Schwarze Melodie. Ditte Birkemose
Mein Blick blieb am Gesicht von Tine Juuls Liebhaber haften. Søren Gregersen. Ich steckte die drei Fotos zusammen mit meinen Notizen in einen Ordner.
Es war inzwischen fünf Uhr nachmittags, es hatte niemand mehr angerufen, und Kit Soréls Detektei machte Feierabend.
Auf dem Heimweg wollte ich einkaufen, und ich beschloß, mir zur Feier des Tages eine Flasche Wein, Käse und italienisches Brot zu gönnen. Deshalb stellte ich meinen roten Renault vor dem Supermarkt Irma im Finsensvej ab.
Zu den wunderbaren Vorteilen von Autobesitzern gehört, daß sie keine schweren Einkaufstüten mehr schleppen brauchen. Als Benjamin noch klein war, kam es täglich vor, daß der Bus uns vor der Nase davonfuhr, wenn wir keuchend und hoffnungsvoll bei der Haltestelle ankamen. Ich mit Benjamin an der einen und drei Einkaufstüten in der anderen Hand.
Der Laden war halbleer. Ich blieb vor dem Gemüseregal stehen, erlag der Versuchung und legte eine Pakkung Sternfrüchte in meinen Korb. Es gab Wein im Angebot. Drei Flaschen Siglo für hundert Kronen.
Ich muß beim Einkaufen wirklich nicht die ganz großen Erlebnisse haben. Ich gehe nicht nach der Ladeneinrichtung, sondern nach den Preisen, deshalb kaufe ich oft in den billigsten Supermärkten ein. Auf diese Weise spare ich pro Jahr an die zweitausend Kronen, und die investiere ich in eine Reise nach Rom. Vielleicht höre ich mich jetzt an wie ein Geizkragen, aber um meine Träume zu erfüllen, soweit das überhaupt möglich ist, habe ich in den letzten Jahren etwas eingeführt, was ich als alternative Ökonomie bezeichne.
Die Spätnachmittagssonne tauchte die roten Ziegelhäuser des Wilkensvej in ihr goldenes Licht. Es war Ende März, und ich spürte den Frühling in der Luft. Im Lindevangspark war allerhand los. Hunde und Kinder wurden ausgeführt, und vor dem Parkeingang, nicht weit von Kaufmann Astrup entfernt, hatte eine Gruppe von Leuten sich um eine Bank und einen Kasten Bier versammelt.
Zu Hause erwartete mich ein Brief vom Dänischen Detektivverband. Er enthielt meinen Mitgliedsausweis und eine Einladung zu einem Seminar mit anschließendem geselligen Beisammensein, das am folgenden Samstag in der Kildeskovshalle in Gentofte stattfinden sollte. Im Begleitschreiben wurde ich um Entschuldigung für die späte Benachrichtigung gebeten, aber ich war schließlich gerade erst als Mitglied aufgenommen worden.
Ich hielt es für wichtig, dieses Seminar zu besuchen, auch wenn es mit meinem Auftrag in Århus kollidierte. Das Seminar war kein Problem, es sollte von dreizehn bis siebzehn Uhr dauern, Seminarleiter war Tim Hansen von der technischen Abteilung der städtischen Polizei. Allerdings würde ich das Fest recht früh verlassen müssen, wenn ich am Sonntag frisch und ausgeruht an meine Arbeit gehen wollte. Und das wollte ich.
Ich sah die restliche Post des Tages durch, die hauptsächlich aus Reklame und der Zeitung bestand, dann rief ich Benjamin an, um das Sonntagsessen abzusagen und um ihm zu erzählen, wie mein erster Tag im neuen Beruf verlaufen war.
Er war zu Hause, doch ehe ich meinen Spruch aufsagen konnte, hörte ich seiner Stimme an, daß etwas nicht stimmte.
»Ist irgend etwas passiert?« fragte ich.
Er druckste herum.
»Sag es lieber gleich«, drängelte ich. »Ich lasse ja doch nicht locker.«
Er hüstelte. »Laura ist schwanger.«
»Was?!« Laura und Benjamin waren seit höchstens vier Monaten zusammen.
»Du hast sehr gut verstanden, was ich gesagt habe«, antwortete er kurz angebunden.
»Du meine Güte!« Ich holte tief Atem. »Du mußt mit ihr darüber sprechen«, sagte ich und versuchte, ganz ruhig zu klingen. »Es muß doch möglich sein, eine vernünftige...« Ich wurde von der Türklingel seiner Wohnung unterbrochen.
»Es hat geklingelt... einen Moment«, er legte den Hörer hin.
Ich schnitt eine Grimasse und wartete ungeduldig. Nach einiger Zeit war er wieder da. »Laura ist eben gekommen«, er schien außer Atem zu sein. »Kann ich dich später wieder anrufen?«
»Ja... aber wann paßt es dir?«
»Ich ruf dich morgen an.«
»Hm. Ich bin von zehn bis fünf im Büro... aber ich habe um elf einen Termin, du rufst also besser nachmittags an.«
»Dann ist das abgemacht.«
»Benjamin...?«
»Ja?«
Ich zögerte, wußte nicht, wie ich mich ausdrücken sollte. »Du kannst auf mich zählen«, sagte ich dann.
Ich aß ein wenig Brot und Käse, legte mich aufs Sofa, genoß den Wein und hörte mir Nathalie Stutzmanns Version von Mahlers Kindertotenliedern an.
So ungern ich das auch zugeben mochte, ich war sauer auf Laura. Natürlich hat jede Frau das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft abbricht oder nicht. Ich bin wirklich die letzte, die das abstreiten würde, aber gerade deshalb könnte sie nun ein wenig Rücksicht walten lassen. Benjamin ist erst dreiundzwanzig und noch mitten im Studium, es wäre unklug, ihn auf diese Weise zu binden. Finanziell wäre es die pure Katastrophe, wie sollen zwei, die noch studieren, denn ein Kind ernähren? Bei dieser Vorstellung brach mir der Schweiß auf der Stirn aus. Vielleicht würde Benjamin sein Studium aufgeben und sich Arbeit suchen müssen – als was, wüßte ich wirklich nicht –, um Laura und das Kind ernähren zu können. Und dann kam mir ein Gedanke. Wie vom Blitz getroffen fuhr ich hoch. Laura studierte seit sechs Semestern Anthropologie, vielleicht hatte sie Probleme mit dem Studium? Vielleicht war sie so raffiniert und wurde schwanger, nur, um nicht weiterstudieren zu müssen?
Ich griff nach der Weinflasche und steckte mir eine Mentholzigarette an. Jetzt hieß es, kaltes Blut bewahren. Man soll sich nicht in das Leben seiner Kinder einmischen, diese Meinung habe ich immer schon vertreten, man soll ihnen aber auch helfen, wenn das möglich ist. Ich warf einen Blick auf die Uhr, es war fast elf. Ich hatte Benjamin nur angerufen, weil ich unser Sonntagsessen absagen wollte, aber das hatte ich dann nicht mehr geschafft... Eigentlich war es doch besser, wenn er es rechtzeitig erfuhr und vielleicht andere Verabredungen treffen konnte... Ich schielte zum Telefon hinüber. Ob Laura wohl noch immer...? Dann entschied ich mich ganz schnell, nahm den Hörer von der Gabel und wählte Benjamins Nummer.
»Ja?«
Er hörte sich verschlafen an.
»Hier ist Kit... hast du schon geschlafen?«
»Nein, ich habe gelesen.« Ich konnte ihn gähnen hören.
»Ist Laura noch bei dir?«
»Nein.«
Wir schwiegen ein Weilchen.
»Ich rufe eigentlich nur an, um unser Essen am Sonntag abzusagen«, teilte ich dann ganz schnell mit.
»Hast du etwas anderes vor?«
»Ich habe einen Auftrag in Århus«, antwortete ich und hatte im Moment nicht die geringste Lust, ihn in meine Arbeit einzuweihen. Aber nun war seine Neugier geweckt.
»Was ist das denn für ein Auftrag?« fragte er.
»Ach«, ich seufzte in gespielter Müdigkeit. »Das kann ich dir immer noch erzählen. Aber sag mal... hast du mit Laura gesprochen?«
»Was glaubst du denn?« Jetzt klang seine Stimme gereizt. »Deshalb war sie vorhin doch hier.«
»Ach so«, ich lachte nervös. »Natürlich. Aber sie konnte es doch sicher verstehen?«
»Was denn verstehen?«
»Ja, also...«, ich wickelte mir die Telefonschnur um den Zeigefinger. »Daß es keine gute Idee wäre, jetzt ein Kind zu bekommen.«
»Was willst du mir eigentlich sagen?«
»Ich meine, was ich sage«, ich streckte die Hand nach dem Aschenbecher aus. »Es wäre wirklich nicht so genial, wenn ihr gerade jetzt ein Kind bekämt. Ihr studiert beide noch, das muß sie doch wohl begreifen.«
»Du scheinst da