Girl Power!. Carrie Firestone
Schrecklich. Das tut mir echt leid. Mal abgesehen von der Kleiderordnung, wie findest du die Schule?
Olivia: Ganz okay. Ich versuche, mich auf die Naturwissenschaften zu konzentrieren, weil ich diesen Sommer ins MINT-Camp gehe.
Ich: Oh, das ist ja cool. Okay, dann kommen wir mal zur Sache. Ich habe eine weitere Zeugin eingeladen. Sag Hallo, Pearl.
Pearl: Hallo.
Ich: Pearl wird sich im Laufe des Podcasts äußern. Doch jetzt zu dir, Olivia. Magst du uns erzählen, was passiert ist?
Olivia holt tief Luft und zerbröselt einen Keks. Die Krümel fallen auf den rosa Plastiktisch, den meine Cousine Shannon uns geschenkt hat, nachdem das Baumhaus fertig war.
Olivia: Ich bin nach dem Matheunterricht zu meinem Schließfach gegangen. Ich brauchte mein Handy, weil ich meine Schwester anrufen musste und sie fragen wollte, ob sie mir was vorbeibringen kann. Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass ich ein Tanktop trage.
Ich: Willst du uns sagen, was deine Schwester dir bringen sollte?
Sie schüttelt den Kopf und gibt ein lautloses Nein von sich.
Olivia: Nee, lieber nicht. Ich bin also den Flur auf der Südseite entlanggegangen, und aus dem Augenwinkel habe ich Dr. Couchman gesehen. Er hat andauernd nur »Hey« gerufen, aber ich bin einfach weitergegangen. Dr. Couchman kennt ja keine Namen außer die der Baseballspieler. Schließlich ist er mir hinterhergerannt, hat mir auf die Schulter getippt und mich gebeten, ihm nach draußen zu folgen. Da habe ich echt Angst gekriegt. Mr Dern saß in seinem Kursraum, und Couchman hat bei ihm ans Fenster geklopft und ihn zu sich gewunken. Dann haben sie beide angefangen, auf mich einzureden: Ich würde gegen die Kleiderordnung verstoßen, alle anderen hätten sich seit über acht Wochen daran gehalten, ob mir das klar sei, wie ich nur so egoistisch sein könnte, ich sei schuld, dass unsere Klassenfahrt nicht stattfindet.
Ich: Wie hast du reagiert?
Olivia: Ich war total fertig. Ich habe darum gebettelt, noch eine Chance zu bekommen. Couchman hat gesagt, er würde es sich überlegen, wenn ich mein Sweatshirt anziehen und nie wieder gegen die Vorschriften verstoßen würde.
Ich: Und hast du?
Sie schaut nach unten und faltet die Hände.
Olivia: Nein. Ich habe ihnen gesagt, dass ich das nicht tun kann, dass mein Sweatshirt da bleiben muss, wo es ist. Sie haben gesagt, ich würde die Verhaltensregeln missachten, sei respektlos, und haben mich ins Sekretariat geschickt, und ich musste meine Eltern anrufen.
Ich: Was haben deine Eltern gesagt?
Olivia: Sie arbeiten beide und hätten nicht den ganzen Weg zur Schule fahren können, um mich abzuholen. Also habe ich meine Schwester angerufen. Sie ist auf der Highschool und hatte selbst Unterricht, aber sie hat mich trotzdem abgeholt und nach Hause gebracht und ist dann noch mal los, um mir bei Starbucks einen Eistee und einen riesigen Schoko-Cookie zu holen. Das war echt nett von ihr. Sie hat an ihrer Schule deswegen nämlich großen Ärger bekommen.
Ich bin neidisch. Es war wirklich ziemlich nett von Olivias Schwester, sie abzuholen, zu Starbucks zu fahren und ihretwegen Ärger zu riskieren. So was würde Danny nie für mich machen.
Ich: Olivia, ich muss dich jetzt etwas fragen, und das wird richtig peinlich.
Sie starrt mich an. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich weiß, wie sie sich fühlt. Kann ich aber nicht. Ich kann es mir nur vorstellen, denn – wie meine Mom immer sagt – ich bin eine Spätentwicklerin. Ich habe den Körper einer Neunjährigen.
Pearl stellt sich neben Olivia und legt ihr die Hand auf die Schulter.
Olivia: Können wir aufhören? Ich will lieber, dass mich die ganze Klasse hasst, als darüber zu reden.
Das kann ich ihr wirklich nicht verdenken.
Ich: Ja. Wir hören auf.
Begriffserklärungen
Ordnung (Substantiv)
Art und Weise, wie etwas geregelt ist, zum Beispiel die Kleiderordnung.
In Ordnung sein (umgangssprachlich)
1. einwandfrei sein
2. gesund sein; sich wohlfühlen
3. nett, zuverlässig, sympathisch sein
Jemanden zur Ordnung rufen (Wendung)
zurechtweisen, [offiziell] zur Disziplin ermahnen
Beispiele:
An der Fisher-Mittelschule gibt es eine Kleiderordnung.
Die Fingerspitze fand es nicht in Ordnung, dass man meinen BH-Träger sehen konnte.
Mein Lehrer hat mich zur Ordnung gerufen, weil mein Knie ihn abgelenkt hat.
Eine kurze Geschichte der Kleiderordnung
»Komm, wir lassen das einfach«, sagt Olivia. »Ich finde es wirklich nett, dass du mir helfen willst. Aber ich überlege echt, ob ich meine Eltern nicht anbetteln soll, zu Hause unterrichtet zu werden.«
Pearl und ich sehen uns an.
Dann sagt Pearl: »Ich habe letztes Jahr in Kunst aus Versehen die Gummis von meiner Zahnspange auf einem Papiertuch liegen lassen, und dann hat Nick allen erzählt, dass ich eklig bin. Da habe ich meine Eltern auch gebeten, zu Hause unterrichtet zu werden.«
»Nick ist eklig«, sage ich.
Wir essen Kekse und starren aus dem Fenster. Ich war schon lange nicht mehr im Baumhaus.
»Noch etwas«, sage ich, aber Olivia unterbricht mich.
»Warum gibst du dir eigentlich so viel Mühe, Molly?« Mit todernster Miene sieht sie mich an. »Also, wir sind doch gar nicht mehr wirklich befreundet.«
»Weil es nicht richtig war, was sie mit dir gemacht haben. Und uns zu bestechen, indem sie uns eine Klassenfahrt anbieten, ist auch nicht in Ordnung.«
Aus der Grundschule kannten wir so etwas wie eine Kleiderordnung nicht. Als wir also auf die Fisher-Mittelschule kamen, haben sie uns das Schülerhandbuch gegeben, in dem alle Sachen aufgelistet waren, die wir nicht anziehen durften.
Im Sommer vor der siebten Klasse bin ich mit meiner Freundin Liza zum Shoppen zu Forever 21 gegangen. Das war echt was Besonderes, denn bis dahin musste ich mit Mom immer in irgendwelche Billigketten. Ich habe mir total süße Shorts und ein lilafarbenes Tanktop ausgesucht, und Liza hat sich die gleichen Shorts gekauft, aber ein grünes Tanktop, weil das zu ihren Augen passte (wir wollten auch nicht genau das Gleiche anhaben). Wir durften uns teure weiße High-Top-Sneaker und Lokai-Armbänder kaufen und, nachdem wir lang genug geübt hatten, endlich ein bisschen geschminkt in die Welt hinausgehen.
Wir fühlten uns schön.
Liza wurde gleich am ersten Schultag in der siebten Klasse gekleiderordnet. Bevor sie uns überhaupt das Handbuch gegeben haben. Bevor wir überhaupt wussten, wo unser Klassenzimmer ist. Ich war nicht dabei, aber mir wurde gesagt, dass die Fingerspitze Liza im Flur erwischt hat. Sie hat sie gezwungen, ihre Arme lang nach unten zu strecken, und sie dann darauf hingewiesen, dass ihre Fingerspitzen über ihre Shorts reichen und dass so etwas hier nicht erlaubt ist. Liza hat sich wohl so fest auf die Unterlippe gebissen, dass sie geblutet hat. Sie wollte nicht weinen.
Nachdem ich das gehört habe, habe ich meinen ersten Tag auf der Mittelschule dann damit verbracht, mich zu verstecken. Ich hatte nämlich die gleichen Shorts an wie Liza. Meine Freundinnen meinten, dass ich mir keine Sorgen machen müsste, da mein Hintern viel kleiner sei als Lizas. Gerecht war das nicht.
Liza und ich haben unseren Müttern nichts von der Kleiderordnung erzählt. Wir wollten nicht, dass sie wütend darüber wurden, so viel Geld für Shorts und Tanktops ausgegeben zu haben, die wir in der Schule gar nicht tragen durften. Liza hat dann ihre Sachen aus der sechsten Klasse angezogen, die alle viel zu klein waren,