Seewölfe Paket 34. Fred McMason
und schoben sich von Südosten unaufhaltsam höher. Noch regnete es nicht, aber es würde nicht mehr lange dauern.
„Das wird eine höllische Nacht!“ schrie Ruthland durch das Knarren, Jaulen und Krachen. „Wir müssen einen sicheren Ankerplatz finden!“
„Dort drüben, Francis.“ Lefray zeigte nach Backbord. Das Ufer war an dieser Seite höchstens eine Meile entfernt. Das Steuerbordufer war hinter den hochgehenden Wellen und dem Schleier aus Gischt und Wassertropfen nicht mehr zu erkennen. „Wir müssen die Jagd aufgeben. Wenigstens für heute. Die Nacht stehen wir nicht durch, wenn’s so weitergeht.“
„Du hast recht.“
Der Nordwind hatte sie gezwungen, den Kurs zu ändern. Überdies hatten sie das nördliche Ende der Bucht erreicht und die Schebecke nicht gesehen. Die Karten schienen zwar die tiefen Landeinschnitte richtig wiederzugeben, aber auf ihnen war längst nicht jede Bucht verzeichnet. Bis jetzt hatte die „Ghost“-Crew jedenfalls vergeblich gesucht.
„Dicht unter Land halten. Wir suchen einen Ankerplatz!“ schrie der Erste.
„Aye, Sir.“
Die Karavelle krängte weit nach Steuerbord. Die Regenwolken erreichten die Sonne und schoben sich vor die rötliche Scheibe. Schlagartig nahm die Helligkeit ab. Der Bug der Karavelle schwenkte zögernd nach Backbord, die Rahen knarrten laut, als die Segel getrimmt wurden. Die „Ghost“ stampfte auf die langgestreckten Dünen hinter der Brandung zu.
Im Südwesten fiel der erste Regen aus den Monsunwolken. Breite Streifen ließen die Kimm im Grau versinken. Die nächste Bö heulte von Westen heran und ließ die „Ghost“ weit nach Backbord überholen. Die Segel fingen zu killen an, bis der Rudergänger das Schiff wieder auf den richtigen Kurs brachte.
Francis Ruthland peilte zum Ufer hinüber. Sein Gesicht zeigte, daß er keineswegs zufrieden war mit dem, was er durch den Kieker sah. Die Dünen gingen in einen sandigen Strand über, die Brandungswellen überschlugen sich auf dem flachen Hang und zischten weit über die Flanken der Hügel aus Sand und Lehm. Kümmerliche Büsche wuchsen auf den Dünenkronen.
Ruthland war sich so gut wie sicher, daß die Wassertiefe für einen sicheren Unterschlupf zu gering war. Obendrein gab es auf den nächsten Meilen des Strandes nicht den geringsten Schutz vor dem Wind.
Er rief den Rudergänger an. „Südkurs, Michael. Das Ufer taugt nichts.“
„Verstanden, Kapitän.“
Glücklicherweise drehte der Wind innerhalb der nächsten halben Stunde und wehte, wieder kalt und trocken, aus Norden. Trotzdem rückten die Regenschleier drohend näher. In den Wolken riß ein Loch auf und blutrotes Licht ließ einen gewaltigen Wolkenturm im Südosten aufleuchten.
„Gewitterwolke!“ rief Lefray gegen den Sturm.
„Auch das noch“, stöhnte Ruthland.
Eine Stunde lang kämpfte sich die Karavelle nach Süden, während der Wind mehrmals seine. Richtung änderte. Die Wellen waren noch nicht so hoch, daß sie eine wirkliche Gefahr darstellten, aber die Oberfläche ließ Kreuzseen erkennen. Eine Dünung baute sich auf, die das Schiff torkeln, in den Wellentälern versinken und hoch auf die Wellenkämme steigen ließ. Die schweren Schauer von Spritzwasser kamen von Steuerbord und Backbord, meist vom Bug und, seltener, über die achteren Aufbauten.
Die Crew trimmte unentwegt die Segel. Die „Ghost“ konnte sich von den Untiefen freihalten, und langsam zog eine Küste vorbei, die wenig Gutes versprach. Hinter den Dünen schien es nicht einmal Eingeborenenhütten zu geben.
Coughlan klammerte sich auf der Back, über dem Kranbalken des Ankers, ans Schanzkleid und starrte nach unten. Er versuchte zu sehen, ob sie genug Wasser unterm Kiel hatten. Das Lot und die aufgeschossene Leine hingen über seiner Schulter.
Jetzt hatte Ruthland ein anderes Problem, als den Seewolf zu suchen. Er mußte verhindern, daß sie in der Nacht vom Kurs abkamen, das sichere Tiefwasser verließen oder auf Legerwall getrieben wurden.
Die Sonne war vollständig verdeckt. Der Wind aus dem nördlichen und westlichen Sektor ließ nach, während sich sowohl die Monsunwolken als auch das turmartige Gebilde der Gewitterwolke vergrößerten.
„Hugh“, sagte Ruthland und hoffte möglichst bald am Ende der Dünen und des Sandstreifens eine Bachmündung oder eine Bucht zu entdecken, „das sieht nicht gut aus.“
„In einer Stunde spätestens ist der Regen über uns“, antwortete Lefray. Sie waren seit der Morgendämmerung nicht aus den Stiefeln gekommen und total erschöpft. „Dazu das Gewitter. Wenn wir keine Bucht finden, müssen wir wieder aufs Meer hinaus verholen.“
„Sehe ich ein“, entgegnete Ruthland. „Aber bisher hatten wir immer Glück.“
Auch die Mannschaft war unruhig geworden. Immer häufiger warfen sie lange Blicke voller Besorgnis zum Strand hinüber. Die Dünen schienen höher geworden zu sein, auch der Bewuchs nahm zu. Einzelne Bäume schoben sich hinter dem Sand in die Höhe. Nicht ein einziger Vogel war in der Luft, die Tiere schienen den aufziehenden Sturm zu fürchten.
„In gut einer Stunde ist es unmöglich, zu sehen, wohin wir segeln.“
„Wissen wir, Francis“, erwiderte Lefray und schüttelte sich, als ein Schauer von Tropfen sein Gesicht traf.
Die Verbände der „Ghost“ knarrten und knirschten. Noch reichte der Wind, um das Schiff in guter Fahrt durch die Wellen zu schieben. Wieder hoben Ruthland und Lefray ihre Spektive. Die Sicht wurde in dem rötlichen Zwielicht immer schlechter, aber am Ende dieses Strandabschnittes schoben sich kantige Felsen zwischen den Dünen bis zum Wasser vor.
„Vielleicht gibt es ein Loch für uns hinter den Felsbrocken!“ rief Ruthland, als er die hochschießenden Brandungswellen und den Gischt an den zerklüfteten Steinen erkannt hatten.
„Abwarten.“
Es war ein Wettrennen zwischen Dunkelheit und der Hoffnung, doch noch einen Ankerplatz zu finden, der gegen allzu hohe Wellen, gegen Sturm und Gewitter schützte. Die Zeit schien viel zu langsam zu vergehen, die Karavelle näherte sich dem äußersten Punkt des Ufers mit der Langsamkeit einer Schildkröte – so schien es den Kerlen.
Die Felsen bildeten ein kleines Kap. Als die „Ghost“ näher stampfte, stellte sich heraus, daß die Dünen flacher wurden, daß aus den einzelnen Felsen eine schräge, wuchtige Felsplatte wurde, in der ein breiter Spalt klaffte, so breit wie die „Ghost“ lang war.
Hinter der Felsplatte begann ein niedriger Wall aus Büschen, dann erstreckte sich bis zur Kimm nur eine Landschaft aus Dünen und schräg ansteigendem Sandstrand.
Lefray richtete schweigend und voller neuer Hoffnung den Kieker auf die Stelle und erkannte, daß sich hinter dem Spalt ein kleiner Fjord im Fels öffnete, dessen Wände doppelt so hoch aufragten wie die Masten der Karavelle.
„Das ist es, Francis!“ brüllte Lefray begeistert.
Der Kapitän hatte den Einschnitt im selben Augenblick entdeckt. Sofort rief er seine Befehle aus. Die Karavelle verschwand wieder in einem Wellental, der rettende Felsdurchbruch senkte sich hinter den Wellenkamm.
Die „Ghost“ schüttelte sich, als der Rudergänger sie nach Backbord zwang. Die ersten Regentropfen, nur ein leichter Schauer, prasselte in die Segel und auf die Planken, aber der Wind hatte nachgelassen.
Kommandos und Bestätigungen hallten über das Deck. Die Segel wurden backgebraßt, und in einem Viertelkreis, stampfend und gischtend, schwang der Bug herum. Der Bugspriet zielte genau auf die Mitte der Passage zwischen den Felsen. Im Bereich der Brandung sprangen gerundete Klippen und Brocken weit ins Wasser vor, die Felswände und der Hintergrund des kurzen Fjordes waren zerrissen und zerklüftet.
„Genug Wasser unterm Kiel!“ rief Coughlan von der Back.
Wieder wurden die Riemen losgebändselt und in Bereitschaft gehalten. Die Karavelle verlor an Fahrt. Der Wind aus Südwesten packte das Schiff, während die Segel aufgegeit wurden.