Pächter der Zeit. Thomas Flanagan
Theologie führen?«
»Es gehört nicht zu den Pflichten eines Priesters, sich zwischen meinen Gott und mein Land zu stellen. Der Eid ist allerdings der springende Punkt, das ist das Problem.«
»Der Eid ist geheiligt«, erklärte Ned leidenschaftlich. »Es ist ein Eid, den wir vor Gott abgelegt haben, um dieses Land von der Unterdrückung zu befreien, und er ist bindend fürs ganze Leben.«
»Pater Cremin ist nicht deiner Ansicht«, sagte Bob sanft und leicht amüsiert.
»Zur Hölle mit Pater Cremin«, erwiderte Ned. »Vor einer Minute hast du mir erzählt, daß Männer den Eid abgelegt und mit euch exerziert haben und dann ausgestiegen sind. Es überrascht mich, daß du das zugelassen hast.«
»Zugelassen?« fragte Bob. »Wir können auf Knockmany Hill ja wohl kaum ein Kriegsgericht abhalten.«
»Warum nicht?«
Bob und ich starrten einander an, verwirrt weniger von den Worten als von der lässigen Art, in der sie geäußert worden waren.
»Einen Mann aus seinem Haus zerren und ihn zur Strafe durchwälken«, sagte Bob, »wie die Whiteboys und die Ribbonmen? Ist deine Frage so zu verstehen? Wenn es am nächsten Morgen hell wird, hast du in Kilpeder keinen Fenierzirkel mehr. Laß mich eins klarstellen, Ned, und damit will ich deinem Rang nicht zu nahe treten. Du bist in deine Heimatstadt zurückgekommen, und du trägst einen Namen, der in Ehren gehalten wird, aber du bist an einem dir unbekannten Ort. In solchen Fragen wärest du gut beraten, wenn du dich an Hugh und mich halten würdest.«
»Der Eid gilt für das ganze Leben«, beharrte Ned.
Bei Gott, dachte ich, diese Worte könnte man auf seinen Grabstein schreiben.
»Für das ganze Leben«, sagte Bob. »Aber Worte müssen sich den Umständen anpassen.«
Noch ein Motto für einen Grabstein. Ich habe in späteren Jahren oft gedacht, daß die beiden mit diesen Worten ihre wahre Natur offenbart hatten.
»Und du hast eben gefragt«, fuhr Bob fort, »wie die Jungs sich fühlen, wenn sie vom Altar herab verflucht werden. Sie fühlen sich verdammt mies, ängstlich und verwirrt. Sie sind Kneipengänger und Landarbeiter, schlichte, ungebildete Männer. Und die Sache, der sie sich verschrieben haben, wird von der Kirche verdammt, von jedem Bischof und von fast allen Priestern. Ganz zu schweigen von den Katholiken von höherem Stand, den Kaufleuten und den Gastwirten und den Viehhändlern und den anderen. Ich habe große Achtung vor den Burschen, die mit uns in die Hügel kommen, und sogar eine Art Mitgefühl mit denen, die aussteigen.«
Er sprach die schlichte Wahrheit, und die Ehrlichkeit seiner Worte verfehlte ihre Wirkung auf Ned nicht, der im Grunde als gerechter Fanatiker bezeichnet werden konnte. Aber es war nicht die ganze Wahrheit, die sich nicht leicht in Worte kleiden läßt. Viele Kaufleute und nicht wenige Priester verdammten uns aus voller Kehle und mit gutem Gewissen und hegten doch die heimliche Hoffnung, wir möchten Erfolg haben.
»Sie gehen von eurem Knockmany Hill«, sagte Mary plötzlich, »zurück zu den Hütten von Vätern und Müttern, die so schlicht sind wie sie selber. Ängstliche Männer und Frauen, die sich an den großen Hunger erinnern, die die Macht der Gutsbesitzer und Richter und der Polizei kennen.«
Sie schenkte Tee ein und sprach dabei mit ruhiger Stimme.
»Wir alle kennen ihre Macht«, erwiderte Ned, als sie ihm seine Tasse reichte. »Die Organisation soll ihr ja ein Ende machen.« Aber sein Tonfall war so ruhig wie ihrer, und seine Worte waren die eines Menschen, der eine Streitigkeit beenden will.
Nach dem Essen gingen wir wieder ins Wohnzimmer und gönnten uns ein Glas oder zwei, um den Abend abzurunden, aber es war klar, daß niemand unter uns lange weitermachen wollte. Mit Ned war etwas Neues in unser Leben gekommen. Aber unser Gespräch war angenehm und ohne Spannungen, mit Ausnahme von Neds verlegenem Benehmen, das er niemals verlieren sollte, nicht einmal, als wir uns sehr nahe gekommen waren. In seinen Gedanken schien es für Klatsch und Plaudereien über Wetter und Ernten keinen Platz zu geben. Aber er war auch, wie ich an diesem ersten Abend erst zu entdecken begann, ein Mann, der eine große, aber seltsame Auswahl an Büchern gelesen hatte, auch wenn er kaum zur Schule gegangen war. Seine Lektüre sollte sich im Laufe der Zeit als Ramschbeutel herausstellen, geöffnet in einer hingeworfenen Anspielung oder in einem Gespräch in den Hügeln – Hugos Les Misérables, Marc Aurel, Herodot, die Essays von Montaigne, Onkel Toms Hütte, Patrick Henry, Cooper und Scott, irgendein Amerikaner, der zwei Jahre lang vor dem Mast gesegelt war. Und Shakespeare. Immer wieder las er Shakespeares Stücke.
Über Les Miserables sprach er an diesem Abend in einer Art, die für ihn der Geschwätzigkeit nahekam – nicht über das Buch selber, sondern über die Nächte, in denen er es gelesen hatte, am Lagerfeuer, bei der großen Belagerung von Petersburg. Dabei befand er sich nicht auf dem Boden von Virginia, sagte er, sondern in den labyrinthischen Kloaken von Paris, zusammen mit dem armen gejagten Jean Valjean. Jean Valjean war sein großer Held, sagte er, als er steif vor uns saß und seine knochigen Knie umklammerte.
Ich brachte Bob ans Tor und blieb dort kurz mit ihm stehen.
»Dieser Vetter ist ein angespannter Bursche«, sagte ich. »Kein Mann, den man zum Pferderennen mitnehmen würde.«
»Er ist ein guter Mann«, sagte Bob. »Er ist hier bitter nötig. Morgen kann ich dieses Waffenhandbuch des verdammten Franzmanns ins Feuer schmeißen.«
»Meinst du?« fragte ich überrascht. »Ich finde das auch, aber ich dachte, ihr beide wärt absolut nicht füreinander geschaffen.«
Aber Bob schüttelte den Kopf, klopfte mir auf die Schulter und machte sich auf den Weg zu Tullys Laden.
Bald darauf nahm ich Neds Koffer und führte ihn ins hintere Schlafzimmer, das er benutzen sollte, das Zimmer, das in späteren Jahren den Kindern gehören sollte. Und die jungen Dinger übernahmen unsere Ausdrucksweise so vollständig, daß es nicht ihr Zimmer war, sondern »Neds Zimmer«. Damals in den 70er Jahren war der Aufstand bereits in die vage Vergangenheit zurückgesunken, in die Sage, aber das Zimmer trug immer noch Neds Namen.
Er nahm mir den Koffer ab, hob ihn aufs niedrige Bett und öffnete ihn. Hemden und Hosen legte er auf die Bettdecke, und dann zog er, nach heftigem Wühlen, zwei in Flanell gewickelte Gegenstände hervor. Er wickelte den kleineren der beiden aus.
»Bob hat vorhin gesagt, du hättest keine Waffe, Hugh. Du kannst diese hier gern haben.«
Vorsichtig nahm ich den Revolver, den er mir reichte, und wog ihn in der Hand, wobei mein Zeigefinger nicht auf dem Abzugshahn, sondern am Sicherungsflügel ruhte. Er war schwerer, als ich erwartet hatte, das Metall fühlte sich kalt an. Die Kammern waren kleine, schwarze Münder. Als ich ihn hielt, fühlte ich mich unbeholfen und unwohl.
»Der hier gehört mir«, sagte Ned und wickelte das andere Flanelltuch auseinander. Schußwaffen sind niemals meine Leidenschaft gewesen, weder damals noch später. Sie sind düstere Instrumente des Todes, kompakt und brutal, mit einer düsteren Intelligenz, als ob sie in ihren metallenen Seelen wissen, daß ein haarfeiner Druck, ein Bruchteil von Sekunden Menschen oder Tieren den Tod bringen, Fleisch, Muskeln, Haut, Fell zerfetzen kann. Aber ich konnte sehen, daß Neds Revolver ein Prachtexemplar dieser düsteren Gattung war.
»Es ist ein Colt«, sagte Ned, und das Wort brachte mir das Bild eines jungen Pferdes, das wild über eine Wiese stürmt. »Es ist ihr neuster Entwurf, ein single-action .44.« Er hielt ihn in der rechten Hand und fuhr mit der linken am langen Lauf entlang, das Streicheln eines Liebhabers.
»Ist das die Waffe, die du im Krieg benutzt hast?« fragte ich.
»Der Bursche hier? Dieser Bursche ist niemals an Corporals ausgeteilt worden.« Er trug den Colt hinüber zu der Kerze, die Mary für ihn angezündet hatte. Im sanften, vertrauten Licht glänzte er, glatt und schwer, aber mit der aller feinen Mechanik innewohnenden Eleganz.
»Drei Nächte, ehe ich losgesegelt bin, hat ein Mann namens Rafferty, der bei den Pionieren Major gewesen war, ihn mir gegeben. Er war einmal Mitglied der Organisation. Ich aß an diesem