Häuser des Jahres 2020. Katharina Matzig
ein Feld von 24 auf 20 Meter, jede Seite erhielt einen Einschnitt in ihr Volumen. Straßenseitig wird er, mittig liegend, als gedeckter Vor- und Eingangsbereich genutzt. Die beiden seitlichen Fassaden, die sich auf die Wiesenflächen orientieren, erhielten je eine kleine Loggia. Richtung Weinberg und Zürichsee erfolgte die größte Zäsur: Eine drei Meter tiefe Veranda vergrößert sich in der Gebäudeachse zum Hof.
Die überhohe Halle ist das Zentrum des Hauses und wichtigster Aufenthaltsort der Familie. Zwei flankierende Erschließungsschlaufen führen als Rundlauf jeweils ins Ober- sowie ins Untergeschoss. Eingefärbter Kalkputz, Eichenparkett und Naturstein harmonieren in den Innenräumen.
Außen wird die naturnahe Materialisierung aus erdigem Kratzputz von einem Skelett aus filigranen Glasfaserbetonelementen zusammengehalten. Ein einheitliches Fenstermodul bespielt die unterschiedlichen Fassaden: Ralph Brogles und Marco Zbindens Sprossenfenster wurden als zweiteilige Schiebefenster mit Minimalprofilverglasungen ausgebildet. In den überdachten Bereichen lassen sie sich bei Bedarf komplett in einer Wandtasche verstauen.
Urteil der Jury
von Katharina Matzig
Zu den Gretchenfragen in der Architektur gehören vermutlich die folgenden beiden: Sprossenfenster: ja oder nein? Grundriss- und Fassadensymmetrie: ja oder nein? Die Antworten scheinen klar: nein. Und nein. Nicht im Jahr 2020. Das war es dann mit dem Auftrag am Zürichsee. Schade.
Es sei denn, die beauftragten Architekten heißen Ralph Brogle und Marco Zbinden. Deren Büro heißt ganz offensichtlich nicht nur Think Architecture, die Architekten agieren auch dementsprechend: Sie denken erst, bevor sie planen und bauen. Sie machen es sich nicht leicht und werfen ihre Prinzipien nicht über Bord, nicht für Honorar. Sodass aus einem Sprossenfenster ein ästhetisch anspruchsvolles, filigranes und minimalprofiliertes Schiebeelement wird. Und aus einem symmetrischen Haus ein Solitär, der elegant und durchaus auch repräsentativ ist, wie es sich auf einem solch großen Grund gehört. Was hätte hier alles schiefgehen können! Entstanden jedoch ist eine wunderbar wohnliche und einladende Villa. Sie bietet öffentliche Räume ebenso wie private Rückzugsbereiche. Sie protzt nicht, sie prunkt nicht: Wertig und wohlproportioniert behaust sie eine Familie.
Quod erat demonstrandum: Man kann Ja zur Symmetrie sagen. Und Ja zum Sprossenfenster. Statt eines lebensfernen hierarchischen Ordnungssystems entwickelte Think Architecture ein Haus, das seine Bewohner nicht auf Distanz hält und Benehmen verlangt, sondern in dem es sich leben lässt. Sehr gut vermutlich.
Wenn Architekten sich so souverän in der Architekturgeschichte bewegen und Elemente der Antike, der Renaissance und des Barock so zeitgemäß und qualitativ hochwertig zu interpretieren wissen, dann ist das anerkennenswert. Wer die Vergangenheit in die Zukunft denkt, vor dem verneigt sich die Jury.
Eine abgesenkte Außenlounge rahmt den Baum im Hof. Er markiert den Abschluss einer Reihe von symmetrisch ausgerichteten Repräsentationsräumen, die die gesamte Tiefe des Hauses bereits beim Eintritt erlebbar machen.
Das Schlafzimmer
Im Uhrzeigersinn: Küche; Enfilade Wohnen, Hof, Küche; Blick in den Wohnraum; Veranda
„Wir stellen grundsätzlich vermehrt fest“, meint Marco Zbinden, „dass Bauherren über soziale Medien wie Pinterest oder Instagram bereits viele Eindrücke gesammelt haben, wie ihr Haus, gewisse Räume, Materialien und sogar Details aussehen sollen. Wir finden es positiv, wenn sich die Bauherrschaft bereits intensiv mit ‚guter‘ Architektur befasst hat und eine Vorstellung hat, was ihr gefällt. Unsere Aufgabe wird neben dem Kreieren von Räumen jedoch vermehrt auch das Kanalisieren von Ideen und das Aufzeigen, welche ‚Bilder‘ wie interpretiert werden können. Nur so entsteht mehr als eine Reproduktion und Addition von Gesehenem. Bei diesem Projekt hat das sehr gut geklappt.“ Stimmt.
Querschnitt
Längsschnitt
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Untergeschoss
Material/Hersteller: Außenwand/Fassade: Betonelemente, Elementwerk Istighofen, Istighofen, Kratzputz, Isi & Hegglin, Stäfa | Fenster: Filigranverglasungen Sky-Frame, Frauenfeld | Sonnenschutz: Spezialanfertigung, MD-Morandi, Erlenbach | Innentüren: Schreinerei Burger, Endingen | Beschläge: USW Piet Boon | Parkett und Laminat: DiLegno Fischgrätparkett in Eiche, Woodrangers, Meilen, Kolly & Schweizer, Höri | Fliesen und Naturstein: Solid Nature | Armaturen: Dornbracht Tara | Beleuchtung innen: PS Lab, Stuttgart | Küche: Schreinerei Burger, Endingen • Beteiligte Unternehmen: Zusammenarbeit Innenarchitektur: Atelier Zürich, Zürich | Landschaftsarchitektur: Enea, Rapperswil-Jona
Maßstab
M 1:400
1Eingang
2Halle
3Veranda, Hof
4Wohnen
5Musik
6Kochen
7Arbeiten
8Schlafen
9Bad
10Garage
11Lager
12Wein
13Zimmer
14Ankleide
„Das Haus am Weinberg erbringt den Beweis, dass die symmetrische Raumorganisation nach wie vor ihre Berechtigung hat und zeitgenössisch umgesetzt werden kann.“
Think Architecture
Ralph Brogle, Marco Zbinden
Anzahl der Bewohner:
4
Wohnfläche (m2):
480
Grundstücksgröße (m2):
1.200
Standort: Zürich (CH)
Bauweise: Massivbau
Fertigstellung: 05/2019
Architekturfotografie:
Simone Bossi, Malnate