Girl Power!. Carrie Firestone

Girl Power! - Carrie Firestone


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wir denn deiner Meinung nach machen?«, fragt mich Olivia.

      »Wir lassen den Podcast erst mal, holen Bea, Ashley und Navya dazu und erzählen ihnen, was passiert ist«, sage ich. »Sie sind total in Ordnung, und ich glaube, sie können uns helfen.«

      »Äh«, sagt Olivia. »Okay. Warum nicht? Nächstes Jahr gehe ich eh nicht mehr zur Schule.«

      Die Fingerspitze

      Wir wissen nicht, wie sie wirklich heißt.

      Sie nennt sich Kontaktlehrerin. Aber der einzige Kontakt, den sie zu den Schülerinnen hat, besteht darin, Mädchen anzustarren, nach ketzerischen BH-Trägern oder nackten Schultern Ausschau zu halten und dann herumzuschreien. Manche Mädchen werden sechs-, siebenmal am Tag von ihr verwarnt – denn die Fingerspitze merkt sich nie, wen sie schon schikaniert hat.

      Inzwischen ist es schon ein Initiationsritus am ersten Schultag. Die Mädchen aus der achten Klasse warnen die Mädchen aus der siebten: Haltet euch von der Fingerspitzen-Furie fern, schleicht davon oder rennt!

      Die Fingerspitze ist dafür berüchtigt, dass sie Mädchen zwingt, stehen zu bleiben und ihre Arme lang zu strecken, um zu sehen, ob sie über die Shorts reichen. (Das tun sie meistens, denn so lange Shorts gibt es fast nirgendwo zu kaufen.)

      Das Leben an der Fisher-Mittelschule ist also ein einziges Gezerre. Wenn du die Fingerspitze siehst, dann zieh deine Shorts runter. Aber zerr nicht zu sehr, sonst sieht man deinen Bauch. Am besten ist es, ihre Abläufe zu kennen, dann kann man ihr ganz aus dem Weg gehen. Aber falls sie dich doch erwischt: bloß keine Widerworte geben.

      Sie hat ihre Lieblingsopfer: die größeren Mädchen, die, die schon Busen und Hintern haben, die hübschen Mädchen und die mit langen Beinen.

      Einen Jungen hat sie noch nie verwarnt.

      Manche glauben ja, dass die Fingerspitze eigentlich ein Roboter ist. Ein Roboter mit schlechtem Haarschnitt, orthopädischen Schuhen und einer schmuddeligen weinroten Strickjacke. Manchmal zwingt sie Schülerinnen, die Jacke anzuziehen, wenn sie selbst nichts dabeihaben, um verbotene Körperstellen zu bedecken. Und Dr. Couchman hat den Fingerspitzen-Roboter so programmiert, dass er sieben Sachen sagen kann:

      1. Streck deine Arme lang.

      2. BH-Träger.

      3. Sieh dich vor.

      4. Zieh es hoch.

      5. Zieh es runter.

      6. Was muss ich noch tun, damit ihr Mädchen endlich zuhört?

      7. Zur Schulleitung. Jetzt.

      Ob Roboter oder Mensch, die Fingerspitze und ihre Strickjacke sind auf der Schule genauso beliebt wie Mathearbeiten, Montage und muffig-stinkende Hamburgerbrötchen.

      Wenn es für einen guten Zweck ist, darf man seine Freundinnen auch mal austricksen

      Ich ködere meine Freundinnen mit Pizza. Warum sie alles stehen und liegen lassen und sofort zu mir kommen sollen, sage ich ihnen nicht.

      Meine Eltern sind bei Kollegen von Dad zum Abendessen, und ich habe kein Geld. Also zwinge ich Danny, mit seinem Geld zu bezahlen. Mit dem Geld, das er damit verdient, Vaping-Zeug an meine Mitschüler zu verkaufen. Das heißt, die Pizza, die ich an meine Freundinnen verfüttere, wurde mit Verbrechergeld bezahlt. Das fühlt sich eklig an, aber es dient einem höheren Zweck.

      »Ich muss los. Ich habe echt viele Hausaufgaben«, sagt Pearl.

      Ich weiß, dass Pearl sich schuldig fühlt. Hätte sie Olivia gleich ihre Jogginghose angeboten, anstatt zu zögern, zu ihrem Schließfach zu gehen und dann auf der Suche nach Olivia durch die ganze Schule zu laufen, wäre das alles nicht passiert.

      »Mach sie doch hier«, sage ich. »Wir stören dich nicht.«

      Olivia und ich legen uns auf den Boden und beobachten einen Schwarm Vögel, der hektisch zwischen unserem und einem anderen Baum hin- und herfliegt. Pearl hängt die Zunge raus, während sie versucht, sich auf Mathe zu konzentrieren.

      »Stört es dich, einen Busen zu haben?«, frage ich und zeige auf Olivias Brust.

      »Ja. Stört es dich, keinen Busen zu haben?«, fragt sie.

      »Ja.«

      Sie lacht. »Weißt du noch, als wir alle keinen Busen hatten und sich in der Pause einfach alles um unsere Pseudofreunde gedreht hat?«

      »Das waren noch Zeiten.«

      Ein lauter Schlag lässt uns hochschrecken. Jemand pocht gegen den Baumhausboden.

      Ich ziehe am Seil, und die Falltür geht auf. Ashley steckt ihren Kopf durch die Öffnung und klettert zu uns hoch. Sie macht ein langes Gesicht und sieht gleichzeitig verwirrt aus. Wie unser Hund Thibodeaux, wenn der Papagei meiner Cousine zurückbellt.

      »Wartet mal! Was?«, sagt Ashley und schaut zu Navya und Bea, die direkt hinter ihr sind.

      »Reg dich ab und kommt erst mal rein«, sage ich.

      Mit geballten Fäusten stellen sie sich in die Ecke – na ja, stehen kann man das nicht so wirklich nennen, dafür ist die Decke inzwischen für uns zu niedrig.

      »Setzt euch«, kommandiere ich. Ich weiß nicht so recht, warum ich plötzlich so diktatorisch bin. Ich glaube, diese zwei Minuten im Garten, als ich zusehen musste, wie Couchman und Dern meine alte Freundin gedemütigt haben, haben meine DNA für immer verändert.

      »Hallo, Leute«, sagt Pearl, schließt ihr Mathebuch und stopft es in ihren Rucksack.

      Ziemlich sicher denken meine Freundinnen jetzt: Warum ist Pearl hier in Mollys Baumhaus mit dem Mädchen, das uns das Schuljahr versaut hat?

      »Frauen, ich habe euch eingeladen, um etwas klarzustellen. Ich weiß Bescheid und Pearl auch. Olivia ist unschuldig. Die wahren Schurken sind Couchman und sein mieser Komplize Dern.«

      Ich sollte Märchen schreiben.

      »Okaaayyyy«, sagt Navya. Auf engem Raum und wenn sie sauer ist, kann sie manchmal schwierig sein.

      »Setzt euch«, sage ich.

      Und das tun sie.

      Was wir auf unserer Klassenfahrt zum Strawberry Hill State Park machen wollten

      1. Aus dem Zelt schleichen und uns mit den Baseballjungs im Wald treffen, um Wahrheit oder Pflicht zu spielen. (Das kommt von Ashley, weil wir anderen die Baseballjungs nicht mögen.)

      2. Anziehen, was immer wir wollen, weil uns die Kleiderordnung dann ja egal sein kann.

      3. So viele Tüten Gummibärchen wie möglich essen. (Das kommt von Bea, weil sie kurz vor der Klassenfahrt ihre Zahnspange loswird.)

      4. Um Mitternacht im See schwimmen.

      5. Versuchen, die ganze Nacht wach zu bleiben.

      Mein Plan funktioniert

      Nachdem ich ihnen gesagt habe, was ich gesehen habe, müssen Ashley, Navya und Bea nicht mehr groß überzeugt werden. Erst recht nicht, als Pearl auch noch davon berichtet, wie sie Olivia auf die Schulter getippt hat, als die nach dem Naturwissenschaftskurs aufgestanden ist, und ihr etwas ins Ohr geflüstert hat, was kein Mädchen je hören will. Olivia erzählt, wie peinlich ihr das war, wie sie zur Schulschwester wollte, aber Angst hatte, dort auf einen Jungen zu treffen, der sich gerade die Ohren kontrollieren lassen will oder ein Pflaster braucht. Also ist sie zu ihrem Schließfach gestürzt, um ihr Handy zu holen und ihre Schwester anzurufen, damit die eine neue Hose bringt. Schließlich berichtet Pearl, dass sie eine neue rosafarbene Jogginghose in ihrem Schließfach hatte, die sie für Olivia geholt hat, und dann auf der Suche nach ihr durch die Schule gelaufen ist. Dabei hat sie gesehen, wie Couchman Olivia in den Garten dirigiert hat.

      Als wir fertig sind mit Erzählen, umarmen Navya, Ashley und Bea Olivia. Und zwar richtig, so, dass sie ein paar Sekunden lang keine Luft mehr bekommt.


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