The Complete DJ Guide. Christian Haase
DJ ist zwar in erster Linie Musikkünstler, aber am Ende des Tages trotzdem Geschäftsmann. Als One-Man-Show im privaten Bereich muss der DJ alles selbst stemmen - Kunden akquirieren, Auftritte absolvieren, Rechnungen schreiben und Buchhaltung führen. Werbung in eigener Sache sollte nebenher auch noch auf die Beine gestellt werden, weil sonst die Aufträge ausbleiben. Hier hilft das Empfehlungsgeschäft, welches gerade im Event-Bereich gut funktioniert (es kennt einer einen, der einen kennt etc.). Für DJs mit ansehnlichen Gagen gibt es dafür natürlich Agenturen und Dienstleister, welche ihnen die diversen Aufgaben abnehmen. Lediglich die Social Media Accounts werden manchmal von den Künstlern selbst geführt, wobei auch hier der Trend immer mehr dazu geht, externes Personal zu beschäftigen.
Ein DJ sollte keine Scheu vor Rampenlicht aufweisen - denn insbesondere in den Mainstream-Musikbereichen, wo die meisten Aufträge winken, ist ihre Fähigkeit als Showman gefragt. Ein Set gleicht einer Show, die gelungen absolviert werden muss, um das Publikum zu begeistern. Den Radio-Shows und Disco-Tanzveranstaltungen von früher stehen heutzutage moderne Clubs und große Open Air Festivals gegenüber, die musikalisch bedient werden wollen. Ein guter DJ versteht es, die Menge nicht nur zum Feiern zu bringen, sondern auch eigene Tracks zu produzieren und diese in sein Set einfließen zu lassen. Ist man für die Bühne nicht gemacht, wird man es schwer haben, wenn alle Augen auf die DJ-Booth gerichtet sind. Ein prominentes Beispiel dafür ist der verstorbene Schwede Tim Bergling alias Avicii, der sich bei seinen Bühnen-Auftritten in der EDM-Szene immer sichtlich unwohl gefühlt hat. Avicii war ein wahrer Künstler, der sein Handwerk in Perfektion beherrschte und somit für mehrere Hits sorgt. Doch dem Druck, ständig vor tausenden von Menschen spielen zu müssen, obwohl er viel lieber in seinem Tonstudio neue Musik produzieren wollte, konnte er nicht standhalten, was sicher einer der größten Faktoren war, welche zu seinem Tod am 20. April 2018 führte.
In einem erfolgreichen DJ muss also auch immer ein Stück Showman stecken, der gute Unterhaltung auf Knopfdruck liefern kann. Denn: „The show must go on“, gerade in einem sich so spannend und vielfältig entwickelnden sowie schnell verändernden Umfeld wie dem der Musikbranche.
1.3 Die Kunst, Musik aufzulegen
DJ zu sein, bedeutet, ein Allround-Talent zu besitzen - zumindest, wenn man erfolgreich sein möchte. Denn die Kunst, Musik aufzulegen, geht heutzutage weit über das Bedienen der Plattenteller hinaus. Es ist nicht mehr so wie früher, als der DJ nur eine unbekannte Person war, die eine einzige Aufgabe hatte - ebenso wie die Türsteher Gäste kontrollieren bzw. einlassen und die Kellner Getränke bringen sollten - für tanzbare Musik zu sorgen. Oftmals geht es auch nicht mehr darum, gute Übergänge zu finden und Musikstücke perfekt ineinander zu mixen. Das Mixen übernehmen digitale Computer-Programme, sodass es für einen DJ viel wichtiger ist, eine gute Musikauswahl zu treffen und interessant zu bleiben. Selbstverständlich scheiden sich hier die Geister sehr. DJs der alten Schule, die noch gelernt haben, die Geschwindigkeit einer Vinyl-Schallplatte mit der zweiten anzugleichen und minutenlange Übergänge mit exakt synchron laufenden Songs zu präsentieren, belächeln die neue Generation von DJs immer wieder. Digitale Programme bieten allerdings auch Vorteile, die reine Vinyl-DJs nicht nutzen können. So können die Titel quasi live geremixt werden, oder es lassen sich auch gleich vier Titel synchron ansteuern, Samples einspielen oder durch digitale Synthesizer direkte Melodie-Abfolgen aufnehmen und im DJ-Set integrieren. Wie bei allem im Leben gibt es also zwei Seiten der Medaille und ein jeder DJ sollte für sich selbst entscheiden, wie er sein Set gestalten möchte und zu seiner Entscheidung stehen.
Immer wieder neue Musik zu spielen, ist das A und O, da kein Event-Veranstalter jemanden buchen würde, der jedes Mal die gleichen Lieder spielt, am besten noch immer in derselben Reihenfolge. Selbstverständlich ist es ein Muss, Klassiker einzubauen, wenn diese funktionieren. Es muss ein wenig abhängig von der Art der Veranstaltung betrachtet werden. In einer Disco vor jungem Publikum um die 20 wird man mit Hits der 80er Jahre sicher auf blankes Unverständnis stoßen, beim Techno-Festival wäre es wohl einem Selbstmordkommando ähnlich, wenn man einen Hip Hop-Track spielt und bei einer 90er Jahre Party steht von vorn herein fest, was läuft. Spannender wird es bspw. bei Hochzeiten und anderen Familienfeiern, bei denen mehrere Generationen aufeinander treffen und der DJ vor der großen Herausforderung steht, vom klassischen Schlager für die Oma, 70er und 80er Dance Classics für Onkels und Tanten mit aktueller Musik für die jüngere Generation zu mischen. Evtl. kristallisiert sich auch noch eine spezielle Musikrichtung heraus, vielleicht ist die Gesellschaft eher rockig unterwegs, stehen lieber auf Rap oder sind große Fans von Ballermann und Aprés Ski. Die Kür des DJings besteht also in solchen Momenten, wo man einem so enorm breit gefächerten Publikum gerecht werden muss und für jeden Gast irgendwas dabei zu haben, ohne die Stimmung durch Stilwechsel zu ruinieren.
Auf der Suche nach neuer Musik gab es früher nur einen Weg für DJs: Den Gang in den Plattenladen. Dieser war nicht nur der Ort, wo man die neusten Releases durchhören und mitnehmen konnte, sondern war ebenso ein Treffpunkt für DJs, die sich bei Kaffee und Kippe über das letzte Party-Wochenende austauschten, einander Musiktipps gaben und über ihre neusten Projekte sprachen. Man tauschte nicht nur Tipps, sondern auch Kontakte und Auftrittsmöglichkeiten aus. Ein Gang zum Plattenladen am Freitagnachmittag gehörte für alle DJs zur Vorbereitung für das anstehende Wochenende dazu. Bevor es in den Club ging, musste man sich erst einmal die neusten Sachen kaufen, damit man bei der Party auch auf dem neusten Stand der Dinge ist.
Heutzutage gibt es dafür das Internet - Plattformen wie Spotify und YouTube machen es möglich. Sie sind eine nahezu unbegrenzte Quelle neuer Musik und bieten DJs unzählige Möglichkeiten, neue Musik zu finden, um so ein vielfältiges Repertoire zusammenzustellen. Wer sucht, der findet. Vocal-Künstler finden DJs, DJs finden andere DJs und Größen der Branche finden unbekannte Talente, die sie fördern können und deren Musik zum Produzieren neuer Musik dient. Handelt es sich um einen sehr erfolgreichen DJ, ist er meistens gleichzeitig auch Musik-Produzent und kann so immer wieder neue Tracks für seine Auftritte schaffen bzw. kreieren. Wer seinen eigenen Remix von einem Song erstellt, kann in seinen Sets so ganz exklusive Musik spielen, die sonst keiner hat und bei den Partygästen für große Augen - oder besser Ohren - führen wird, läuft gleichzeitig aber auch Gefahr, dass das Publikum dieser Neuinterpretation abgeneigt gegenüber reagiert und sich fragt, warum der DJ nicht das um Längen bessere Original spielt. In der EDM-Szene beispielsweise ist das die beliebteste Möglichkeit, an neue Musik zu kommen, denn auch die Fans lieben es, wenn sich zwei Künstler oder DJ-Duos mit ähnlichem Sound zusammentun. Immer wieder liest man Kollaboration, die als DJ X & DJ Y oder DJ X feat. DJ Y gekennzeichnet werden. Alternativ tauchen oft auch Kürzel wie pres. oder vs. auf.
Weiterhin umfasst die Kunst, Musik aufzulegen, die Gabe, die passende Musik zur richtigen Zeit zu spielen. Das Set wird im Voraus geplant, sodass der DJ ein Gefühl für die richtige Dramaturgie beweisen muss - mit was fange ich an, welche Tracks füllen meinen Mittelteil, mit was höre ich auf? So wäre es völlig vermessen, wenn ein Hochzeits DJ mit viel zu langsamen Stücken um die Ecke kommt - die Hochzeitsgäste wollen ausgelassen feiern - oder ein House-DJ zu viel Trap spielt. Ein guter DJ weiß, welche Musik er wann auflegen kann. Befindet er sich bspw. auf einem großen Elektro-Festival, kann er, wenn er die Stimmung vorher durch andere Lieder gut aufgebaut hat, auch einmal einen energetischen Song eines anderen (verwandten) Genres einbauen, z.B. Tech-House, Trance oder Drum’n‘Bass - die Menge wird ihn annehmen und abfeiern. Doch dafür braucht es viel Gespür und eine gute Zusammenstellung der vorigen Songs. Selbstverständlich sollte man als DJ aber keine fixe Playlist haben, die man von oben bis unten durchjagt. Es ist enorm wichtig, die Atmosphäre anzunehmen und flexibel zu reagieren, wenn man merkt, dass das Publikum bereit für eine Veränderung (Genre, Tempo) ist. Auch sollte man in der Lage sein, Musikwünsche zu registrieren und darauf zu reagieren. Jedes Publikum wird es dem DJ danken, wenn dieser auch auf die Wünsche seiner Crowd eingeht und nicht stumpf sein Programm abspielt.
Ein recht umstrittenes Thema sind DJ-Sets, welche aufgenommen, elektronisch gespeichert und bei großen Events nur noch abgespielt werden. Gerade große DJ-Stars stehen des Öfteren unter Verdacht, nicht live mixen zu können und diese Pre-Recordings nur abzuspielen und so zu tun, als könnten sie mixen. Es gibt hunderte Videos auf YouTube, die DJ-Größen zeigen, wie sie am