Der Librettist. Niklas Rådström
versuchte, ihnen die Angst vor der fremden Sprache zu nehmen, indem ich ihnen versicherte, dass die Pracht meiner Muttersprache die einfache ebenso wie die komplizierte Melodie veredelt und mit ihr zu einer Legierung aus Mitgefühl und Liebe verschmilzt. Eine Klatschkolumnistin legte ihnen nahe, wie sie sich kleiden und benehmen sollten, um den Ansprüchen eines Opernabends gerecht zu werden – passenderweise unter dem Pseudonym Aschenputtel. Sie betonte, dass es in der europäischen Oper obligatorisch sei, die eleganteste Festkleidung zu tragen. Wer als Dame auffallen wolle, solle besonderen Wert auf hochgestecktes Haar und Dekolletéschmuck legen. Von Federschmuck und breiten Musselinkragen solle man jedoch Abstand nehmen, und die Männer sollten allzu grell gemusterte Krawatten und Hüte meiden.
Als ich dann, nur elf Tage, nachdem García und seine Kompanie in Manhattan an Land gestiegen waren, in der ersten Vorstellung von Rossinis Barbier von Sevilla saß – die mir von allen Opern, deren Libretto nicht aus meiner Feder stammt, die liebste ist –, war es, als wären die Bildung, die gute Erziehung und die Moral der Alten Welt endlich auch in der Neuen angekommen. Die angesehensten Familien New Yorks waren anwesend, sogar der Bruder des Kaisers. Mein Freund, der Dichter Fitz-Greene Halleck, stellte mich dem Schriftsteller James Fenimore Cooper vor. Halleck war Mitglied des sogenannten Ugly Club, der sich der Verbreitung aller möglicher Unschönheit verschrieben hatte, selbst jedoch ein gut aussehender junger Mann mit einem ausgeprägten Gespür für die edlen Werte seiner Sprache. Die Damen trugen die bezauberndsten Kreationen, zurückhaltend und aufreizend zugleich in ihrer Eleganz. Aber nichts von alledem, keiner der von aller Munde geflüsterten Namen, keine weibliche Haarpracht, kein seidengeschmücktes Dekolleté, keiner der reichen, mächtigen Männer, die wie Fürsten durch die Menge schritten, konnte sich mit dem Augenblick der plötzlich eintretenden Stille messen, mit der Spannung, als die Musiker ihre Instrumente stimmten und der Maestro die ersten Takte der Ouvertüre schlug. García dirigierte selbst, wenn er nicht in der Titelrolle auf der Bühne stand. Diese Freiheit, diese Seligkeit, diese Anteilnahme an allem Lebendigen! Mir stiegen Tränen in die Augen, und durch diesen Schleier sah ich sie auftreten: Figaro und Rosina, Graf Almaviva und Doktor Bartolo. Liebe, alte Freunde, die ich für immer verloren geglaubt hatte, standen wieder vor mir und hießen mich, nur mich, aufs Neue willkommen in ihrem Kreis.
Musik. Dieser Atemspender des Lebens, wie natürlich sie dem Schlag des Herzens folgt, wie sie in uns den wahren Menschen erkennt. Dass ich das noch einmal erleben durfte, gab meinem Leben wieder Sinn. Die Rückkehr der Musik vergoldete im Nachhinein die langen Tage des Wartens in meiner Buchhandlung, in die sich nur wenige Kunden verirrten. Auch die folgenden Monate hielt sie mich am Leben, auch wenn der Reiz des Neuen langsam verschwand und das Interesse der Öffentlichkeit Woche für Woche schwächer wurde. Schon die Premiere des Barbiers rief die eine oder andere entsetzte Reaktion hervor. Unser höchster Richter, Kanzler Kent, verließ schimpfend das Theater. Die italienische Oper sei eine Verunglimpfung der menschlichen Natur. Verunglimpfung! Dabei zeigt sie uns bald, wie wir sind, und bald, wie wir sein sollten – das ist das Wesen der Dichtung, und von ihr sollte der Mensch lernen. Neun Monate, ebenso lang wie ein Kind den Schutz des Mutterleibes braucht, um ein lebenstauglicher Mensch zu werden, blieb García mit seiner Kompanie bei uns. Da ich mit Hilfe meiner Freunde und Studenten genügend Mittel gesammelt hatte, um Don Ottavios Rolle mit einem guten Sänger zu besetzen, wurde endlich der größte Wunsch meiner alten Tage erfüllt: Don Giovanni auf einer amerikanischen Bühne zu erleben, gesungen in den italienischen Versen, die ich vor vielen Jahren in Wien drucken ließ – unter den gleichen Mühen und Wehen, aber auch mit dem gleichen Glücksgefühl, das eine Mutter bei der Geburt ihres Kindes verspürt. Ich saß im Saal wie ein Mann, der gerade erwacht und sich in einem seiner schönsten Träume wiederfindet.
Und dann reisten sie ab, García und seine Freunde. Die Abende zu Beginn ihres Engagements, die bis zu zweitausend Dollar einbrachten, waren längst vorbei. Nun konnte es sein, dass man nach einer spärlich besuchten Vorstellung mit fünfundzwanzig Dollar dastand. Also zogen sie weiter nach Mexiko, mit Kostümen und Bühnendekoration, Sängern und Musikern, um dort ihr Glück zu versuchen. Das verlangt das Theater von seinen Dienern: ein Leben in ständiger Rastlosigkeit, immer unterwegs. Wie ich hörte, habe ich auch García überlebt. Offenbar hatte er Erfolg in Mexiko, aber nach der Rückkehr nach Europa verlor er sein gesamtes Vermögen. Wie, weiß ich nicht. In seiner Not nahm er Gesangsschüler an, und seine Kinder arbeiteten als Bühnenhelfer. Nun ist auch García tot. Und ich war, nachdem er New York verlassen hatte, wieder allein mit meiner Sehnsucht nach Musik.
In dieser Lage fielen mir mein Halbbruder Agostino und seine Tochter Giulia ein, von der ich gehört hatte, ihre Stimme könne sich mit den besten des Fachs messen. Sie studierte bei meinem Freund Antonio Baglioni, dem ersten Don Ottavio, der je auf einer Bühne stand – vor langer Zeit, als Amadeo und ich in Prag letzte Hand an das Werk legten. Ich sah mich in der Schuld meines Bruders, weil er für einen mir sehr nahestehenden kleinen Jungen gesorgt hatte, der stets in meinen Gedanken war und schwer auf meinem Gewissen lastete. Deshalb wollte ich etwas für ihn tun, besser gesagt für sein Kind Giulia. Monatelang, ja fast ein ganzes Jahr, versuchte ich sie zum Antritt einer Reise nach Amerika zu bewegen. Ich schickte meinem Halbbruder Geld für die Überfahrt und bot ihnen an, so viele Begleiter mitzunehmen, wie sie für nötig hielten. Ich schickte ihm auch Mittel, um Seidenraupen, Weinstöcke und Bücher über die Herstellung von Wein mitzubringen, die Grundlagen für Produkte, die meiner Überzeugung nach eine strahlende Zukunft auf dem amerikanischen Markt hatten. Ich verbreitete Gerüchte über ihre baldige Ankunft und mietete sogar das Bowery Theatre für ihren ersten Auftritt. Es sollte an jenem Abend leer bleiben, weil es meinem Halbbruder und seinem Singvogel nicht behagte, zur vereinbarten Zeit anzulanden.
Als ihr Schiff – mehr als ein halbes Jahr später! – im Hafen anlief, hatte dieser Traum mich bereits so viel gekostet, dass ich erneut vor dem Ruin stand. Sie waren wie Fürsten über den Atlantik gereist, nicht unter den bescheidenen Verhältnissen, die ich vor Jahrzehnten erlebt hatte, und überreichten mir gleich am Kai eine Rechnung, die mir die Luft abschnürte. All dies hätte ich vielleicht ertragen, wenn es die Rückkehr der Musik in mein Leben bedeutet hätte, aber jegliche Hoffnung zerfiel zu Staub, sobald Giulia den Mund aufmachte und zu singen begann. Sie hatte eine schöne Stimme, aber viel zu schwach, um einen größeren Konzertsaal zu füllen, und darüber hinaus fehlte ihr jegliches Bühnentalent. Sie war ein unbedeutender Spatz auf einer Parkbank, keine Nachtigall, deren Gesang eine ganze Landschaft erfüllte. Für einen Wanderer, der sich kurz auf der Bank ausruht, mag der Spatz eine erbauliche Gesellschaft sein, aber sein Gesang ist kein Balsam fürs Herz wie der Gesang der echten Singvögel. Sie wohnten eine paar Monate bei uns, die in meiner Erinnerung wie Jahre scheinen, und verursachten große Kosten. Alle Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und meinem Halbbruder kamen wieder an den Tag, und als sich Giulia von einem Handelsmann aus Triest verführen ließ und ihn hastig heiratete, fuhren sie zurück in die Alte Welt, ohne Lebewohl zu sagen. Meine Träume, wieder in der Musik zu leben, sah ich verwelken und sich wie Blumen im Herbst zum Schutz gegen das Schweigen des Winters schließen.
Wie lautete noch gleich die Frage? Wie man seinem Tod entgegentritt, dem Verfall des eigenen Körpers und dem großen Schweigen, das Vergänglichkeit über die Welt deckt. Mit Trotz, denke ich. Mit zäher Unverdrossenheit. Man sollte ihm auf dieselbe Weise entgegentreten wie dem Leben. Man wird aus dem Schoß der Mutter gedrängt, und plötzlich ist die Welt da, ein großes Geschenk, das es zu erforschen, erobern und beschützen gilt. Aber wer erinnert sich schon an seine Geburt? Ebenso wird es uns mit dem Augenblick des Todes ergehen. Vielleicht ist die Geburt wie Musik, wenn sie am mächtigsten ist, wenn sie uns ergreift und alle Sinne erfüllt. Noch während wir schreiend den Verlust des warmen Paradieses im Mutterleib beklagen, erfüllt uns bereits brennende Neugier auf die phantastische neue Welt, die uns empfängt. Ich erinnere mich an die Blicke meiner neugeborenen Kinder, wenn sie an der Brust ihrer Mutter lagen. Sie blinzelten geblendet und kniffen die Augen zu, als sei diese Welt aus Licht und Farben, beweglichen Formen und lebendigen Gestalten zu viel für einen Augenblick. Sie sahen mich wie einen Fremden an, den man wiederzuerkennen glaubt, wie einen engen Freund aus einem anderen Leben, unbekannt und zugleich eigenartig vertraut.
Manchmal denke ich an Giacomos Flucht aus dem Gefängnis, in dem er sechzehn Monate saß, fast doppelt so lang, wie ein Kind im Mutterleib. Sie hatten ihn wegen Unzucht, Betrugs, Glücksspiels und Spielschulden eingesperrt, aber