Girl Power!. Carrie Firestone
zu verabreden.
Als aber letzten Frühling in der Fisher-Mittelschule ein Lockdown ausgelöst wurde, weil vielleicht gerade jemand Amok lief, haben die Notfall-Handys nicht mehr aufgehört zu klingeln. Mrs Pullman meinte gehört zu haben, wie Chris Reynolds behauptete, er habe eine Bombe versteckt. Ob er das wirklich gesagt hat, weiß keiner so genau. Er wurde jedenfalls suspendiert. Seitdem das passiert ist, sagt meine Mom immer, wenn sie mich vor der Schule absetzt, »Ich liebe dich«, sogar wenn sie wegen Danny schlecht drauf ist. Und mindestens zweimal im Monat sagt sie zu mir: »Falls es tatsächlich einen Amoklauf gibt, musst du nicht unbedingt das tun, was dir die Lehrer sagen. Hör auf deinen Bauch. Wenn du meinst, du musst rennen, dann renn. Wenn du meinst, du musst dich verstecken, dann versteck dich.« Ich traue meinem Bauch nicht so richtig, doch das sage ich ihr lieber nicht.
Seit ich in der Achten bin, sind Navya, Ashley und Bea meine engsten Freundinnen. Sie belegen auch keine Leistungskurse, aber Navya ist die beste Lacrosse-Spielerin in der Mannschaft, Bea eine so tolle Künstlerin, dass sie auf Geburtstagspartys 50 Dollar am Tag fürs Kinderschminken verdient, und Ashley hat ein Schwimmbad und einen Whirlpool. Sie hängen gerne mit mir rum, weil ich lustig bin.
Mehr muss man nicht über mich und mein Leben wissen, bevor ich mitangesehen habe, wie Olivia im Freundschaftsgarten gekleiderordnet wurde (so nennen wir das, wenn jemand gegen die Kleiderordnung verstößt und verwarnt wird), während Pearl mit einer rosa Jogginghose in den Händen danebenstand.
Ach ja, aber ich wollte noch erwähnen, dass mein Bruder Danny die gesamte Kraft meiner Eltern beansprucht, da er ein Vape-Junkie ist. In ihrer Freizeit durchsuchen meine Eltern gerne Dannys Zimmer und Rucksack, verstecken ihr Bargeld, damit Danny es nicht klaut, um Pods für seine E-Zigaretten zu kaufen, und rufen bei Ärzten an, um zu fragen, wie lange es wohl dauert, bis er eine Popcorn-Lunge hat.
Ich kenne mindestens 20 Schüler in der achten Klasse, die von Danny diese Pods mit E-Liquid bekommen haben.
So verdient er sich sein Geld.
Er braucht Moms und Dads Bargeld gar nicht.
Ein Brief an die Eltern
Liebe FMS-Eltern,
mit großem Bedauern muss ich Sie darüber in Kenntnis setzen, dass die Klassenfahrt zum Strawberry Hill State Park nicht stattfinden wird. Wie Sie sich erinnern werden, hatte ich am 25. Februar einen Brief verschickt, in dem ich einen herrlichen Campingausflug versprochen habe, wenn unsere achte Klasse sich an die vorgeschriebene Kleiderordnung hält. Fast das ganze Schuljahr über haben Ihre Kinder das ordnungsgemäß getan. Aber vor Kurzem hat eine Schülerin die Regeln verletzt, und nachdem wir ihr mehr als reichlich Gelegenheiten geboten haben, den Auflagen nachzukommen, hat sie sich bis zuletzt geweigert. Nun, so sind die Vorschriften.
In dem Bemühen, ein Lernumfeld zu schaffen, das frei von Ablenkungen ist, möchten wir Ihre Kinder dazu ermutigen, sich an die Verhaltensregeln unserer Schulordnung zu halten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie dieser Angelegenheit widmen. Sollten Ihrer Familie deswegen irgendwelche Unannehmlichkeiten entstanden sein, bitten wir dies zu entschuldigen.
Mit besten Grüßen
Jim Couchman, Pädagogischer Leiter
Wills Nachrichten
Mein bester Freund Will schreibt mir: Ich hasse Zelten, aber das war ja wohl total daneben. Ich dachte, Olivia wäre normal.
Will ist mein Nachbar. Wir wohnen Garten an Garten, und als wir acht und unzertrennlich waren, haben unsere Väter uns das Baumhaus gebaut. Wir sehen uns kaum noch, weil er süchtig nach so einem Computerspiel ist, von dem ich noch nie gehört habe. Und auch, weil unsere Eltern nicht mehr so viel Zeit miteinander verbringen, seit Mom wegen Danny so gestresst ist.
Unsere Mütter sagen immer: »Falls ihr zum Abschlussball keine Verabredung habt, könnt ihr ja zusammen hingehen.« Das sagen sie schon, seit Will und ich uns regelmäßig um die Kräcker in der Schnabeltasse geprügelt haben.
»Es ist nicht mehr so, wie als du zum Abschlussball gegangen bist«, erkläre ich meiner Mutter. »Das interessiert heute keinen mehr. Vielleicht gehe ich mit einem Jungen oder einem Mädchen oder mit einer Gruppe.«
Dann legt sie den Kopf ein wenig zur Seite, berührt mit ihrer Hand mein Bein und sagt: »Bist du bisexuell, Molly? Denn das ist völlig und total okay.«
»Wie kommst du darauf? Nur weil ich vielleicht oder vielleicht auch nicht mit jemandem zum Abschlussball gehen werde?«, frage ich.
Dieses Gespräch haben wir schon mindestens fünf Mal geführt.
Ich schreibe Will zurück. Was soll das denn heißen? Warum ist Olivia nicht normal?
Will antwortet: Wenn sie normal wäre, würde sie nicht versuchen, so viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Ich bin zu wütend, um zu antworten
Nicht in Ordnung: ein Kleider-Podcast Episode eins (Take 2)
»Warum machen wir es diesmal nicht anders? Ich erzähle ein bisschen was über die Hintergründe, und dann stelle ich dir Fragen, und du kannst einfach nur antworten, wenn du willst.«
»Das klingt gut«, sagt Olivia und lehnt sich gegen den frei liegenden Baumstamm.
Ich: Hallo, Fisher-Mittelschule und alle anderen da draußen. Hier ist Molly Frost, und ihr hört gerade Nicht in Ordnung: ein Kleider-Podcast. Bei mir ist Olivia. Sie wurde neulich angeschrien, weil sie ein Tanktop zur Schule getragen hat. Wie viele von euch bereits wissen, hat die Schulleitung im Februar mit der achten Klasse eine Vereinbarung getroffen: Wenn wir es schaffen würden, uns für den Rest des Schuljahres an die Kleiderordnung zu halten, würde Dr. Couchman mit uns eine Klassenfahrt zum Strawberry Hill State Park machen. Nachdem Dr. Couchman Olivia gedemütigt hat, hat er verkündet: Die Klassenfahrt ist abgesagt, weil eine gewisse junge Dame sich ganz egoistisch entschieden hat, die Kleiderordnung zu missachten. Einer unserer Klassenkameraden (ja, du bist gemeint, Jack Reese) hat mitbekommen, wie Dr. Couchman mit Mrs Peabody darüber gesprochen hat, und hat dann in der ganzen Schule herumerzählt, Olivia sei schuld daran, dass die Klassenfahrt gestrichen wurde.
Ich drücke auf Pause und sehe Olivia an. Sie hält den Daumen hoch.
Ich: Ich bin hier, um euch zu sagen, dass jede Geschichte immer zwei Seiten hat. Ich war Zeugin des Vorfalls, und ich finde, dass Olivia die Chance bekommen soll, zu erzählen, wie sie das Ganze erlebt hat. Deshalb habe ich sie heute eingeladen.
Wir hören ein Knarren, und ich drücke noch einmal auf Pause. Pearl steigt durch die Falltür des Baumhauses. »Wo warst du?«, frage ich.
»Beim Tennis«, sagt sie. Sie setzt sich neben Olivia und nimmt sich einen Ingwerkeks. Damit Olivia sich bei unserer zweiten Aufnahme wohlfühlt, habe ich vorher das Baumhaus aufgeräumt und Kissen verteilt, um es gemütlicher zu machen, und ich habe auch Kekse und Gläser mit Limonade samt unseren neuen Edelstahl-Strohhalmen mitgebracht.
Ich halte mir den Finger an den Mund, weil ich sehen kann, dass Pearl anfangen will zu sprechen.
Ich: Willkommen, Olivia, und danke, dass du bei Nicht in Ordnung: ein Kleider-Podcast mitmachst. Bevor du uns erzählst, was passiert ist, kannst du uns vielleicht ein bisschen was zu den Hintergründen sagen. Bist du vorher schon mal gekleiderordnet worden?
Olivia: Ja. Die Fingerspitze hat mich immer wieder verwarnt und Miss Wells letztes Jahr auch, weil meine Turnhose zu kurz war.
Ich: Keine Überraschung. Und was ist dann passiert?
Olivia: Sie hat mich zur Seite genommen und wollte mich zur Schulleitung schicken, dann habe ich sie gefragt, ob ich nicht einfach meine normalen Shorts anziehen kann, und sie hat gesagt, dass das in Ordnung ist, aber dass ich nie wieder diese Turnhose anziehen soll.
Ich: Und wie hast du dich da gefühlt?
Olivia: Ich war genervt, denn als wir angefangen haben, unsere Runden zu laufen, fing es an zu schütten, und ich musste für