Häuser des Jahres 2020. Katharina Matzig
Das Steinhaus
Anerkennung
VON
wespi de meuron romeo architekten bsa
IN
Ascona (CH)
Abgerissen werden durfte das Haus nicht, aufgrund der Grenzabstände hätte es nicht wiederaufgebaut werden können. Erhaltenswert war es aber auch nicht. Den Umbau gestalteten die Architekten ortstypisch und dabei zeitgemäß.
Ascona ist der tiefstgelegene Ort der Schweiz. Er liegt auf 196 Metern über Meer am Nordufer des Lago Maggiore. Ascona ist für seine Altstadt, die Seepromenade und das milde Klima berühmt. Oberhalb des Dorfs liegt der Monte Verità, der Berg der Wahrheit. Die Bauherren waren sich der Schönheit und Bedeutung des Ortes ebenso bewusst wie der baukulturellen Verantwortung, die ein Umbau an städtebaulich interessanter Lage mit sich bringt: Das Haus mit romantischem Palmengarten hat einen Blick auf die Dächer des Dorfs, auf den Lago Maggiore und die Berge. Das Büro, das sie mit der Planung beauftragen wollten, suchten sie daher sorgfältig aus, sie studierten Publikationen und Websites und entschieden sich für wespi de meuron romeo architekten bsa aus Caviano.
Das Quartier an der Via Rondonico liegt an einem Steilhang. Es wird geprägt von hohen Stützmauern, die meist traditionell aus Natursteinen gemauert sind. Das bestehende Haus war architekturhistorisch allerdings nicht bedeutsam. Es abzureißen kam trotzdem nicht in Frage, es hätte aufgrund der engen Grenzabstände nicht wiederaufgebaut werden dürfen. Markus Wespi und Jérome de Meuron, die seit 2002 zusammenarbeiten und 2012 Luca Romeo als dritten in ihren Architekturbund aufnahmen, entschieden sich daher für einen identitätsstiftenden Umbau.
Der schöne, terrassierte Garten und die ortstypischen Natursteinmauern prägen das Konzept. Sie geben dem steinernen Kubus Halt, bilden eine scheinbar gewachsene Einheit mit dem alten Garten und sorgen innenräumlich für Atmosphäre. Die historische Technik des Pietra Rasa, bei der das Verfugen mit dem Verputzen auf Feld- und Bruchsteinmauern kombiniert wird und der überschüssige Setzmörtel glatt auf die Steinoberflächen verstrichen wird, so dass die Steinköpfe unbedeckt und sichtbar bleiben, fügt das neue Haus angemessen und dabei unübersehbar zeitgemäß in seine Nachbarschaft.
Die bestehende Natursteinstützmauer entlang der talseitigen Straße wurde in Teilen abgebrochen, dort entstand ein großzügiger Eingang mit natursteingepflastertem Parkplatz. Ein Technikraum, Lager sowie Platz für Räder entstand unter Terrain hinter der verbleibenden Stützmauer. Eine sanft ansteigende Rampe führt nun auf das untere Gartenniveau. Die Erschließung der beiden Gebäudegeschosse durch Gartentreppen und Natursteinstützmauern konnte weitgehend erhalten und genutzt werden.
Außer dem Entree mit Garderobe finden im Untergeschoss zwei Zimmer Platz sowie der stimmungsvoll-dunkle Wellnessbereich. Die Außenloggia verbindet in den Garten. Das Obergeschoss beherbergt einen Schlafraum mit Bad und Ankleide. Talseitig öffnet sich die großzügige Wohn-, Ess- und Kochhalle der Aussicht, dem Palmen- sowie dem bergseitigen Felsengarten mit Badebrunnen. Vom Innen- und vom Außenkamin bleibt der Lago Maggiore im Blick.
Urteil der Jury
von Christian Pohl
Wenn man wie ich aus der westfälischen Tiefebene kommt und von dort in Richtung Süden schaut, geht der Blick schon allein geografisch nach oben. Darüber hinaus ist meine Einschätzung, dass auch die Qualität der Architektur zunimmt, je mehr man sich dem Land nähert, in dem sich das jetzt vorgestellte Projekt befindet: Es ist in der Schweiz und hier in Ascona am Lago Maggiore. Es handelt sich dabei um ein Gebäude von höchster architektonischer Qualität – und es ist mehr als das: Es ist ein Gebäude, das von einer bewundernswerten Haltung zeugt. Es verbindet Vorgefundenes mit Neuem, es interpretiert einen Ort und schafft einen besseren, es bringt Landschaft und Natur mit Gebautem in Einklang, es verbindet Innen mit Außen und Außen mit Innen, es schafft fantastische Aus- und Einblicke – und all das mit einer beeindruckenden Anmutung und Atmosphäre. Dies gelingt über die präzise Inszenierung der Räume und Raumfolgen schon beginnend im Außenraum, dies gelingt über eine entsprechende Wege- und Lichtführung – und dies gelingt nicht zuletzt durch die Fügung der Bauteile und Materialien mit feinstem Gespür zu einem Bau-Werk. Grobes und Feines, Großes und Kleines, Vieles und Einzelnes, Raues und Glattes, Mattes und Poliertes. Und alles: ein fein gestimmtes Ganzes. So entsteht eine menschliche Architektur, die sich in vorbildlicher Art und Weise mit den Elementen und dem Elementaren auseinandersetzt. Mein ausdrücklicher Glückwunsch geht an die Bauherren und natürlich, voller Respekt: an die Architekten!
„Wir versuchen mit guter architektonischer und technischer Qualität möglichst langlebige und rationelle Bauten zu schaffen, um dem problematischen Land- und Ressourcenverbrauch entgegenzuwirken“, meinen die Architekten. „Am Bau von Einfamilienhäusern reizt uns besonders die Auseinandersetzung mit den individuellen Ansprüchen der Bewohner und die Einpassung in die Umgebung.“ Das sieht man.
Querschnitt
Längsschnitt
Grundriss Obergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss Zugangsgeschoss
Beteiligte Unternehmen: Bauingenieur: de Giorgi & Partners, Muralto | Bauphysik: IFEC Ingegneria SA, Rivera | Baumeister: Franco Pedrazzi & Figli SA, Golino | Fensterbauer: Huber Fenster AG, Herisau | Schreinerarbeiten: Steiner Schreinerei, Erlen
Maßstab
M 1:400
1Parkplatz, Räder, Lager, Technik
2Zugang
3Schlafen
4Sauna, Bad
5Kochen, Essen, Wohnen
6Innen- und Außenkamin
7Bad
„Architektur, zeitlos selbstverständlich, verwoben mit Baukultur und Ort, verwurzelt wie da gewesen, mehr Entdeckung als Erfindung, aus Altvertrautem Neues schaffen, Atmosphäre, Licht, Schatten, das mögen wir.“
wespi de meuron romeo architekten bsa
Markus Wespi, Jérôme de Meuron,
Luca Romeo