Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit. Rodney Stark

Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit - Rodney  Stark


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im Westen verschwunden und hielt sich nur hier und da in Grenzgebieten.12 Dass die Sklaverei einige Jahrhunderte später wieder eingeführt werden sollte, ist ein anderes Thema, doch auch dann bemühte sich das Christentum erneut um ihre Abschaffung.13

      Kapitel 2 blickt auf die religiösen Grundlagen des Kapitalismus, die im sogenannten finsteren Mittelalter statuiert wurden. Es wird aufgezeigt, dass diese Epoche alles andere als ignorant und rückständig war, sondern im Gegenteil eine Zeit spektakulären technologischen und intellektuellen Fortschritts darstellte, sobald die Innovation einmal aus den Klauen des römischen Despotismus befreit worden war. Der christliche Einsatz für den Fortschritt spielte nicht nur eine wichtige Rolle bei der Suche nach neuen Technologien, sondern ebenso bei deren zügiger und großflächiger Anwendung. Obendrein führte die Bejahung des Fortschrittsgeschehens durch viele Kirchenführer und Gelehrte zu einigen bemerkenswerten theologischen Revisionen. Nicht anders als die übrigen Weltreligionen hatte auch das Christentum über Jahrhunderte die moralische und spirituelle Überlegenheit des Asketismus betont und auf dessen Gegensatz zu Kommerz und Finanzwesen hingewiesen. Doch wurden diese Grundhaltungen im 12. und 13. Jahrhundert von katholischen Theologen verworfen, die nun stattdessen den privaten Besitz und das Profitstreben verteidigten. Wie konnte das geschehen? Ganz einfach dadurch, dass Theologen das Handelstreiben, das in den großen klösterlichen Anwesen begonnen hatte, moralisch neu beurteilten, da sie dessen früheres Verbot nun theologisch nicht mehr angemessen fanden.

      Kapitel 3 beginnt mit einer kurzen Darstellung der Planwirtschaft: es wird gezeigt, wie despotische Regierungen regelmäßig Innovation und Handel unterdrücken, indem sie zwar Reichtum anhäufen, verbrauchen und enteignen, ihn aber kaum je reinvestieren. Da der Aufstieg des Kapitalismus den Sieg über despotische Staaten erforderlich machte, widmet sich der Rest des Kapitels der Ausbreitung der Freiheit in Europa, die die Form kleiner und häufig überraschend demokratischer politscher Einheiten annahm. Zuerst wird die christliche Grundlage des westlichen Demokratie-Konzepts untersucht, d.h. die Genese der Doktrinen von individueller moralischer Gleichheit, der Rechte des Privatbesitzes und der Trennung von Kirche und Staat. Danach wird erklärt, wie in einigen italienischen Stadtstaaten und in Nordeuropa eine relativ demokratische Gesetzgebung entstehen konnte.

      Kapitel 4 geht der Perfektionierung des Kapitalismus in den italienischen Stadtstaaten nach und zeigt, wie die für das Funktionieren von großen, rationalen und industriellen Unternehmen erforderlichen Organisationsstrukturen und Finanztechniken entwickelt wurden. Kapitel 5 zeichnet die Ausbreitung von »kolonialen« kapitalistischen Unternehmen aus Italien in die Städte des Nordens nach. Am Ende des Kapitels befasst sich ein längerer Abschnitt mit der Frage, wie die Engländer das leistungsstärkste kapitalistische Wirtschaftssystem in Europa entwickeln konnten.

      Kapitel 6 blickt auf die wichtigsten negativen Fälle, schon weil eine umfassende Erörterung der Frage, warum der Kapitalismus sich in bestimmten Regionen Europas ausbreiten konnte, ebenfalls erklären muss, warum das Gleiche andernorts misslang. Wie kam es, dass Spanien, das reichste und mächtigste Land Europas im 17. Jahrhundert, stets ein vor-kapitalistischer, feudaler Staat blieb? Warum wollte Spanien die kapitalistische Vitalität der italienischen Stadtstaaten sowie der spanischen Niederlande zerstören? Und was waren die Gründe dafür, dass Spanien in der Folge rasch zu einer drittrangigen Macht wurde und sein Herrschaftsgebiet verlor? Was Frankreich angeht – warum stagnierten der Kapitalismus und die Freiheit auch dort? Um diese Fragen zu beantworten, wende ich mich erneut den erdrückenden wirtschaftlichen Folgen des Despotismus zu.

      Vor diesem Hintergrund wechselt Kapitel 7 den Standort und blickt auf die Neue Welt sowie auf das dramatische ökonomische Gefälle, das die Vereinigten Staaten, Kanada und Lateinamerika voneinander absetzen sollte. Die Schilderung dieser Geschichte wird nicht zuletzt als Zusammenfassung des ganzen Buches dienen, da die hier wirksamen Faktoren praktisch eine Wiederholung der wirtschaftlichen Historie Europas darstellen. Auch hier spielten das Christentum, die Freiheit und der Kapitalismus die entscheidenden Rollen. Im Fazit wird die Frage gestellt, ob das heute wohl immer noch so ist. Oder können durch die Globalisierung alternativ auch völlig andere moderne Gesellschaften entstehen, die weder christlich noch kapitalistisch oder auch nur frei sind?

TEIL I: FUNDAMENTE

      KAPITEL 1:

      DIE SEGNUNGEN DER RATIONALEN THEOLOGIE

      Die Theologie steht bei den meisten westlichen Intellektuellen in schlechtem Ruf. Das Wort wird verstanden als eine Vergangenheitsform religiösen Denkens, das auf Irrationalität und Dogmatismus beruht. Das Gleiche gilt für die Scholastik. Welche Ausgabe des Merriam-Webster-Wörterbuchs man auch immer bemüht, »scholastisch« bedeutet »pedantisch und dogmatisch« und kennzeichnet die Sterilität der mittelalterlichen Kirchenlehre. John Locke, der britische Philosoph des 18. Jahrhunderts, lehnte die Scholastiker ab und bezeichnete sie als »große Münzpräger« nutzloser Begriffe, die letztlich doch nur »die eigene Unwissenheit verschleiern« sollten.1 Aber weit gefehlt! Die Scholastiker waren vielmehr brillante Gelehrte, die für die Gründung der großen europäischen Universitäten und den Aufstieg der westlichen Wissenschaft verantwortlich waren. Was die Theologie betrifft, hatte sie wenig gemein mit dem ansonsten vorherrschenden religiösen Denken, sondern war eine hochentwickelte und höchst rationale Disziplin, wie sie so nur im Christentum entwickelt wurde.

      Die Theologie, die manchmal auch als »Wissenschaft des Glaubens«2 bezeichnet wird, stellt ein rationales Nachdenken über Gott dar. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Aufspüren der Natur Gottes, seiner Absichten und Forderungen, sowie dem Verständnis der Art und Weise, wie die Beziehung zwischen Gott und den Menschen von diesen definiert wird. Auf den Göttern des Polytheismus könnte dagegen nie eine Theologie aufbauen, da sie viel zu widersprüchlich sind. Die Theologie erfordert das Gottesbild eines bewussten und rationalen übernatürlichen Wesens mit unbeschränkter Kraft und Reichweite, welches die Menschen ernst nimmt und ihnen moralische Codes und Verantwortlichkeiten auferlegt. Dabei werden höchst gewichtige intellektuelle Fragen aufgeworfen, zum Beispiel: Warum erlaubt uns Gott zu sündigen? Verbietet das Fünfte Gebot auch den Krieg? Ab wann hat ein Kleinkind eine Seele?

      Um das Wesen der Theologie wirklich zu verstehen, ist es sinnvoll, in den Osten zu schauen und zu erkennen, warum es dort niemals Theologen gegeben hat. Nehmen wir etwa den Taoismus. Das Tao wird als eine übernatürliche Essenz begriffen, ein unter den Dingen liegendes mystisches Kraft-Prinzip, das das Leben reguliert. Dabei ist es jedoch unpersönlich, unnahbar, es hat kein Bewusstsein und ist nimmermehr ein Wesen. Vielmehr ist es der »ewige Weg«, eine kosmische Kraft, die Harmonie und Gleichgewicht herstellt. Nach Lao-Tse ist das Tao zugleich »niemals da« und »immer da«, es ist »namenlos«, hat aber auch »den Namen, der genannt werden kann«. Ebenso »klang- wie formlos« hat es »niemals ein Begehr«. Man kann ewig über eine solche Essenz meditieren, doch lässt sie sich logisch kaum durchdenken. Das Gleiche gilt für den Buddhismus und den Konfuzianismus. Selbst wenn die volkstümlichen Varianten dieser Glaubensrichtungen polytheistisch sind und über ein enormes Personal an kleinen Gottheiten verfügen (was auf den gemeinverständlichen Taoismus ebenfalls zutrifft), so sind die »reinen« Formen dieser Glaubensrichtungen, wie sie von den intellektuellen Eliten aufgefasst werden, letztlich gottlos und beziehen sich auf eine nur vage heilige Essenz. Buddha etwa negierte ausdrücklich die Existenz eines bewussten Gottes.3 Im Osten existieren schon deswegen keine Theologen, weil all jene, die eine solche intellektuelle Aufgabe ansonsten erfüllen würden, nicht einmal deren erster Grundvoraussetzung Rechnung tragen können, nämlich der Existenz eines Gottes, der ebenso bewusst wie allmächtig ist.

      Im Gegensatz dazu haben christliche Theologen jahrhundertelang darüber nachgedacht, was Gott in spezifischen Stellen der Bibel wirklich sagen will, und manche


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