Emma schreibt. Armand Amapolas

Emma schreibt - Armand Amapolas


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immer verdattert daneben.

      »Bei aller Liebe, Hauke, aber du kannst doch nicht meine Fotos auf meinem Handy löschen, einfach so«, raffte sie sich schließlich auf und griff nach ihrem Handy. Hauke überließ es ihr ohne Widerstand und ohne ein weiteres Wort.

      »Emma, Mädchen, jetzt hör mir mal gut zu.« Tanja wurde ungewöhnlich ernst. »Ich kann ja verstehen, dass du stolz auf dich bist. Hauke und Tanja sind auch mächtig stolz auf dich, das kannst du mir glauben.« Hauke nickte Emma zu, seiner Frau ausnahmsweise keine Widerworte gebend. »Wie du unseren drögen LSB dazu gebracht hast, diese Nummer zu reißen, das war super. Echt super. Ganz offensichtlich warst du nicht die Erste, bei der er in seinem Büro die Hosen runtergelassen hat. Das hast du super gemacht. Große Klasse. Dem Hauke musst du das gleich alles noch mal haarklein schildern. Aber erst nach den Austern. Ich bin auch ganz sicher, dass unsere Leser die Geschichte verschlingen würden, Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe. Sie würden die Buchstaben förmlich ablecken. Und nicht nur unsere Leser. Die Revue wäre in aller Munde…«

      »Ob das jetzt das geeignete Sprachbild ist?«, fiel Hauke seiner Frau ins Wort, mit gespielter Sorge. Tanja grinste ihn an, dann wandte sie sich wieder Emma zu, schlagartig ernst werdend: »Aber nur einmal. Danach wären wir raus aus dem Geschäft. All unsere feinen Anwälte, Doktoren, Unternehmenslenker und auch die Politiker und ihre Gattinnen, Haukes rotarische Freunde: sie alle würden sich das letzte Heft der Revue gut aufheben. Wir müssten nachdrucken lassen. Und dann würden sie ihr Abo kündigen.«

      »Was so schlimm nicht wäre«, mischte sich Hauke ein: »Dann könnte Tanja endlich mal was Seriöses machen. Zum Beispiel Golf spielen. Oder sich zuhause um den Abwasch kümmern. Aber du, Emma, du würdest durch den Dreck gezogen.«

      »Bitte?«

      Etwas anderes fiel Emma nicht ein. Selten hatte sie sich derart klein und dumm gefühlt.

      »Denk doch mal nach!« Hauke rückte mit seinem breiten Korbstuhl enger an Emma heran und legte ihr die Hand fest aufs Knie. Derartiges hatte er noch nie getan, aller Flirterei zum Trotz. Die Geste war offenkundig väterlich gemeint. »Der gute Lambert ist ein Arschloch. Wer ihn kennt, wusste das schon immer. Er ist, das war mir allerdings so klar bisher noch nicht, auch ein Schwein. Und ein Idiot. Sich vor einer Journalistin zu exhibitionieren, darauf muss man erst mal kommen.« Damit zog Hauke seine Hand zurück.

      Emma konnte sich nicht erinnern, dass Hauke jemals zuvor so eindringlich, ernsthaft und so wortreich mit ihr geredet hatte. Oder in ihrer Gegenwart mit irgendjemandem sonst.

      »Aber Lambert Schulte-Bückendorf ist nicht nur ein großes Arschloch, er ist unser großes Arschloch. Er wird alle Register ziehen. Und er kann sich darauf verlassen, dass ihm zwar keiner glaubt, aber jeder so tun wird, als ob. Wahrscheinlich hockt er jetzt schon in irgendeiner teuren Anwaltskanzlei und lässt sich beraten. Ich kann mir gut denken, was er dort hört. Fakt ist, von mir könnte er den Rat billiger bekommen – würde er aber nicht. Was er tun wird, ist folgendes: er wird behaupten, und zwar noch bevor du auch nur eine Zeile in die Tastatur gegeben hast, er sei von dir gelinkt worden. Du hättest ihn verführt und provoziert. Wahrscheinlich hast du ihn geradezu vergewaltigt, ihm den Hosenlatz gegen seinen Widerstand aufgerissen, dem armen, harmlosen Lambert. Der ja schließlich auch nur ein Mann ist und in einer schwachen Minute – er hat ja so viel um die Ohren – sich fast hätte gehen lassen. Fast.«

      »Lambert und seine Anwälte werden dich als Schlampe dastehen lassen«, übernahm Tanja: »Womöglich werden sie sogar die Teneriffa-Story infrage stellen. Warst du damals wirklich so unschuldig, wie du behauptet hast? Der arme Mann, von dem du angeblich fast vergewaltigt worden bist, der ist schließlich tot. Und du lebst. Und jetzt hast du dich an den nächsten rangemacht. Der ehrenwerte Lambert Schulte-Bückendorf! Fast wäre er dein Opfer Nummer 2 geworden. Wenn seine ehrenwerten Anwälte nicht rechtzeitig dazwischen gegangen wären. Und LSB persönlich natürlich auch, der gelinkte, aber tapfere Mann. Er hätte den Vorfall sofort seiner Frau gebeichtet, kleinlaut und reuig. Und die hätte ihm vergeben, ganz die treue Gattin an seiner Seite. So etwa wird die Story laufen.«

      Hauke nickte ernst. Emma starrte abwechselnd Tanja und Hauke an, zu keiner weiteren Reaktion fähig.

      »Dein Privatleben würde durchleuchtet werden, wahrscheinlich von Detektiven«, nahm Hauke wieder den Ball auf. »Und von Reportern, allen voran die von der Bildzeitung. Die hätte die seltene Gelegenheit, sich zerknirscht zu geben: ›Hat die schöne Bild-Reporterin gelogen?‹ oder so ähnlich. Und Lamberts Anwälte würden dich mit Unterlassungsklagen beschießen, dass du nicht mehr stehen kannst. Und schneller pleite wärst, als du dich umdrehen kannst. Auch wenn der Journalistenverband dir Rechtsschutz gewähren sollte. Falls er das täte. Denn ob der Verband sich mit solchen investigativen Methoden identifizieren will, wie du sie offenbar angewandt hast…« Hauke wiegte zweifelnd das Haupt. »Aber jetzt lasst uns erst mal die Austern genießen. Die werden vom Rumstehen schließlich nicht besser.«

      Tanja griff sich eine der Muscheln, tröpfelte etwas Zitronensaft darauf und schlürfte sie genussvoll aus der Schalenhälfte. Sie schob die Platte näher an Emma heran. »Mädchen, greif zu!«

      Emma ignorierte die Aufforderung. Sie war baff. Und empört. Und fand endlich wieder Worte. »Dann soll ich jetzt also wohl dankbar sein, dass Hauke mein Foto gelöscht hat? Immerhin das einzige Beweismaterial dafür, dass dieser Mini-Clinton von Herten das Schwein ist und nicht ich! Und bei euch beiden sollte ich mich womöglich dafür bedanken, dass ihr mich die Story nicht habt schreiben lassen, über Haukes ehrenwerten rotarischen Freund! Ihr seid wahrhaft edle Menschen! Ihr macht euch Sorgen um mich, um meine Reputation und meinen Kontostand! Und kein bisschen um euren Kontostand! Um euer elendes Promiblättchen und die Einladungen zu Empfängen und Galas und Bussi-Bussi-Events. Die ihr womöglich sausen lassen müsstet, wenn ihr hinter mir ständet, wie es sich gehören würde! Wenn ihr euch mit eurem LSB anlegen würdet. Nein, darum geht es euch nicht. Wisst ihr was? Ich könnte kotzen.«

      Und damit sprang Emma auf und steckte ihr Handy ein. Sie nickte den beiden höflich zu, schob ihren Korbstuhl ordentlich an den Tisch zurück und lächelte den Kellner freundlich an, der aus gebotenem Abstand die Szene interessiert beobachtet hatte.

      Kerzengerade verließ Emma das gekieste Areal, mit weichen Knien. Wissend: sie war jetzt wieder arbeitslos. Aber den aufgenommenen Text, den hatte sie noch!

      Emma konnte gerade lange genug die Haltung bewahren, bis sie um eine der mannshohen Hecken gebogen war, die den Restaurantgarten vom restlichen Schlosspark abschirmten. Dann kamen ihr die Tränen. Sie schossen einfach hoch. Emma konnte sich dagegen nicht wehren. Ihre Knie fühlten sich an, als wären sie aus Gummi. Sie suchte Halt an einer Parkbank, setzte sich. Zwei ältere Damen, die einen molligen Kurzhaardackel spazieren führten, blickten sie erstaunt an und wirkten, als wollten sie Hilfe anbieten. Emma lächelte ihnen zu, auch wenn es sie anstrengte, und winkte ab.

      Sie musste nachdenken. Aber erst sollte sie vielleicht mal nachsehen, ob Hauke die Fotos wirklich gelöscht hatte. Wer weiß, vielleicht hatte er sich in der Taste vergriffen, so techniktrottelig wie er sich gerne gab.

      Emma hatte es natürlich schon geahnt: Hauke gab sich gern trottelig, aber er war es beileibe nicht. Die Fotos waren gelöscht. Jedenfalls waren sie für Emma unauffindbar. Konnte irgendein Nerd sie womöglich wieder herzaubern? Aber wollte sie das? Sollte sie das wollen? Und welchen Nerd kannte sie, dem sie diese Aufgabe anvertrauen könnte? Dem sie so sehr vertrauen könnte, dass er die Geschichte hinter dem Foto für sich behielt. Denn natürlich würde er, wer immer »er« war, Fragen stellen.

      Die von Dückers hatten wahrscheinlich recht, auch wenn es ihnen natürlich darauf ankam, die feine Fassade zu wahren. Sie konnten jetzt Haukes rotarischem Golffreund einen Gefallen tun und so ihr kleines, mieses Geschäft nicht nur nicht gefährden, sondern auf diese dezente Weise sogar beleben. Die Reifenhandlung Schulte-Bückendorf würde bald vermutlich ganzseitige Anzeigen schalten. Aber dass LSB, wenn es anders käme, Anwälte einschalten und alles tun würde, um sie fertig zu machen und es gar nicht erst dazu kommen zu lassen, ihre Version der Geschichte – die wahre Version! – zu verbreiten, das leuchtete ihr ein. Die Wahrheit, das wusste sie spätestens seit dem Ethik-des-Journalismus-Seminar auf der Fachhochschule,


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