Seewölfe Paket 34. Fred McMason
der Karavelle ins Wasser eingeschlagen und zauberte dicht neben dem Bug eine riesige Fontäne von Wasser und Schlick in die Höhe. Das zweite Geschoß heulte über das Wasser, traf Schanzkleid und Tauwerk und wirbelte Holztrümmer in alle Richtungen. Im Nebel war vage zu sehen, wie einige Gestalten über das Deck hasteten.
Al Conroy zündete die dritte und vierte Culverine. Die Detonationen vermischten sich, die Seewölfe husteten, als die riesige Pulverrauchwolke quer über Deck trieb und das Focksegel einhüllte.
Ein Geschoß jaulte zwischen den Segeln und dem Schanzkleid über das Deck der „Ghost“ und zerschmetterte einen Teil der achterlichen Aufbauten. Aber dieser Treffer war nicht deutlich zu erkennen. Die andere Kugel zerfetzte einen Baum am Ufer und ließ die Baumkrone auf das Deck hinunterkrachen. Deutlich sahen die Seewölfe die große, dunkle Masse aus Ästen und Blättern. Das Ankertau des Engländers schnellte auf und nieder.
Aber Dan O’Flynn bemerkte noch etwas anderes.
Am Großmast glitt eine Flagge hoch und entfaltete sich knapp außerhalb des Dunstes. Gleichzeitig brüllte eine aufgeregte Stimme fremdartige Worte über die Bucht.
„Die Flagge! Es ist keine englische!“ brüllte Dan.
„Feuer einstellen, Al“, befahl Hasard unüberhörbar laut und scharf.
„Aye, Sir!“ brüllte Al Conroy zurück und riß seine Hand mit der Lunte, die er auf das Zündloch des fünften Geschützes hatte hinunterdrücken wollen, zur Seite.
„Das ist ein Holländer!“ rief Jan Ranse. „Hört auf! Ein falsches Schiff! Nicht die ‚Ghost‘ Sir!“
„Hab’s verstanden“, knurrte Hasard. „Was sagt er?“
„Afbreken“, erwiderte der Rudergänger und schrie Piet Straaten zu: „Kannst du verstehen, was er brüllt? Antworte ihm!“
„Ja. Gleich.“
Afbreken bedeutete „abbrechen, aufhören.“
Hasard nickte und gab Ben den Befehl, die Schebecke vorsichtig in die Bucht zu manövrieren. Er endete: „Vielleicht gehen wir längsseits. Piet, erkläre dem Holländer, daß es uns leid tut. Wir … Du weißt schon, was du zu sagen hast.“
„Klar, Sir.“
Während die Schebecke in den Wind ging und drehte, brüllten die Holländer etwas von „nevel“ und „mist“, „siechte zieht“, „laagwater“ oder „anlerpaats“. Mit killenden Segeln, das Großsegel wurde aufgegeit, glitt die Schebecke auf die Bucht zu. Al wartete das nächste Kommando ab. Die Seewölfe standen aus der Deckung auf und blickten zu dem Niederländer hinüber, während die Schreie über das Wasser hallten.
Piet erklärte atemlos: „Ich habe ihm gesagt, daß wir eine englische Karavelle mit Hundesöhnen an Bord seit Tagen verfolgen und die Schiffe verwechselt haben. Es muß wirklich ein Holländer sein, Sir, denn keiner an Bord der ‚Ghost‘ könnte ein solch holländisches Register an Flüchen haben.“ Er grinste und holte wieder Luft.
„Weiter.“
Piet nickte und berichtete: „Er liegt hier, weil er Reparaturen ausgeführt hat. Planken, Unterwasserschiff. Einer von der Vereenigten Oast-Indischen Compagnie. Ich habe ihm gesagt, daß wir kommen und uns entschuldigen.“
„Sprachst du mit dem Kapitän?“
„Ja. Van Stolk heißt er. Mit der Entschuldigung ist er nicht zufrieden, er ist schließlich ein niederländischer ehrbarer Kaufmann, wie er sagte.“
Hasards Lippen zeigten ein verlegenes dünnes Lächeln. „Wir wären auch nicht mit einer Entschuldigung zufrieden. Sage ihm, daß ich ihn entschädigen und beim Aufklaren der Schäden helfen werde.“
„Klar, sage ich!“ rief Piet und winkte zu der Karavelle hinüber, an deren Bug sich drei Gestalten zeigten. Sie standen auf der Back und versuchten ihrerseits, die Crew und das Schiff deutlicher zu sehen. Dann brüllte Piet wieder seine holländischen Sätze hinüber, von denen die übrige Crew bestenfalls nur Teile verstand.
Jeder sah Hasard an, daß er sich über diesen Irrtum ärgerte. Beinahe hätten sie einen unschuldigen Kauffahrer zu den Fischen geschickt. Der Erste schaute in Hasards Augen und breitete die Arme in einer Geste der Verlegenheit aus.
„Jeder von uns war überzeugt, daß es die ‚Ghost‘ sei, Sir“, sagte er bekümmert.
„Die Karavellen gleichen sich“, stellte der Profos fest, „wie ein verdammtes Ei dem anderen.“
„Wahrscheinlich sehen wir schon ein paar Unterschiede, wenn wir näher heran sind“, meinte Old Donegal.
Fock und Besan wurden aufgegeit, die Strömung zog die Schebecke auf die Bucht zu.
Ben Brighton rief: „Klar bei Riemen! Acht Stück!“
„Aye, Sir.“
Jan Ranse an der Pinne sagte mit einem unterdrückten Grinsen zu Hasard und Ben: „Dieser Kapitän dort drüben ist wütend. Er hatte sein Schiff in die Bucht verholt und repariert und wollte ankerauf gehen, sobald sich der Nebel gelichtet hat. Und da jaulten plötzlich die Kugeln heran. Das bedeutet längeren Aufenthalt für ihn, Sir.“
„Das sehe ich ein. Ich gehe drüben an Bord und spreche mit van Stolk“, versicherte Hasard.
Nach wie vor sprachen Piet und Jan mit dem holländischen Kapitän und vermutlich seinem Ersten. Die Entfernung verringerte sich stetig, während sich der Bugspriet der Schebecke auf die Bucht richtete und Smoky von der Back aus, weit nach vorn gelehnt, die Tiefe ausrief.
„Langsam voraus! Fünf Fuß unterm Kiel!“
Der Bugspriet bohrte sich in den feuchten Dunst. Eine auslaufende Welle hob das Heck und den Bug des schlanken Schiffes. Die Enden der Ruderblätter berührten den Grund, die Seewölfe stakten und schoben die Schebecke hinüber zur Bordwand der Karavelle. Holztrümmer und Splitter schwammen neben den Planken im Heckbereich. Die Holländer sägten an den Ästen des umgestürzten Baumes.
„Es ist die ‚Zuiderzee‘, Sir“, meldete Jan Ranse. „Der Erste heißt Martin Lemmer.“
Jetzt waren sie nahe genug, um trotz des Dunstes die Holländer genau zu sehen. Die Schwüle zwischen den Bäumen trieb den Männern den Schweiß auf die Haut. Philip junior sprang ins Wasser, übernahm das Tau und watete zum Ufer.
Hasard hob die Hände an die Lippen, nachdem er das Spektiv zusammengeschoben und in die Tasche gesteckt hatte: „Ich bin Philip Hasard Killigrew, Engländer, wie Sie inzwischen wissen. Bitte, an Bord kommen zu dürfen.“
Der Kapitän der „Zuiderzee“ hatte nackenlanges, dunkles Haar und einen sorgfältig rasierten Oberlippenbart. Auch der Mann neben ihm trug ein sauberes, helles Hemd aus gutem Stoff. Die mächtigen Gürtelschnallen schienen versilbert zu sein.
„Kommen Sie an Bord, Kapitän“, entgegnete van Stolk in langsamem, schwerfälligem Englisch.
Jung Philip kehrte zurück, reichte das Ende hoch und schwang sich über die Bordwand, nachdem er zugesehen hatte, wie die Landleine belegt worden war.
Hasard krempelte die Hosenbeine auf, kletterte von der Kuhl ins Wasser und auf der Jakobsleiter der „Zuiderzee“ über das Schanzkleid der Karavelle. Er warf schnelle Blicke auf die Schäden und streckte dem Kapitän, der einen Kopf kleiner war als er, die Hand entgegen.
„Wieviel kostet es, Ihre gute Laune wiederherzustellen?“ fragte er.
„Ich bin Willem van Stolk. Hier, mein Erster, Martin Lemmer. Der Bootsmann Antony Leuwen fängt schon an, seine Werkzeuge zu schärfen.“
Die Kapitäne schüttelten sich die Hände. Der Händedruck des Ersten war ebenso hart wie der seines Kapitäns.
„Ich bitte Sie um Entschuldigung“, sagte Hasard förmlich. „Wenn ich Ihnen erzähle, warum wir so schnell mit unseren Culverinen waren, dann werden Sie es mir, hoffentlich, nachsehen.“
Das