte ihre Energie lieber in eine endgültige Klärung und eine Trennung investieren, als sich von verwirrenden Überlegungen erschöpfen zu lassen. Auch das war ein Ausweg aus ihrer mißlichen Lage.
»Wenn ich ihn in Århus überwachen soll, dann müssen Sie mir einen Vorschuß von fünftausend Kronen zahlen. Den Rest, Spesen und Mehrwertsteuer, können wir später abrechnen, wenn klar ist, wie lange ich für den Fall brauche. Und es kostet dreihundert Kronen pro Stunde.« Ich blickte sie fragend an.
»Das geht in Ordnung«, sie war nicht im geringsten überrascht. »Wollen Sie das Geld sofort?«
»Das wäre eine gute Idee«, antwortete ich. »Aber Sie sollten sich vielleicht noch überlegen, wann ich am besten hinfahre.« Ich lächelte und fügte hinzu: »Wir wollen ja schließlich ein Ergebnis unserer Bemühungen sehen.«
Sie nickte.
»Vielleicht wollen Sie noch warten?« schlug ich vor. »Sie können mir doch morgen noch Bescheid geben.«
»Nein«, sie räusperte sich und setzte sich gerade. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Ich möchte, daß Sie am Sonntag nach Århus fahren.«
»Am kommenden Sonntag?«
»Ja, ich habe so ein Gefühl... in der Regel passiert es sonntags«, sie senkte ihre Stimme und blickte mich unsicher an. »Läßt sich das wohl machen?«
»Aber sicher«, antwortete ich und schminkte mir mein gewohntes Sonntagsessen mit Benjamin ab. »Dann werde ich heute noch den Flug buchen.«
»Aber...«, sie öffnete ihre Tasche.
Ich hatte einen Scheck erwartet, und deshalb blickte ich sie überrascht an, als sie ein Bündel Banknoten aus ihrer Tasche zog. Sie zählte das Geld, reichte es mir und sagte in nüchternem Tonfall: »Das müßten fünftausend sein.«
Als ich ihr eine Quittung ausgestellt hatte, sah sie mich mit ganz anderem Gesichtsausdruck an.
»Das war eine gute Entscheidung«, sie spielte kurz mit der Quittung. »Sie haben ja keine Ahnung, wie erleichtert ich bin.« Dann faltete sie die Quittung sorgfältig zusammen und steckte sie in ihr Portemonnaie.
»Doch, ich glaube schon«, antwortete ich lächelnd. »Aber jetzt geben Sie mir seine Adresse. Und ich brauche auch ein Foto, falls Sie eins haben.«
Tine Juul war auf alles vorbereitet, sie zog nicht weniger als drei Bilder aus der Tasche und reichte sie mir.
Wie ich vermutet hatte, handelte es sich um einen wirklich attraktiven Mann. Um einen, der die Wünsche vieler Frauen erfüllen kann, und in dessen Umarmung wir uns zwar geborgen fühlen, aber doch nie wirklich geborgen sind. Er war kräftig und natürlich groß, hatte dunkle Locken, braune Augen und ein Grübchen im Kinn.
»Wie groß ist er?« fragte ich.
»Ach... einsfünfundachtzig, nehme ich an... vielleicht etwas größer.«
»Groß also«, sagte ich und notierte das auf meinem Block.
»Ja«, sie schloß einige Sekunden lang die Augen. Dann fuhr sie sich mit den Fingern durch die Haare und lehnte sich zurück.
»Jetzt denken Sie gut nach, ehe Sie antworten. Gibt es irgendwelche Frauen, die wir als legal betrachten können, und mit denen er sich häufiger trifft? Familienmitglieder, vielleicht eine Schwester oder eine erwachsene Tochter?«
»Nein, er hat keine Kinder, und seine Verwandtschaft wohnt in Holbæk.«
»Aha.«
Wir machten einen neuen Termin aus und verabschiedeten uns. Als sie mir die Hand reichte, merkte ich, wie heiß und weich ihre war. Bei ihrem Eintreffen war das einwandfrei nicht der Fall gewesen.«
Nachdem sie gegangen war, starrte ich einige Minuten lang das Geld an, das noch immer vor mir auf dem Tisch lag. Fünftausend gute dänische Kronen.
Ich nahm mir eine Zigarre und ließ mich zufrieden im Sessel zurücksinken. Dann rief ich zuerst bei der SAS an, um einen Flug nach Tistrup zu buchen, danach bestellte ich bei Hertz einen Wagen. Nach kurzem Überlegen entschloß ich mich für ein Zimmer in Jørgensens Hotel. Das ist billig und einigermaßen zentral gelegen.