Die letzten Keiths auf Balumoog. Wilhelm Ernst Asbeck

Die letzten Keiths auf Balumoog - Wilhelm Ernst Asbeck


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mein Eigentum und das Land, das sie umgibt, ebenfalls.‘ — ‚Dein Eigentum ist das, was Du umdeichen und schützen kannst; Deine Wurft aber sinkt mit der nächsten Sturmflut ins Meer. — Ich verbiete Dir, sie zu betreten. —Du solltest das Deichrecht kennen!‘ — ‚Und was soll aus mir werden?‘ rief ich verzweifelt. — ‚Das mußt Du selbst wissen!‘ sprach Frerk und ritt davon..

      Ich stand wie betäubt und blickte hinaus auf die See. Glaube, Liebe, Vertrauen zu Gott und der Menschheit erstarben in mir in jener Stunde. Eine Leere entstand in meinem Innern. Ich hatte niemanden auf der weiten Welt, zu dem ich mich flüchten konnte.

      Der Abend nahte. Kälte und Hunger packten mich. Ich schleppte mich nach Volgsbüll zum Pfarrhof. Dort wurde ich wenig freundlich aufgenommen. Das Kirchspiel hatte selbst schwer gelitten, und im April war der Deich nochmals gebrochen. Man litt im Orte Not. Immerhin wurde mir Speise und Trank gereicht und Unterkunft für eine Nacht gewährt.

      Ich irrte von Wurft zu Wurft, von Kate zu Kate, den ganzen Hagebüllerkoog hindurch. Mürrisch ließ man mich hier und dort einen Imbiß tun, gab mir auch wohl eine Schlafstelle; aber am anderen Tage hieß es weitergehen. Wer sollte mich auch wohl in Dienst nehmen? Mich, die ich schwach und verkrüppelt war, wo so viele gesunde Arbeitskräfte sich anboten.

      Auf der Thingversammlung brachte ich mein Anliegen vor. Die Ratsmannen lachten mitleidig, verwiesen auf das Deichrecht und beriefen sich darauf, wer nicht selbst den Damm instandhalten könne, habe Anrecht auf Hof und Land verloren.

      Ich bat um Hilfe, ich, die wenige Monate vorher noch reich, stolz und glücklich gewesen war! — Man zuckte die Achseln. Es gab im eigenen Koog genug Not und Schäden zu lindern, als daß auch noch für ‚Auswärtige‘ gesorgt werden könne.

      Da packte mich eine wahnwitzige Wut. Es war mir, als ob ein fremdes, nie gekanntes Wesen aus mir sprach. Ich rief: ‚Ihr Satten und Glücklichen, die Ihr Euch hinter Euren hohen Deichen und auf Euren Halden so sicher und über das Elend Eurer Mitmenschen so erhaben fühlt, hütet Euch! — Es kommt der Tag, da Euer harter Urteilsspruch auf Euch oder Eure Kinder zurückfallen wird, wo Ihr am eigenen Leibe spüren werdet, was es heißt, von Haus und Hof vertrieben zu werden! — Es kommt der Tag, da Eure festen Dämme in sich zusammenstürzen und Ihr selbst von den Fluten hinweggespült und vernichtet werdet! — Wehe denen von Euch, die diesen Tag überleben! — Seht mich an, so arm und verlassen wie ich werden auch sie einst dastehen! — Fluch über Euch und Eure Kinder!‘ —

      Frauke, glaube mir, was ich damals sprach, war kein leeres Gerede. Eine Stimme wie die der Propheten war über mich gekommen, und mein Auge sah alles, was geschehen würde, so deutlich, wie Du jetzt vor mir stehst.

      Der Tag ist nicht fern, da sich das Schreckliche erfüllen wird. — Höre auf mich, fliehe, ehe es zu spät ist und das Verhängnis, das über Nordstrand hereinbricht, auch Dich verschlingt!“ —

      Meikes Stimme klingt wie eine Beschwörung. Sie hält die Hände der jungen Frau umklammert; ihre welken Wangen glühen wie im Fieber, und in ihren Augen liegt ein flehender Ausdruck.

      Frauke spricht: „Du siehst Gespenster, Meike! Unsere Deiche sind fester als je zuvor. Ich kann doch nicht Haus und Hof verlassen auf eine Gefahr hin, die nur in Deiner Einbildung lebt.“

      Die Alte ergreift Fraukes Hand. Lange und sinnend schaut sie hinein; dann erklärt sie mit müder Stimme: „Bleib nur, wo Du bist; niemand kann seinem Schicksal entgehen.‘

      *

      Erk steht mit gerunzelter Stirn am Fenster und blickt in die Abenddämmerung hinein. — Was hat seine Frau bei der Hexe zu suchen? Es ist wohl bemerkt worden, wohin sie ihre Schritte lenkte, und feindliche Stimmung kommt im Dorfe gegen sie auf.

      Nomme Jakobsen hatte Erk auf offener Straße gefragt, ob er wisse, mit wem Frauke Verkehr halte, und ob solche Handlungsweise von ihm gebilligt werde. — Was konnte er darauf erwidern? — Nichts! Ohne Antwort zu geben, war er heimgegangen. Zorn und Scham rötete seine Wangen.

      Endlich naht die lang Erwartete. Stolz erhobenen Hauptes schreitet sie daher. — Wie er diese Frau liebt! Gang, Haltung und selbst ihre Stimme erfüllen sein Herz mit Freude. Nein, so sieht keine aus, die auf schlimmen Wegen wandelt.

      Er kämpft einen schweren, inneren Kampf. Die Liebe überwindet den Zorn, und die Freude verdrängt die Scham.

      Freundlich geht er ihr entgegen. Es wird ein langes Zwiegespräch, das sie führen. Beide vertreten mit echter Friesenzähigkeit ihren Standpunkt. Schließlich weiß Fraukes warmherzige Beredsamkeit alle Bedenken zu überwinden und Erk zu überzeugen, daß es seine und aller Pflicht sei, sich der Verstoßenen anzunehmen und begangenes Unrecht gutzumachen.

      In dem Pfarrer Ipke Frölden wird der nächste Bundesgenosse gefunden, und andere gesellen sich zu ihnen.

      Meikes Lebensabend scheint sich froh und sorglos gestalten zu sollen. Erk selbst findet den Weg zu ihr. Ein kleines Haus auf seinem Grund und Boden will er ihr errichten und für sie sorgen. Die Alte sieht ihn verwundert an. Was für eine unbezwingliche Macht strahlt doch dieses Halligkind durch ihre große Liebe und Güte aus, daß sie selbst dieses harte, stolze Herz bezwungen hat!

      Nein, Meike will ihre Hütte nicht verlassen. Sie liebt die Ruhe und Einsamkeit. Aber dankbar ist sie für jedes gute Wort.

      Not und Mangel hat Frauke von ihrer Schwelle verscheucht. Mancher Bauer und manche Bäuerin, die sich sonst bekreuzigt hatten, wenn sie der Alten begegneten, suchen sie jetzt auf, sprechen freundlich zu ihr und beschenken sie.

      Aber nicht alle waren zu bekehren. Gar viele blieben davon überzeugt, daß Meike eine Hexe und Knudsens junge Frau von ihr ‚verzaubert‘ worden oder selbst nicht besser sei.

      Allmählich begannen die fünf Kirchspiele des Hagebüllerkoogs zwei feindlichen Lagern zu gleichen, und neben der Saat der Nächstenliebe wucherte die des Hasses hervor.

      Das Jahr 1633 war vergangen, und 1634 hielt seinen Einzug.

      Von Sturmfluten und Wetterschäden war die Insel verschont geblieben, Friede herrschte im Lande der Friesen, und reiche Ernten hatten den Wohlstand gehoben.

      Und doch wollte keine rechte Freude aufkommen unter den Menschen. Zwietracht und Hader entfremdeten Nachbarn und einstige Freunde. Irgend etwas lag in der Luft, etwas Geheimnisvolles, Unheilverkündendes; aber niemand wollte es sich eingestehen, keiner vermochte zu sagen, w a s es sein könne.

      Mit der alten Meike ist ein sonderbarer Wandel vor sich gegangen. Die haßerfüllte, feindselige Frau scheint plötzlich gutmachen zu wollen, was sie im Laufe eines langen Lebens versäumt hat. Wo sie von Krankheit hört, eilt sie herbei und sucht zu helfen. Sie kennt viele heilsame Kräuter; auch kann sie Besprechen und Blutstillen. Nicht überall wird sie freundlich aufgenommen. Verblendete Leute weisen ihr mit harten Worten die Tür. Sie läßt sich aber durch nichts beirren, bleibt hilfreich, freundlich und gütig.

      Mit der Jahreswende ist eine unerklärliche Unruhe über sie gekommen. Seltsame Gesichte erscheinen ihr; mahnende und drohende Stimmen glaubt sie zu vernehmen.

      Mehr und mehr häufen sich die geheimnisvollen Zeichen. Angst und Schrecken befallen Meikes Seele. —

      In einer Märznacht erwacht sie aus tiefem Schlaf. Es ist ihr, als habe eine unsichtbare Hand ihre Augen berührt. Eine unwirkliche, fahle Helle erfüllt die Höhle. Schattenhafte Gestalten schweben auf und nieder. Der Raum scheint sich in unendliche Weiten zu dehnen. Die Schemen zerrinnen in ein Nebelmeer, und darin beginnt es zu brodeln, wirr, unruhevoll. Endlich besänftigt sich das tolle Durcheinander, und es bildet sich ein Kopf. Klar und deutlich wachsen die Umrisse aus dem Nichts heraus. Jetzt erkennt Meike das Antlitz, — — es ist Frauke, und neben ihr erscheinen Erks Eltern aus dem Nebel hervor, und nun folgen Kopf an Kopf in unabsehbarer Reihe.

      Die Alte hat sich aufgerichtet. Mit entsetzten, weit aufgerissenen Augen starrt sie auf den Spuk.

      Da hört sie ein gewaltiges Brausen, wie das Heulen des Sturmes und das Tosen der See. Gischtgekrönte Fluten sieht sie hereinbrechen, Dämme in sich zusammensinken, und die Gesichte werden von den Wellenbergen verschlungen.


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