Glam. Simon Reynolds

Glam - Simon  Reynolds


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machen, was eigentlich seit ›Hi-Heel Sneakers‹ [1964 erschienene Single von Tommy Tucker – Anm. d. Ü.] niemand mehr gemacht hat«, sagte Bolan ZigZag. Er behauptete, »Hot Love« zu schreiben, habe nur zehn Minuten gedauert: »Eines nachts haben wir sehr viel getrunken, so vier Flaschen Brandy, es war 4 Uhr morgens. Und dann schrieben wir einfach.« Der Song war zumindest simpel; der honigsüße Glanz, den Produzent Visconti dem Song verpasst hatte, und die feinen Details des Arrangements aber waren alles andere als Wegwerfprodukte. »Hot Love« war die erste Bolan-Nummer mit Hintergrundgesang von Howard Kaylan und Mark Volman, vormals bei den Turtles und später, als Flo & Eddie, Kollaborateure von Frank Zappa and The Mothers of Invention. Mit ihrem schmachtenden und überzeugenden Gesang verliehen sie dem T.-Rex-Sound einen cremigen Touch, der im langen »Hey Jude«-mäßigen Fade-out von »Hot Love« in schwindelerregende Höhen getrieben wurde.

      Von seinem bluesigen, dahintuckernden Groove bis zum vage in Richtung Doo Wop schielenden Hintergrundgesang hatte »Hot Love« nichts essentiell Neues zu bieten. Und doch ist alles daran neu – oder zumindest frisch: das Gefühl, die Leichtigkeit. Das geht teilweise auf Viscontis Produktion zurück, liegt aber vor allem an Bolans Präsenz und Persönlichkeit, mit der er bewies, dass man originell sein kann, ohne in nachvollziehbarer Weise innovativ zu sein. Talent leiht, Genie stiehlt.

      Als Blues ohne Testosteronüberschuss zielte »Hot Love« vor allem auf die gerade aufkommende Sexualität von Mädchen im Alter zwischen elf und fünfzehn. Bolan spielt einen Vasall, der mit seiner soften Stimme als Gentleman durchgehen könnte, einen »Arbeiter der Liebe«, der so schamhaft flirtet, wie es nur geht: »I don’t mean to be bold but may I hold your hand?« Wenn er die Titelzeile ausspricht, klingt es, als wäre er derjenige, der sich vor Liebe aufgibt. »Hot Love« ist auch der Song, in dem er erstmals sein Repertoire an schweren Atemzügen und gemurmelten Stöhngeräuschen zur Schau stellt, die den Mädchen bei seinen Auftritten dann die größten Kreischer entlockten.

      Um den Teeniemarkt erfolgreich zu verführen, war sein neues feminines Aussehen von besonderer Bedeutung: Satin-Jacken, Federboa-Schals, ein Pelzmantel, den er sich von Junes Mutter ausgeliehen hatte und – für die Auftritte bei Top of the Pops, die die ganze Glam-Ära einläuten sollten – ein Tupfen Glitter auf den Wangenknochen. Darüber, wer diese schlaue Idee hatte, herrscht Uneinigkeit: War es June? Chelita Secunda, die Ehefrau seines neuen Managers? Oder ein plötzlicher Impuls von Marc selbst? Bolan-Experte Dave Mantell nennt die zweite »Hot Love«-Performance bei Top of the Pops jedenfalls den Wendepunkt. Bolan trug einen »glänzenden, silbernen Matrosenanzug […] aus Samtstoff, der aber aussah wie Satin oder sogar Lamé« mit »tiefem Ausschnitt«, und fing während des Auftritts immer wieder an »zu kichern wie ein Mädchen«. Während Bolan im langen la-la-la-la-la-la-la-Outro seinen Schal in der Luft schwang, tanzten Mädchen aus dem Publikum auf der Bühne. Dieses Bild überlagerte das des silbern gekleideten, lächelnden Schönlings – und besiegelte Bolans Identifikation mit seinem neuen Publikum symbolhaft.

      Bolan wusste, dass sein Look – und gutes Aussehen generell – eine große Rolle in der Übergangsphase von T. Rex spielte. Er hatte verstanden, dass Pop – anders als Rock – als audiovisuelles Phänomen funktioniert, das junge Fans als einen einzigen Lichtstrahl an Empfindungen wahrnehmen. Was davon Bild ist, was Sound und was Worte, können sie nicht voneinander trennen. »95 Prozent meines Erfolgs kommen durch mein Aussehen«, sagte er Creem und fügte hinzu, dass es bei den Beatles oder den Stones auch nicht anders gewesen sei, so sehr sie nun auch behaupteten, dem Pop-Publikum entwachsen zu sein. Aussehen und Präsenz seien, »was das Aufsehen der Leute erregt. Die Musik ist sekundär. Man muss zwar auch gute Musik machen […], aber letzten Endes hat es nichts mit Musik zu tun.«

      Und doch: Wenn man sich Live-Aufnahmen von T. Rex auf der Höhe ihres Erfolges ansieht, etwa die großen London-Konzerte im Frühling 1972, ist es bemerkenswert, wie wenig theatralisch und glitterfrei sie im Vergleich zu späteren Glam-Stars oder den durchschnittlichen Popkünstlern im 21. Jahrhundert aussehen. Es gibt kein Bühnenbild oder Requisiten, abgesehen von einem lebensgroßen Papp-Marc am Rand der Bühne. Die Belichtung ist schwach und der Rest der Gruppe sieht ziemlich ungepflegt aus. Sogar Bolans Glam beschränkt sich auf eine Satinjacke und einen fedrigen Schal.

      Beim Megakonzert im Wembley-Stadion spielen T. Rex wie eine zusammengewürfelte Garagenband, die ihre Songs gerade noch so zusammenhalten kann. Bolans Tänze und Sprünge sind nicht choreografiert, sondern basieren schlicht auf seinem angeborenen Funk und einem Talent dafür, sich Bewegungen von seinen Vorgängern abzuschauen: Chuck Berrys Entengang, die Gitarren-schwingenden Gesten von Pete Townshend und Jimi Hendrix. Seine einzige echte »Routine« war, einen Schellenkranz auf seinem Griffbrett zu reiben, eine Menge Lärm zu erzeugen und ihn dann über den Gitarrenhals ins Publikum zu schleudern. Eine Darstellung von Masturbation, mit dem in die Menge geworfenen Schellenkranz als Platzhalter für das Ejakulat.

      Bolans androgyner Kleidungsstil (er war klein genug, um Frauenschuhe zu tragen) ließen Fragen über seine Sexualität aufkommen. Viele Gerüchte machten die Runde – etwa dass er nach einer Geschlechtsumwandlung Percussionist Mickey Finn heiraten wolle, der selbst sehr feminin war mit seinem langen dunklen Haar, schmalem Körperbau und edler Blässe. Bolan gefiel die Verwirrung, die seine Ambiguität stiftete. In einem Interview erzählt er, wie ihn im Speakeasy Club Mädchen darauf ansprachen, ob er denn »eine Schwuchtel« sei. Er nickte und fragte, ob sie denn »kleine Brüder zu Hause« hätten. Mit einem hämischen Grinsen spielte er den Journalisten die entsetzten Reaktionen der Mädchen vor.

      Im März 1970 sprach er mit ZigZag über seinen unbeschwerten Umgang mit Homosexualität und seine eigene Neugier auf Bisexualität: »Ich glaube, alle sollten lieben, was sie lieben, und ich mag die Vorstellung sehr, wie zwei Krieger in die Schlacht ziehen und sich geistig sehr nahe sind. Sie haben jetzt nicht tatsächlich auf dem Schlachtfeld gevögelt, aber innerlich standen sie total aufeinander.« Später, in der Dämmerung seines Daseins als Idol, spezifizierte er seine Sexualität, als er dem Record Mirror gegenüber bekannte, er sei »bisexuell, aber ich glaube eher heterosexuell, denn ich steh definitiv auf Brüste. Ich hab mir immer gewünscht, 100-prozentig schwul zu sein, das ist viel einfacher […]. Wie gesagt, ich hab alles ausprobiert, aber Frauen sind mir lieber.«

      Sex und sein öffentliches Äquivalent Tanzen haben bei Tyrannosaurus Rex nie eine große Rolle gespielt. Für T. Rex hätten sie kaum wichtiger sein können. Gegenüber dem NME erklärte er den Abgang Steve Tooks und T. Rex’ neue tanzbare Ausrichtung: »Ich war schon immer ein kleiner Tänzer […]. Der Split mit Peregrin kam tatsächlich teilweise daher, dass ich Boogie tanzen wollte.«

      »Boogie« war das Wort der Stunde. Marc beschrieb seine Songs als »boogie mind poems«, Boogie-Gedichte für den Kopf, und der T.-Rexploitation-Film hieß Born to Boogie. Das Wort hat eine lange Geschichte. Es lässt sich auf Boogie-Woogie zurückführen, einen Piano-lastigen Blues-Stil, zu dem Anfang des 20. Jahrhunderts getanzt wurde. Boogie-Woogie drang bis in die verschiedensten Bereiche amerikanischer Pop- und Volksmusik vor, von den Andrew Sisters bis zu John Lee Hooker, dessen »Boogie Chillen« leicht der Song gewesen sein könnte, durch den Bolan damit in Kontakt kam. Obwohl viele glauben, das Wort hätte dieselbe undurchsichtige etymologische Vergangenheit wie der »boogeyman« [Schreckgespenst – Anm. d. Ü.], gibt es eine alternative Theorie, die ins von den Franzosen kolonialisierte Louisiana und zu dem Wort »bouger« führt, das so viel bedeutet wie »sich bewegen«. Ein reizender Gedanke, bedenkt man das Zweitleben, dass Boogie in den 1970ern und 1980ern als Disco-Schlagwort führte: »Boogie Nights«, »Blame It on the Boogie«, »Boogie Wonderland« …

      Wie es die Ironie so will, war Boogie Anfang der 1970er alles andere als Glam. Seine Vertreter waren Bands wie Humble Pie, verschwitzte Typen aus Großbritannien, die in Amerika in großen Stadien spielten und deren Debüt-Single »Natural Born Bugie« Platz vier der UK-Charts belegte. Canned Heat, bärtige amerikanische Bluesstudenten, nahmen »Refried Boogie« auf, das aus einem einzigen, über vierzig Minuten langgezogenen Riff besteht und beide Seiten einer Platte der Doppel-LP Livin’ the Blues ausmacht. Obwohl Boogie technisch gesehen als Vierviertelrhythmus definiert wird, den man in zwölf statt sechzehn Töne unterteilt, erkennen ihn die meisten Hörer durch ihr Gefühl: seine Verbindung aus (traditioneller) Black Music und Swing, sein synkopierter Shuffle. Boogie


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