Der Librettist. Niklas  Rådström

Der Librettist - Niklas  Rådström


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drei Stockwerken ohnegleichen in der Gegend.

      Aber selbst in diesem ländlichen Idyll, das ohne Weiteres das Reich eines gutgläubigen Kindes hätte sein können, trat bald die harte Wirklichkeit auf die Bühne, diesmal in Gestalt von Neid und Wucher, verkleidet mit dem schmutzigen Mantel schnöder Gewinnsucht. Der Mann, von dem ich mein Lager mietete, war ein grobschlächtiger Kerl namens Thomas Robins, ein unverbesserlicher Trinker und Intrigant, getrieben vom Spielteufel und Gott weiß welch anderen bösen Geistern. Er war so tief gesunken und verhärtet, dass er fast jedes Wochenende in Schwierigkeiten geriet. Immer wieder musste er Bußgelder bezahlen. Sie nannten ihn Tom mit den hundert Beinen, als wäre er ein alter Indianer, den die Wilden vergessen hatten, als sie in die Gründe weiterzogen, wo sie heute zu Hause sind, wo immer das ist. Ich will mir gar nicht ausmalen, was gegenüber in seinem Haus vorging. Dabei will ich nicht leugnen, dass ich in der Alten Welt unzählige Orte des Lasters gesehen und mich sogar dort aufgehalten habe. Nach vielen Jahren in Ländern, die von gewissenlosen Monarchen und Aristokraten regiert werden, nährte ich die Hoffnung, dass das Freiheitsideal der Neuen Welt und der Geist der Pioniere mit dieser Abart menschlichen Benehmens reinen Tisch machen würde. Aber macht die Freiheit den Menschen automatisch gut? Ich fürchte nein.

      Meine Schwierigkeiten nahmen ihren Anfang während einer weiteren Geschäftsreise zwischen Sunbury und Philadelphia. Eine Radachse brach und die Pferde gingen vor Schreck durch. Ich wurde aus der Kutsche geschleudert und brach mir das Schlüsselbein sowie ein paar Rippen. Es dauerte drei Monate, bis ich mich von allen Verletzungen erholt hatte. Mein Arzt in Philadelphia, Doktor Philip Physick, der einen guten Ruf genoss, verordnete mir außerdem eine strenge Diät, die meiner Laune keineswegs zuträglich war: zwei Kartoffeln und vier Austern am Tag. Der Gehilfe, den ich angestellt hatte, um meine Geschäfte fortzuführen, kündigte ohne Vorwarnung und ritt auf einem der besten Pferde, die man vor Ort kaufen konnte, nach Westen. Ich hätte gleich wissen müssen, dass er nicht nur eine freie Stellung zurückließ, sondern auch eine leere Kasse. Auch der Schuft, den ich anheuerte, um in Philadelphia während meiner Abwesenheit meine Interessen zu vertreten, betrog mich um so große Anteile des Verdienstes, dass ein Großteil meines Kapitals verloren ging. Darüber hinaus beschaffte er mir ein lahmes Pferd und eine unbrauchbare Kutsche, bevor auch er verschwand und nur Schuldbriefe und leere Regale zurückließ.

      Wenige Monate nachdem ich mich von meinem ersten Unfall erholt hatte, fuhr ich in einer Postkutsche durch unser schönes Tal, deren Kutscher so betrunken war, dass er die ganze Equipage in den Graben fuhr. Dabei brach ich mir das andere Schlüsselbein und verletzte mich so schlimm am Rücken, dass ich drei Wochen in einem Wirtshaus liegen musste. Das Unglück hätte mich fast das Leben gekostet, und die Einquartierung zehrte an meinen Ersparnissen. Als dann 1814 Frieden mit England geschlossen wurde, fielen die Preise in den Keller, und ich sah mich gezwungen, meine Waren für die Hälfte des Preises zu verkaufen, für den ich sie erworben hatte. Mein Schwager kommentierte mit schelmischer Schadenfreude, es gebe kein Vermögen auf der Welt, das ich nicht im Handumdrehen in Luft verwandeln könne. Und er hatte Recht, meine Stärke als Geschäftsmann hat immer in meinem ungebrochenen Enthusiasmus und Zukunftsglauben gelegen, nicht in Geldgier und Hintergedanken. Nach einem meiner gescheiterten Händel war ich auf einer Ladung Spitzen und gemusterten Stoffen sitzen geblieben, woraufhin ich mit bescheidenem Erfolg ein Modistengeschäft in Philadelphia eröffnete, das von meiner fünfzehnjährigen Tochter Fanny geleitet wurde. Ich verließ mich auf Nancys Fertigkeit, künstliche Blumen, üppige Rosetten und Applikationen für Ballkleider zu nähen. Mit meinem Selbstgebrannten ließ sich trotz des überaus guten Rufes, der ihm vorauseilte, leider nicht viel verdienen, weil unangemessene Steuern jeden Gewinn untergruben.

      Am Ende konnten uns weder Kredite noch der Verkauf meiner goldenen Uhr und des Pianofortes vor dem Ruin retten. Während ich unterwegs war, maßte sich Tom mit den hundert Beinen an, die Schulden, die ich angeblich bei ihm hatte, durch einen Raubzug in unserem Haus einzutreiben. Vor den Augen meiner Frau verwüsteten er und seine Rohlinge unser Heim und trugen Herd und Möbel, Hausgerät und Leinen heraus. Sie holten Pferd und Wagen aus dem Stall und ließen nichts als Schmutz und Demütigung zurück. Natürlich versuchte ich, die Dinge auf rechtlichem Wege zurückzubekommen, aber der Polizeichef war gerade in den Ruhestand getreten, und keiner hatte den Mut, seinen Platz einzunehmen. Ein weiterer Schuft, der mich als seinen Schuldner betrachtete und dafür bekannt war, seine Forderungen mit Fäusten und Waffen einzutreiben, zwang uns zum Umzug aus unserem dreistöckigen Haus in eine ärmliche Hütte, woraufhin der Große Tom auch den Rest unseres alten Hausrates beschlagnahmte. Erst als ich ihn auf Knien anflehte, bekamen wir wenigstens unsere Betten zurück. Als meine Schwägerin wenige Monate später starb, hinterließ sie ein ansehnliches Erbe. Nancys Anteil hätte uns durchaus aus unserer betrüblichen Lage retten können, aber es waren so viele Bedingungen daran geknüpft, die in der Hauptsache dafür sorgten, dass ich nicht über die Mittel verfügen konnte, die unserer Familie zustanden. Meine geliebte Nancy bekniete den Friedensrichter, der mit der Erbteilung beauftragt war, wenigstens genügend Mittel freizugeben, dass wir wieder in unser altes Heim ziehen konnten, aber vergebens. Und ausgerechnet in dieser schweren Stunde verlangte mein Schwager die Rückzahlung einer Schuld, was ich nicht von ihm gedacht hätte.

      Nicht ohne Bitterkeit reiste ich am Ende mit meinem Sohn Joseph nach Philadelphia, in der Hoffnung, meine Familie durch Unterricht versorgen zu können. Aber nur zwei Schüler wollten sich in die Bildung und Kultur der Alten Welt vertiefen. Die Zukunft sah trübe aus. Warum, dachte ich, sollte ich mir nicht meine in vieler Hinsicht großartige Vergangenheit zu Nutze machen, wenn die Zukunft nichts Besseres versprach? Ich begann, meine Memoiren aufzuschreiben, die ich nun, im zweiten Versuch, in ein neues Licht rücken will. Ich schrieb an meinen alten Freund Nathaniel Moore in New York und bat ihn, einen Verleger zu suchen und wenn möglich einen Vorschuss auszuhandeln, um die Fertigstellung des Buches zu gewährleisten. Ich schrieb, dass dies nicht nur mich freuen würde, sondern sicher auch unsere Wirtin, eine mürrische alte Dame, die trotz ihrer Zahnlosigkeit genug Biss hatte, um unsere Tage mit ihren ständigen Mietforderungen zu verpesten.

      Als Antwort erhielt ich eine Geldsumme, die viel größer war, als ich zu träumen gewagt hätte. Selbst hatte ich einen bescheidenen Betrag vorgeschlagen, in der Hoffnung, eventuell das Doppelte zu bekommen. Aber die Menge Dollar, die ich nun in der Hand hielt, war zwölfmal so hoch, als ich begehrt hatte! Und doch war es nicht genug, um meiner Familie eine neue Zukunft zu sichern. Ein Zufall brachte mich mit einem Reisenden aus meinem Heimatland zusammen, der 140 exklusive Bände der besten italienischen Klassiker im Gepäck hatte: Classici Italiani di Milano. Und weil mein neuer Freund bald weiterreisen wollte und die kleine Bibliothek viel zu sperrig war, vermachte er sie mir zu einem guten Preis. Meine Versuche, die Bücher in Philadelphia zu verkaufen, waren fruchtlos, und am Ende schickte ich meinen Sohn mit ihnen nach New York. Er kam mit beachtlichem Gewinn von der Reise zurück, aber vor allem mit einem Brief von Nathaniel Moores Cousin Clement, einem meiner früheren Gönner. Er forderte mich auf, umgehend nach New York zurückzukehren, um dort die Sprache und Literatur meines Heimatlandes zu verbreiten – diesmal mit dem Titel eines Professors an der Columbia University, die erste Professur dieses Faches. So zog ich also wieder nach New York, der Stadt, die ich immer mehr zu schätzen lernte und der ich seitdem treu geblieben bin. Nancy und der Rest der Familie sollten nachkommen, sobald ich eine passende Wohnung gefunden hatte. Meinen Sohn Joseph nahm ich mit, da ich mir ein wenig Sorgen machte wegen des leichtsinnigen Umgangs, den er bei seinem Jurastudium pflegte. Mein einziges Gepäck waren die Kleider, die ich trug, und eine reichhaltige Büchersammlung, der Grundlage für alle Tätigkeiten, die mein hoffentlich langes Leben noch für mich bereithalten mochte.

      4.

      Das New York, in das ich zurückkehrte und wo ich nun diese Zeilen schreibe, war ein anderer Ort als die von Geburtswehen geschüttelte Stadt, in der wir unsere erste Zeit in der Neuen Welt verbrachten. Die Stadt wächst unablässig im gleichmäßigen Quadratmuster weiter, in das man Manhattan zwecks zukünftiger Bauvorhaben eingeteilt hatte. Erhebungen in der Landschaft werden planiert und füllen entweder Täler oder neue Piers in dem Hafen, der auf immer neue Siedler in immer größeren Schiffen aus immer neuen Ländern wartet. Wasserläufe werden zugeschüttet, Feuchtgebiete entwässert, und Bäume, so alt wie unsere Kenntnis des neuen Kontinentes, werden gefällt, um Platz zu schaffen für alles von wackligen Schuppen über kasernenähnliche


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