Pferdeglück auf Ravensmoor. Ursula Isbel-Dotzler

Pferdeglück auf Ravensmoor - Ursula Isbel-Dotzler


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redet ihm gut zu und sagt, wenn die Schwellungen und Narben und Verfärbungen im Gesicht zurückgegangen sind, wird er wieder richtig gut aussehen. Aber er hat schwer daran zu schlucken, dass er nicht mehr der schöne, edle Duncan Ravensmoor ist, vor dem die Mädchen reihenweise in den Staub fallen und seine stinkenden Füße küssen.«

      Ich musste lachen. »Vielleicht kommt er jetzt endlich von seinem hohen Ross herunter. Könnte doch sein, dass er was dazugelernt hat. Immerhin kann er nur sich selbst und seinem Freund die Schuld am Unfall geben.«

      »Der und was dazulernen?« Kim schniefte. »Da kannst du ebenso drauf hoffen, dass ihm Engelsflügel wachsen!«

      Meine Mutter sagte immer, dass sich jeder Mensch ändern kann. Aber Kim hatte wohl in ihrer Kindheit zu viele üble Erfahrungen mit ihrem Bruder gemacht, der zu allem Überfluss auch noch der verwöhnte Liebling ihrer Mutter war. Wenn ich daran dachte, wie brutal er mit Flora umgegangen war, fiel es mir schwer, ihm eine wunderbare Verwandlung zuzutrauen.

      »Und sein Freund?«, fragte ich abschließend, denn ich merkte, dass Kims Stimmung durch das Gespräch immer ungnädiger wurde.

      »Der liegt nach wie vor im Koma. Keiner weiß, ob er je wieder zu Bewusstsein kommt. Jedenfalls ist klar, dass Duncan nie mehr mit Flora reiten wird. Sie gehört mir jetzt ganz allein, das hat Grandpa versprochen und daran gibt’s nichts zu rütteln!«

      Sie nahm Floras Zügel wieder auf und ritt voraus. Verwitterte Steinbrocken, Mulden voller Geröll und Sand und schlüpfrige Felsplatten, die treppenförmig bergauf und bergab führten, bildeten den Klippenpfad hoch über der Küste. Er war von windzerzausten Sträuchern und Stechginsterbüschen gesäumt. Dazwischen hatten wir immer wieder atemberaubende Ausblicke aufs Meer, auf die Spanische Bucht und die Felsenklippen, an denen sich die Wellen brachen und in Gischtfontänen hoch aufspritzten.

      Es gab Tore und Türme und wunderliche Gestalten, die Wind und Wasser im Laufe von Jahrhunderten geformt hatten, und weit draußen kleine Felsrücken, Spitzen oder Kuppen. Sie wirkten harmlos, konnten jedoch für jedes Schiff zur Bedrohung werden, wenn der Meeresspiegel bei starkem Wellengang und Sturm anstieg und die Riffe unter dem Wasser verschwanden.

      Doch heute zeigte sich die cornische See von ihrer freundlichsten Seite. Das Wasser war azurblau und smaragdgrün mit Schaumkronen, die wie Sahnehäubchen unter dem hellblauen Frühlingshimmel glitzerten. Segelboote kreuzten vor der Küste und hinterließen ihre weißen Gischtfährten in den Wellen.

      In den Weißdornhecken flöteten Drosseln und Amseln. Ihr Gesang mischte sich mit dem klingenden Hufschlag unserer Pferde auf den Steinen und dem Schmatzen und Gurgeln der Wellen.

      Der Wind spielte in Floras und Smillas Mähnen und Schweifen und wirbelte mir meine widerspenstigen Locken ums Gesicht. Als ich Kim einholte, merkte ich, dass sich ihre Miene verändert hatte. Sie sah jetzt entspannt aus, richtig glücklich.

      »Schön!«, sagte sie mit einer weit ausholenden Handbewegung, als gehörte das alles ihr – das Meer, die Küste, der Himmel. Und so war es wohl auch. Kim war ja hier geboren und aufgewachsen, war ein Teil von alldem.

      Ich nickte und dachte: Wenn’s nur immer so wäre! Keine eisigen Winde, keine Stürme, keine plötzlichen Regenschauer … Doch wenn das Leben ein einziger Frühlingstag gewesen wäre, hätten wir es dann noch schön gefunden? Vielleicht war das alles um uns herum nur deshalb so wunderbar, weil wir auch stürmische Zeiten erlebt hatten?

      Bei all diesen philosophischen Überlegungen passte ich nicht richtig auf. Smilla glitt beinahe auf einer der Felsstufen aus. Wir waren zu schnell, und ich hätte sie nach links lenken müssen, wo die Steinplatten ebener waren.

      In letzter Sekunde gelang es Smilla, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

      »He, schau, wohin du reitest!«, hörte ich Kim mit strenger Stimme sagen. »Du verlässt dich zu sehr auf die Trittsicherheit deines Ponys. Wenn du nicht auf ihrem Rücken sitzen würdest, hätte sie keine Probleme mit dem steilen, holprigen Weg. Aber sie trägt dich und kann sich nicht mit solcher Leichtigkeit bewegen, wie das ein Wildpferd tun würde.«

      »Ich weiß«, erwiderte ich beschämt. »Ich bin eine ziemlich lausige Reiterin.«

      »Nein, du reitest ganz okay. Aber du lässt den Ponys manchmal zu viel Entscheidungsfreiheit. Wenn du im Sattel sitzt, musst du deinem Pferd zeigen, wo’s langgeht. Natürlich nie mit harter Hand, aber sie brauchen klare Ansagen.«

      Gelegentlich erteilte mir Kim solche Lektionen im Reiten, doch von ihr konnte ich sie annehmen. Sie versuchte nie, mich zu bevormunden oder die große Lehrmeisterin zu spielen.

      Kim war schon als Kind von ihrer Großmutter in den Sattel gesetzt worden, noch ehe sie richtig laufen konnte. Das merkte man. Sie war die beste Reiterin, die ich kannte, besser noch als Mama. Und was das Wichtigste war: Sie liebte Pferde und kannte ihre Wesensart und ihre Bedürfnisse genau. Kim hätte nie versucht Flora ihren Willen aufzuzwingen.

      Stevie Trelawnys Reich lag in einer Mulde wie eine kleine Welt für sich, eine Welt, in der eigene Gesetze galten. Ich wünschte, es hätte mehr Orte wie Little Eden auf unserer Erde gegeben.

      Doch der Frieden, der über den alten Dächern, den Weiden und Baumgruppen und dem besonnten Hofplatz lag, war trügerisch. Auch vor Little Edens Tor machte der Tod nicht halt und ebenso wenig die Welt mit ihren Problemen und ihrem Überlebenskampf. Das begriff ich eine halbe Stunde später, als wir mit Stevie auf dem Koppelgatter saßen, die Hunde zu unseren Füßen.

      5

      Vielleicht hätte Stevie noch länger geschwiegen, wenn Kim nicht gewesen wäre. Sie überfiel ihn sofort damit, dass er sich schleunigst nach einem neuen Gefährten für Cinnamon umsehen sollte.

      »Es gibt doch Vereine, die alten und ausgemusterten Pferden helfen«, sagte sie. »Niko soll im Internet ein paar Adressen heraussuchen. Dann rufen wir an und fragen, wie man so ein armes Kerlchen vom Schlachttransport freikaufen kann.«

      Von der Seite beobachtete ich Stevies Gesicht. Seine dunklen Augenbrauen trafen sich über der Nasenwurzel, was ihm einen finsteren Ausdruck verlieh.

      »Okay, wenn du bereit bist alle Kosten zu übernehmen«, erwiderte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.

      Kim warf ihm einen erschrockenen Blick zu. »He, warum sagst du so was? Du weißt doch genau, dass meine Eltern Flora beinahe verkauft hätten, weil wir kein Geld hatten, zwei Pferde zu halten!«

      Stevie nickte. »Genau. Und wie soll ich deiner Meinung nach die Kohle auftreiben? Soll ich eine Bank überfallen oder wie?«

      Wir starrten ihn an. Kim fiel beinahe die Kinnlade herunter.

      Eine Weile herrschte betretenes Schweigen. Schlagartig wurde mir klar, dass ich mir kaum Gedanken darüber gemacht hatte, wie Stevie das alles hier finanzierte, woher er das Geld nahm, um fünfzehn Schafe, zwölf Katzen, drei Hunde, zwei Pferde, ein Reh, zwei Rabenkrähen, ein Eichhörnchen und eine ständig wechselnde Anzahl von verletzten Möwen, Rotkehlchen, Schwalben und Lerchen zu füttern.

      Auch er selbst brauchte ja Geld für Essen, Heizmaterial und Kleidung, auch wenn er noch so bescheiden lebte. Und sein Job in der Seevogelstation brachte nichts ein; er arbeitete dort ehrenamtlich.

      Kim war es, die schließlich das Schweigen brach. Sie stotterte beinahe, als sie sagte: »O Mann … Mist … Ich meine, das ist echt be … bescheiden von mir. Aber ich hab ganz vergessen …«

      Stevie unterbrach sie. »Ja«, erwiderte er, jetzt schon nicht mehr ganz so unfreundlich wie vorher. »Genau das ist es! Keiner denkt sich was. Alle meinen, das Geld fällt bei mir wie Manna vom Himmel oder so.« Er stockte. »Aber nein, nicht alle. Es gibt schon ein paar Leute, die mir ab und zu helfen. Kathis Mutter zum Beispiel. Sonst hätte ich den Laden hier längst dichtmachen müssen.«

      Mama, ja. Ich begriff plötzlich, dass sie Stevie neben dem Futter für die Pferde und Hunde sicher auch gelegentlich einen Scheck zusteckte, stillschweigend und ohne Aufhebens davon zu machen.

      Ich


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