Bus nach Bingöl. Richard Schuberth

Bus nach Bingöl - Richard Schuberth


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sollte. Schließlich presste er seine linke Schulter gegen den Sarg und versuchte den lila Koffer mit kleinen Rucken rauszuziehen. Als er merkte, dass der Sarg keine Anstalten machte, sich aus seiner Verstauung zu lösen, riss er den Koffer mit Schwung heraus, zwinkerte dessen Besitzerin zu und trug ihn in den Bus, wo er Platz unter den Füßen des Beifahrers fand. Der Motor begann zu brummen und zu keuchen, die letzten Passagiere stiegen ein. Der Packer näherte sich der Frau mit der Sonnenbrille grinsend, um sich sein Dankeschön abzuholen. Doch das war ihm nicht genug.

      Eigentlich hätte ich ein Küsschen verdient.

      Deinen Arsch kannst du küssen!

      Der Packer war keineswegs beleidigt. Dass diese Dame aus Taksim oder irgendeiner anderen noblen Gegend seinen Jargon beherrschte, nötigte ihm Respekt ab. Traumfrau, keine Frage. Aber ewig träumen macht auch keinen Spaß.

      Ahmet Arslan war zurückgekehrt, er hatte sich noch einmal den Bauch vollgeschlagen und würde gut schlafen im Bus. Früher, als alle noch mit dem Bus fuhren, da bedeutete solch eine Reise etwas. Die Abschiede waren Feste. Zigeuner spielten Klarinette oder Zurna und schlugen die Davul, eine Ziege wurde geschlachtet, und die Busse besprengte man mit ihrem Blut.

       Bus fährt ab

      Die Frau im Trenchcoat stieg als Letzte ein. Ahmet Arslan stellte sich schlafend. Er hatte sich nämlich eingebildet, dass sie schon in der Station seinen Augenkontakt gesucht habe, und der Sitz neben ihm war einer der letzten freien Plätze. Würde sie ihm das abnehmen, dass er jetzt, wenige Minuten, nachdem er draußen gestanden hatte, schon schlief? Man schläft doch frühestens erst nach einer halben Stunde ein, nachdem die Hektik des Sicheinfindens sich gelegt und der Bus einen gelinde in die Müdigkeit gefedert hat.

      Ahmet Arslan wollte allein sein. Mit sich, der Landschaft, der Straße, seinen Gedanken. Nach so vielen Jahren der Abwesenheit wollte er sich durch nichts und niemanden ablenken lassen. Mit dieser Frau würde sich bestimmt ein Gespräch ergeben. Er würde zuhören, Interesse heucheln müssen, und all die Unterschiede zwischen der Türkei seiner Jugend und der aktuellen versäumen. Zwei weitere Gründe trieben ihn in den falschen Schlaf. Diese Frau war sehr attraktiv – und vermutlich eine dieser konsumfreudigen Großstadtkemalistinnen.

      Vielleicht begehrte er sie, aber er respektierte sie nicht. Er würde auf seine vorsichtige Art versuchen, sie anzumachen, und sie zugleich geringschätzen. Diesen Zwiespalt wollte er sich ersparen. Das alles ging durch seinen Kopf, während sie durch den Gang schritt, und ein klein wenig nur die zusammengepressten Lider zu öffnen reichte, um zu erkennen, dass ihr er und der Platz neben ihm gar nicht auffielen, da sie weiter hinten bereits vor einer halben Stunde freie Sitze mit einem Kaschmircape besetzt hatte. Nun gut, die Gefahr war gebannt. Der Bus setzte sich in Bewegung, fuhr quietschend in einer Kurve aus dem Esenler Otogar heraus, bahnte sich über geschwungene Auffahrten, die den darunterliegenden Häusern das Licht nahmen, seinen Weg zur Stadtautobahn. Bald befanden sie sich auf der Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke. Hektisch drehte Ahmet den Kopf nach beiden Seiten, um so viel wie möglich vom Anblick des Bosporus zu erhaschen.

      Die Stadt nahm kein Ende, Sultanbeyli hieß diese Siedlung, auf deren Boden vor 30 Jahren Ziegen und Schafe geweidet hatten. Kaum franste İstanbul mal an den Hängen eines von Weißdornbüschen bewachsenen Hügels aus, schossen aus dessen Kuppel schon wieder protzige Wohnsiedlungen. Diese da sahen anders aus als die hässlichen Plattenbauten von damals. Sie prätendierten Wohlstand, Modernität und Traditionsbewusstsein. Abstrakte Zitate muslimischer Ornamentik zierten Erker und Fenster, Dubai-Style. Welchen Geistes die neue Staatsideologie war, sah er an den unzähligen kleinen Moscheen, die oft von noch größeren Shopping-Malls überschattet wurden. Die Religion gab es jetzt also im Sonderangebot. Wenn die Männer zur rituellen Waschung ihre Schuhe in der Moschee auszogen, konnten sie in dieser perfekten Servicezone gleich die neuen anprobieren, die sie zuvor in der Mall, dem eigentlichen Zentrum ihrer Spiritualität, erstanden hatten.

      Der Anblick der Bucht von İzmit entschädigte Ahmet für diese Scheußlichkeiten, obwohl das Erste, was er von ihr sah, ein riesiges Sandwerk am Meer war.

      Er wandte sich um und musterte die Mitreisenden. Die Kemalistin hatte drei Sitze hinter ihm Platz gefunden und telefonierte, als wäre der Bus ihr Penthouse. Auffällig war der Deutsche. Ahmet hatte keinen Beweis dafür, dass er Deutscher war. Vielleicht war er Russe, vielleicht doch ein Türke oder Kurde. Sein Instinkt aber sagte ihm, dass das ein Deutscher war. Dicht gewelltes graublondes Haar, nach oben hin etwas ausgedünnt, ausrasierte Koteletten. Nach vorne gebeugt saß er da, Oberkörper und Kopf schwangen leicht mit dem Bus mit. Katatonisch starrte er vor sich hin. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Ahmet lehnte sich zurück.

      Wie laut die Kemalistin hinter ihm mit ihrer Freundin tratschte. Auch was sie sagte, empörte ihn. Doch erst das Dämpfen ihrer Stimme erweckte die Aufmerksamkeit von Mithörern. Sie verriet ihrer Gesprächspartnerin, dass sich hauptsächlich Kopftuchweiber und Ziegenhirten im Bus befänden und sie kaum abwarten könne, dass die ihre Schuhe auszögen. Was zum Teufel, fragte sich Ahmet Arslan, nimmst du dann den Bus? Die Antwort kam prompt. Den Flug nach Bingöl, erzählte sie ihrer Freundin, habe sie versäumt. Und Papa habe darauf bestanden. Mein Gott, ein Königreich für ein Auto. Dann begann sie wieder über die Bauern zu lästern. Ahmet war das peinlich. Er warf einige prüfende Blicke auf die Ziegenhüter und Kopftuchweiber. Die starrten schicksalsergeben vor sich hin, als wären sie keine andere Behandlung gewöhnt. Noch immer konnte er nicht fassen, dass diese Frau sich so laut zu reden traute. Und dann kam ihm, der sich in Wien als Feminist verstand, ein schrecklicher Verdacht. Empörte ihn diese Frau, weil sie zu selbstbewusst war? War er wieder zum Anatolier geworden, erwartete er hier von emanzipierten Frauen bestenfalls, dass sie tugendhafte Kommunardinnen waren, ansonsten ihn die schlichten Dorffrauen allemal lieber waren als eine wie sie? War seine Abneigung also nicht einmal ihrer Schicht geschuldet, sondern der Fehlentwicklung, dass Frauen, wenn sie sich aus dem Patriarchat befreiten, so wie sie wurden? Hätte auch er mitgelacht, wenn seine ehemaligen Genossen die Empfehlung ausgegeben hätten, dass es der Luxusschlampe einmal ordentlich besorgt gehöre?

      Diese Selbstkritik überforderte Ahmet Arslan. Der Schlaf langte mit haarigen Pfoten nach ihm. Und wurde durch allerlei Störungen vereitelt. Zunächst durch eine Bremsung – ein Verrückter hatte bei Gegenverkehr den Bus überholt –, später durch das Schließen der Klotür an der Stiege. Der Deutsche hantelte sich von einem Sitzgriff zum anderen zurück zu seinem Platz. Auf Ahmets Höhe fiel ihm etwas runter. Dumpf schlug es am Boden auf. Der Deutsche bückte sich. Als er sich erhob, sah Ahmet, wie er sich eine Pistole in den hinteren Hosenbund schob. Er dachte lange nach, was der Deutsche damit vorhabe und in welche Schwierigkeiten er sich damit bringen könnte.

      Nach İzmit und Hendek dräuten dichte Laubwälder an den Hängen zu beiden Seiten der Straße. Ahmet genoss ihren Anblick, deren Gleichförmigkeit ihn bald in tiefen Schlaf wog.

       Ali

      In Düzce stieg ein junger Reservist zu, der wie ein Ali aussah. Er war untersetzt, hatte kindliche Gesichtszüge und blieb mit seinem Armeerucksack zweimal an den Haltegriffen hängen. Einer älteren Frau streifte er den Kopf damit. Sie fuhr ihn an, ob er nicht wisse, dass das Ding zwei Schleifen habe. Ahmet musste lachen. Er wusste, dass der Kleine sich den Rucksack nie und nimmer wie ein Schuljunge am Rücken fixiert hätte, so lange er nicht im Feld war, und selbst wenn er allen Passagieren damit gegen den Kopf geschlagen hätte. Und ihn amüsierte auch die verächtliche Miene, hinter welcher dieser tapfere Krieger sein Unbehagen verbarg. Der Junge, der wie ein Ali aussah, blieb kurz stehen, hielt Ausschau nach einem freien Platz, entschied, sich nicht neben die Kemalistin zu setzen, und fragte Ahmet. Ahmet lud ihn lächelnd ein, er erwiderte das Lächeln kurz, ehe er es von seinem Gesicht löschte.

      Ahmet taufte ihn auf Ali. Er hatte diese Marotte, bestimmte Gesichter bestimmten Namen zuzuordnen. Dieser Junge sah wie ein Ali aus. Natürlich wusste er, dass solche Assoziationen sich nach Stars oder Menschen ausrichten, die man gekannt hat, die ähnlich aussahen und die Ali oder Ahmet hießen. Andere redeten Quatsch über Sternzeichen und er gönnte sich eben dieses alberne Spiel.

      Ali setzte sofort Kopfhörer auf. Ein deutliches Zeichen, an Kommunikation nicht interessiert zu sein. Aus


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