Pferdeglück auf Ravensmoor. Ursula Isbel-Dotzler
nicht mehr für mich zu verbrauchen, sondern davon regelmäßig Futter für die Tiere von Little Eden zu kaufen.
»Aber dein Vater?«, fragte Kim in meine Gedanken hinein. »Gibt er dir denn kein Geld?«
Stevies Vater fuhr zur See und kam nur selten nach Hause. »Doch, er bezahlt die Rechnungen für Reparaturen am Haus und die Heizkosten und überweist mir jeden Monat etwas Geld zum Leben. Aber für die Tiere muss ich selbst sorgen, dafür kommt er nicht auf. Und das ist auch total in Ordnung so.«
Stevie sah auf seine Hände nieder, die er zwischen die Knie geklemmt hatte. Seine schmalen, feingliedrigen Finger waren rot und verarbeitet und voller Schwielen. Bestimmt war es ihm überaus peinlich, über seine Geldsorgen zu reden. Er hatte sie schließlich lange genug für sich behalten.
Hinter Kims Stirn arbeitete es. Wie es ihre Art war, suchte sie schon nach einer Lösung für Stevies Problem, das sah man ihr an der Nasenspitze an.
»Es ist nicht so, dass wir einfach angenommen haben, du kämst schon irgendwie zurecht«, sagte sie. »Ganz so bescheuert sind wir doch wieder nicht. Ich hab im Winter mal zu Kathi gesagt, dass wir versuchen sollten, einen Zuschuss für Little Eden von der RSPCA2 zu kriegen. Stimmt’s, Kathi?«
Ich nickte. »Ja, echt, das war Kims Idee. Hast du irgendwann mal versucht Geld vom Tierschutz zu bekommen, Stevie?«
Zögernd erwiderte er: »Daran gedacht hab ich schon. Aber … ich mag nicht betteln. Und ich kann solche Briefe nicht schreiben und schon gar nicht bei Leuten anrufen, die ich nicht kenne und die nicht wissen, was ich hier mache. Sie würden bestimmt denken, ich versuche sie nur abzuzocken.«
»Blödsinn!« Kim funkelte ihn an. »Wir schicken Fotos von deinen Tieren los, und Dr. Muir soll dir so was wie eine Empfehlung schreiben. Und vielleicht kann auch Kathis Mutter sich was ausdenken, eine Art Bestätigung, dass du wirklich tierschützerisch arbeitest. Wenn sie wollen, können sie doch jederzeit jemanden vorbeischicken, der sich Little Eden ansieht. Wo ist da das Problem?«
Stevie sagte, so einfach sei das alles nicht. »Die kriegen bestimmt täglich säckeweise Briefe von Typen, die Geld wollen und sich als Tierschützer ausgeben. Außerdem spenden die Leute immer weniger. Die meisten haben es sowieso schwer genug, jeden Monat ihre Miete zu zahlen und sich was zu essen zu kaufen. Die RSPCA ist bestimmt nicht so reich, wie du denkst, Kim.«
»Ich hab gelesen, dass es immer wieder Tierfreunde gibt, die ihnen ihr ganzes Geld vererben, reiche alte Tanten und so. Wenn ich Geld hätte und steinalt wäre, würde ich mein Vermögen jedenfalls dem Tierschutz vermachen.«
»Ich auch«, sagte ich.
»Leider sieht es nicht danach aus, als würden wir mal zu Geld kommen. Es sei denn, eine von uns heiratet einen alten Knacker mit einem Geldberg wie Dagobert Duck.« Kim kicherte. »Auf eine Erbschaft kann ich bestimmt nicht hoffen. Wir haben zwar Verwandte in London, die reich wie Trolle sind, aber bei denen schlappen schon jede Menge Kinder und Enkel rum. Da müsste schon eine Seuche ausbrechen, damit ich in der Erbfolge drankäme.«
Sie zeigte mit dem Finger auf Stevie. »Oder du suchst dir eine reiche Tussi. Eine wie die wunderbare Grace, die Kathis Bruder so anschmachtet.«
Irgendwie konnte ich ihre Bemerkung nicht lustig finden. Die Vorstellung, dass Stevie sich ein Mädchen aus einer vermögenden Familie suchte und sie des Geldes wegen heiratete, war echt nicht komisch. Überhaupt mochte ich mir nicht ausdenken, dass Stevie eines Tages …
Seine Stimme unterbrach jedoch meine düsteren Überlegungen.
»Hör schon auf, das ist nicht witzig! Wenn ich mal heirate, dann bestimmt nicht aus Geldgier.«
Er sah mich an und senkte den Blick sofort wieder.
»Ich hab mir schon überlegt, ob ich irgendwo einen Halbtagsjob annehme, damit wenigstens jeden Monat ein bisschen Geld aufs Konto kommt. Aber dann müsste ich meine Arbeit in der Seevogelstation aufgeben und die Tiere würden zu kurz kommen.«
Ich sagte: »Nein, du, wir schreiben heute noch an die RSPCA, Kim und ich. Mama wird uns helfen. Und du könntest Dr. Muir anrufen und ihn um eine Art Empfehlungsschreiben bitten. Mehr brauchst du nicht zu tun.«
Stevie gab keine Antwort. Er rutschte vom Balken, öffnete das Gatter und ging zu den Pferden auf die Koppel.
Flora und Smilla hatten Cinnamon in die Mitte genommen. Flora beknabberte den Hals der alten Stute. Es sah zärtlich aus, so als wollte sie sie trösten.
Nicht weit von den Pferden stand Dreibeinchen, Stevies zahmes Reh, unter dem Holzapfelbaum und rupfte an den Gänseblümchen. Als Stevie auf der Weide erschien, hob es den Kopf und hinkte ihm entgegen.
Wieder einmal wunderte ich mich, wie gut es sich inzwischen an seine Behinderung gewöhnt hatte und wie geschickt es sich auf seinen drei Beinen bewegte. Es rieb seine Stirn an Stevies Arbeitshose, und er streichelte seinen zarten, anmutigen Hals.
Am liebsten wäre ich zu ihnen gegangen, hätte den Arm um Stevie gelegt und gesagt: Du bist nicht allein mit deinen Sorgen – wir helfen dir! Ich helfe dir.
Doch damit hätte ich ihn sicher in Verlegenheit gebracht. Und Dreibeinchen vertrieben, denn Stevie war der einzige Mensch, dem es vertraute.
»Bestimmt tut es ihm schon wieder leid, dass er uns von seinen Problemen erzählt hat«, hörte ich Kim leise sagen. »Es geht ihm wohl ziemlich mies, sonst hätte er kaum was gesagt. Du weißt ja, wie stolz er ist.«
Ja, das wusste ich. Doch ich wusste auch, dass die Liebe zu seinen Tieren stärker war als sein Stolz.
6
Die Pferde mussten mit Strohwischen abgerieben und getränkt werden, ehe wir ins Haus gehen konnten. Wir stellten Flora zu Smilla und Kringle auf die Weide.
Mama war damit beschäftigt, die Terrasse zu schrubben. Vogelkot und Schalen von Sonnenblumenkernen bedeckten das Pflaster, denn wir hatten den ganzen Winter lang die Vögel gefüttert.
»Mama«, sagte ich, »wir müssten was mit dir besprechen. Hast du dann Zeit für uns?«
Sie seufzte. »Ist es wichtig? Eigentlich sollte ich das hier zu Ende bringen, wenn ich mich schon mal dazu aufgerafft habe. Seit Wochen höre ich mir Grannys spitze Bemerkungen darüber an, wie ungepflegt unsere Terrasse aussieht.«
»Später helfe ich dir«, versprach ich.
»Es geht um Stevie«, sagte Kim gleichzeitig.
Stevie war ein Zauberwort, das bei Mama immer seine Wirkung tat. Sie hatte eine besondere Schwäche für ihn, seit er nach dem ersten Sturm, den wir in Cornwall erlebt hatten, Kringle nach Ravensnest zurückgebracht hatte.
Sie ließ den Schrubber fallen und folgte uns durch die Terrassentür ins Wohnzimmer. Erst als der Teppich schon voller Sand und Grasbüschel war, merkten wir, dass wir unsere Reitstiefel nicht ausgezogen hatten.
Ich ließ mich in einen Sessel fallen. Während Kim an meinem linken Stiefel zog und mir dabei ihr knochiges Hinterteil zuwandte, sagte ich: »Wir müssen an die RSPCA schreiben, Mama. Und du musst uns dabei helfen, den Brief richtig zu formulieren, damit sie uns auch ernst nehmen.«
»Stevie braucht Geld«, fügte Kim hinzu. »Für seine Tiere. Sieht aus, als wäre er praktisch pleite. Und Kathi braucht neue Reitstiefel. Die hier sind verdammt eng. Irgendwann wirst du die Stiefel aufschneiden müssen, nur um wieder rauszukommen!«
Über meinem Kopf schwirrte es. Zorro, unsere Blaumeise, die wir im Winter nach einer Sturmnacht im Garten gefunden hatten, landete auf meiner Schulter. Einer ihrer Flügel war gebrochen und etwas schief wieder zusammengewachsen. Inzwischen konnte Zorro wieder ein bisschen herumflattern, aber nicht mehr richtig fliegen.
Ich legte den Kopf zur Seite, und er kuschelte sich unter mein Kinn und zupfte an meinen Haaren.
»Hab ich’s mir doch gedacht!« Mama war dabei, ihre Strickjacke auszuziehen, und hielt mitten in der Bewegung inne. »Dass der arme Junge sich neben all