Wer keine Falten hat, hat nie gelacht. Renate Georgy

Wer keine Falten hat, hat nie gelacht - Renate Georgy


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körperlich fühlen die meisten sich in diesem Alter einigermaßen fit und leistungsfähig.

      Silvia Bovenschen schreibt in ihrem lesenswerten Buch Älter werden von einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage in ihrem Freundinnen- und Bekanntenkreis. Diese habe ergeben, dass die Jahre um vierzig von fast allen inzwischen deutlich Älteren als besonders erfreuliche Zeit angesehen werden. Auch ich selbst kann die Frage »Möchtest du noch mal zwanzig sein?« sofort verneinen, komme jedoch bei der Überlegung »Und vierzig?« kurz ins Grübeln. Andererseits: Verglichen mit heute, also mit Mitte sechzig, war ich mit vierzig doch noch in vielem ahnungslos. So kommt es mir heute jedenfalls vor. Oder sagen wir es so: Vierzig zu sein war schon ziemlich gut, aber über sechzig zu sein ist besser. Konkret: Mit vierzig wusste ich noch wenig von dem, worüber ich heute schreibe. Ich wusste weder, woher die Gefühle kommen, noch, wie sie vergehen. Ich wusste nicht, dass meine Lieblingsstadt nicht Hamburg, sondern Berlin heißt. Ich kannte nur einen Teil meiner Bedürfnisse und traute mich erst nach und nach, sie zu bemerken und zu leben. Ich glaubte noch, dass es Kriege gibt, die aus humanitären Gründen geführt werden. Um nur einige Punkte zu nennen.

      Dass es besser sein kann, sechzig als vierzig zu sein, widerspricht zwar so ziemlich allem, was Tag für Tag allüberall behauptet wird, vor allem dann, wenn es um eine Frau über sechzig geht. Doch dafür kann ich ja nichts.

       Tausche Babyface gegen Charakterkopf

      Ja, die Erfahrung, die Erkenntnisse, das Wissen, das Standing, all das ist sicher mit zunehmendem Alter erstrebenswert, denkst du jetzt vielleicht. Aber was ist mit dem Aussehen?

      Gerade Frauen legen es nicht selten darauf an, noch mit fünfzig irgendwie in das schon erwähnte Kindchenschema zu passen: große, erstaunt aufgerissene Augen, Schmollmund, Löckchen, glatte Haut und eine hohe Stimme. Das soll jede halten, wie sie will. Doch mein Ding ist es nicht. Ich suche nämlich keinen, der mir ein Eis kauft, und auch niemanden, der mir sagt, wo es langgeht. Ich kann alleine über die Straße gehen, und wenn ich Streicheleinheiten brauche, hole ich sie mir. Und ich finde, all das darf man(n) durchaus schon auf hundert Meter sehen.

      Mir gefallen Frauen und Männer, denen ich ansehe, dass sie viel erlebt und viel begriffen haben. Kluge Augen, vielsagende Münder, Individualität, Gesichter, die einiges darüber verraten, was sich dahinter abspielt, die wie ein offenes Buch sind, in das ich gerne reinlese und mich vielleicht darin vertiefe. »Von einem bestimmten Alter an ist jeder Mensch für sein Gesicht verantwortlich«, hat Albert Camus geschrieben. Genau das meine ich. Es fällt nicht immer leicht, sämtliche der äußeren Anzeichen dieser Selbstwerdung zu akzeptieren. Doch alles an uns ist wandelbar und veränderlich, auch Gesichter und Haltungen. Nichts bleibt, wie es war. Aber auch: Nichts muss bleiben, wie es ist.

      Wir können nicht zurück in die Vergangenheit. Was wir können, ist, vertrauensvoll und mutig voranzugehen. Zugegeben, in einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn verfallen ist, bedeutet das altersgemäße Aussehen ein ständiges Schwimmen gegen den Strom. Es gilt, sich gegen eingefahrene Sehgewohnheiten zu behaupten. Auch ich muss mir dies immer wieder klarmachen und es im Alltag praktizieren. Wir sind von so vielen fremdbestimmten Bildern umstellt, dass es eine Menge Autonomie erfordert, eigene Vorstellungen zu entwickeln und den Fokus auf das zu richten, was sonst unbeachtet bliebe.

      Wenn ich in Berlin unterwegs bin, sei es zu Fuß oder mit dem Doppeldecker, schreibe ich regelmäßig den Germanys-Next-Top-Oldie-Contest aus und halte Ausschau nach interessanten und schicken grauhaarigen Männern und vor allem Frauen. Dabei kommen viele Menschen zusammen, die anzusehen mir große Freude bereitet. Zur Nachahmung empfohlen!

      Sehgewohnheiten zu verändern kann etwas Spielerisches haben. Wer sich für Mode interessiert, weiß das. Jede Saison kommen neue Styles auf den Markt. Anordnungen von oben wie »Diese Hosen sind im Herbst in und diese nicht mehr« sind out! Wir tragen, was uns gefällt, und entdecken mit jeder neuen Farbe und jedem neuen Schnitt bestenfalls eine neue Seite an uns. Was gestern als hässlich und geht-gar-nicht angesehen wurde, erscheint heute im neuen Licht. Plötzlich gibt es »ugly sneakers« zu kaufen, Socken in Sandalen sind hip und Pullunder der letzte Schrei. (Wahrscheinlich gilt sogar der Ausdruck »der letzte Schrei« bald nicht mehr als retro.) Warum sollte das, was in der Mode geht, nicht auch beim Blick auf ältere Frauen möglich sein: dass die Begriffe von »attraktiv« und »unattraktiv« sich wandeln und Charakterkopf statt Babyface gefragt ist.

Ein paar Mythen, ein paar Fakten

       Nichts für Feiglinge: das Leben

      Jedes Lebensalter hat seine Vorzüge und seine Glücksmomente, aber auch seine Herausforderungen, um nicht zu sagen: Krisen und Katastrophen. Das Alter ist nichts für Feiglinge. Ja klar, aber das gilt für das Leben insgesamt.

      Allein wie unser Dasein auf der Erde beginnt, ist bezeichnend. Wir kommen durch einen mehr oder weniger mühsamen, schmerzhaften und blutigen Prozess auf die Welt. Die Reaktion auf den Erstkontakt mit unserem neuen Lebensraum erfolgt prompt: ein heftiger Schrei.

      Und auch danach gibt es etliches, das zum Schreien ist – zuweilen zum Schreien komisch, je nach persönlicher Einstellung.

      Wir kommen nicht darum herum, alle Zumutungen zu ertragen, die ein normales Leben bereithält: Verletzungen, Krankheiten, Pleiten, Pech und Pannen, Schulversagen, Todesfälle, Arbeitslosigkeit, nicht zu reden von Krieg, Vertreibung und Folter. Das alles gehört mehr oder weniger zum Leben dazu und hat nichts mit dem jeweiligen Lebensalter zu tun.

      Mir hilft bei alldem die Vorstellung, dass die Erde ein Ausbildungsplanet ist. Dieser will uns im Prinzip nicht quälen, hat aber ehrgeizige Lernziele festgelegt. Kaum beherrschen wir eine Sache aus dem Effeff, steht garantiert schon eine neue, unbekannte Herausforderung vor der Tür. Sich drücken gilt nicht. Doch auch wenn wir das Klassenziel einmal nicht erreichen sollten, bedeutet das lediglich, eine Ehrenrunde zu drehen. Wir bekommen jede Lektion so lange vorgesetzt, bis wir sie verstanden und gemeistert haben.

      Dabei hält man sich selbst oft für besonders gefordert und übersieht leicht, vor welche Aufgaben andere gestellt werden.

      Wer das erkennt und sich danach richtet, kann eine Menge Spaß im Leben haben. Denn schließlich ist es nichts anderes als eine wilde Achterbahnfahrt: aufregend, überraschend, mal beängstigend, mal begeisternd, zum Schreien und doch alles in allem ein großes Vergnügen.

       Gesundheit und Krankheit

      Es heißt, Alter und Krankheit seien Zwillinge. Ein langes Leben werde am Ende mit längerem, zunehmendem Siechtum bezahlt. Doch stimmt das wirklich?

      Zuerst einmal sind die verschiedenen Alter zu unterscheiden. Haben wir es mit Menschen über fünfzig oder über neunzig zu tun?

      Die nächste Frage ist die nach der Definition von Krankheit. Ist die subjektive Einschätzung entscheidend, die Fähigkeit, den Alltag selbstständig zu bewältigen, oder kommt es darauf an, welche ärztlichen Diagnosen gestellt und welche Medikamente verordnet werden? Fragen über Fragen. Doch es ist besser, Fragen zu haben, als vorschnell Antworten zu geben.

      Tatsache ist, dass Menschen immer älter werden und gleichzeitig länger fit bleiben als noch vor einigen Jahrzehnten. Der Gesundheitszustand der älteren und alten Bevölkerung in Deutschland verbessert sich ständig. Auch deshalb machen Aussagen die Runde wie: Sechzig sei das neue vierzig, siebzig das neue fünfzig und so weiter. Andererseits erhöht die gestiegene Lebenserwartung das Risiko chronischer Erkrankungen und lässt degenerative Prozesse an Bedeutung gewinnen. Doch die Fortschritte in der medizinischen Versorgung – so sie denn zum Wohle der Patient*innen eingesetzt werden – ermöglichen trotz Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und Rheuma ein im Wesentlichen lebenswertes Leben.

      Immer mehr ins Bewusstsein rückt die Bedeutung des Lebensstils. Wer Gesundheitsrisiken wie Rauchen, übermäßigen Alkoholkonsum, Übergewicht


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