Wer keine Falten hat, hat nie gelacht. Renate Georgy
wirken.
Neben der körperlichen ist die seelische Gesundheit und die mentale Fitness nicht hoch genug einzuschätzen. Eine chronische Erkrankung muss nicht zwangsläufig die Lebensqualität mindern. Erstaunlich vielen älteren und alten Menschen gelingt es, trotz verschiedener Handicaps ihre Lebenszufriedenheit aufrechtzuerhalten.
Zur mentalen Gesundheit gehört es, den Fokus auf das auszurichten, was möglich ist, statt sich auf das zu konzentrieren, was nicht mehr geht. Soziale Teilhabe sowie ein sinnerfülltes, aktives und selbstbestimmtes Leben haben enormen Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit.
Die Zauberformel guten Alterns heißt: »Use it or lose it« oder auf gut Deutsch »Wer rastet, der rostet«. Fähigkeiten, die nicht abgerufen werden, verkümmern. Das gilt für Fremdsprachenkenntnisse ebenso wie für soziale Kompetenz, psychische Flexibilität und – entgegen der weitverbreiteten Ansicht – auch für das Fahrradfahren, das man sehr wohl verlernt, wenn man es nicht trainiert. Nur etwas, das wir regelmäßig tun, ist jederzeit abrufbar. Wer anfängt zu glauben: »Dafür bin ich zu alt!«, stellt sein Training ein und erlebt in der Folge den schleichenden Verlust seiner Fähigkeiten. Es entsteht ein Teufelskreis, der mehr und mehr zu einer Abnahme des Könnens führt. Dies wird dann fälschlicherweise dem Alter zugeschrieben, während es in Wirklichkeit auf mangelnder Übung beruht. Wir alle kennen Menschen, die zwar gleichaltrig, aber ganz unterschiedlich fit sind. Nicht nur Ältere büßen ihre Fähigkeiten infolge Nichtgebrauchs ein. Dieselbe Erfahrung machen bereits Jüngere, wenn sie aufhören, ihr Können einzusetzen. Erst will man nicht mehr, und dann kann man nicht mehr. So wundern sich Vierzigjährige, dass sie nicht mehr so sportlich sind wie mit zwanzig. »Ich fange an, alt zu werden«, glauben sie dann, statt zu begreifen, dass sie mal wieder – so wie früher – trainieren müssten.
Mittlerweile wissen wir, dass Demenzerkrankungen zwar zunehmen, aber keine zwangsläufige Folge höheren Alters sind. Es gibt mehr Menschen, die nie daran erkranken, als Betroffene. Einige Expert*innen auf dem Gebiet der Gerontologie behaupten sogar, es handele sich überhaupt nicht um eine Alterserscheinung, sondern schlicht und einfach um eine behandelbare und – jedenfalls im Frühstadium – heilbare Krankheit. Bildung, körperliche und geistige Aktivität, ausreichender Schlaf, wirksames Stressmanagement und das Meiden bestimmter Medikamente sind gute Voraussetzungen dafür, NICHT an Demenz zu erkranken.
Gesundheit und Krankheit hängen nicht zwangsläufig vom Alter ab, wenn auch die Krankheitshäufigkeit jenseits des achtzigsten Lebensjahres zunimmt. Aber das ist nur eine Beschreibung des Ist-Zustands und keine Aussage über das, was bei rundum gesunder und glücklicher Lebensführung möglich wäre. Im Alterssurvey 2002 gaben nur sieben Prozent der über Siebzigjährigen an, an keiner Krankheit zu leiden. Bei den Vierzig- bis Fünfundvierzigjährigen sind es 32 Prozent, was bedeutet, dass auch unter denjenigen, die noch nicht als alt gelten, erstaunliche 68 Prozent mit einer Erkrankung leben. Immerhin sind unter den Siebzig- bis Neunundsiebzigjährigen 50 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen mit ihrer Gesundheit zufrieden oder sehr zufrieden. Diese Zahlen lassen sich unterschiedlich werten. Einerseits sind bereits rund zwei Drittel der jüngeren Menschen gesundheitlich beeinträchtigt. Andererseits zeigt sich knapp die Hälfte aller jüngeren Alten mit ihrer Gesundheit zufrieden bis sehr zufrieden.
Doch ist nicht irgendeine Krankheit – spätestens im hohen Alter – erforderlich, weil wir alle sterben müssen? Nicht einmal das, denn es gibt durchaus Menschen, die ohne leidvolle Vorerkrankung ihr Leben beschließen, einfach weil ihr Herz eines Tages oder Nachts stehen bleibt.
Beim allgemeinen Schreckgespenst Pflegebedürftigkeit lohnt sich ebenfalls eine genauere Betrachtung. Je höher das Lebensalter, desto höher ist auch der Anteil an pflegebedürftigen Menschen. Trotzdem haben über 30 Prozent der Frauen über fünfundachtzig keinerlei Bedarf an fremder Hilfe. Nicht einmal die Pflegebedürftigkeit im hohen Alter ist also ein Automatismus. Wobei Frauen deutlich häufiger als Männer pflegebedürftig werden, nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch prozentual. Allein an der höheren Lebenserwartung von Frauen kann es demnach nicht liegen.
Zwei Erklärungsansätze lassen sich hören: Zum einen könnten Männer, die – anders als die meisten ihrer Geschlechtsgenossen – überhaupt ein sehr hohes Alter erreichen, gesundheitlich besonders widerstandsfähig sein. Zum anderen pflegen deutlich mehr ältere Frauen ihren alten Lebenspartner, als das umgekehrt der Fall ist. Möglicherweise wird deswegen kein Antrag auf Pflegeversicherungsleistungen gestellt und die unterstützungsbedürftigen Männer gehen nicht in die Statistik ein.
Von nun an geht’s bergab?
Allzu oft wird das Alter als defizitär beschrieben, als eine Zeit des Verfalls, die genau genommen bereits kurz nach der Kindheit einsetzt und sich spätestens jenseits der vierzig rapide beschleunigt. Fünfzigjährige machen, sobald sie eine Erinnerungslücke bei sich feststellen, Alzheimer-Witze. Doch so richtig lachen können sie nicht darüber. Es ist einfach zu schrecklich, jedenfalls in ihrer Vorstellung. Dabei sind körperliche Scherereien keineswegs ein »Vorrecht« des Alters.
Als Teenagerin hatte ich Kreislaufprobleme. Bei passender, aber öfter noch bei unpassender Gelegenheit gab ich vorübergehend meinen Geist auf und verabschiedete mich in minutenlange Ohnmachten. Mal brach ich mitten in der größten Hamburger Einkaufsstraße zusammen, mal bei einem Schützenfestumzug in Bad Bevensen. Maximale Aufmerksamkeit war mir auf diese Weise garantiert. Doch niemand, ich eingeschlossen, kam auf die Idee, es könne sich um »etwas Ernstes« handeln. Ich erlangte einfach das Bewusstsein wieder, klopfte mir den Staub von der Hose und hatte allenfalls ein paar blaue Flecken mehr. Der Menschenauflauf verflüchtigte sich, und alle gingen wieder ihren gewohnten Beschäftigungen nach.
Würde mir dasselbe heute mit vierundsechzig passieren, ich glaube, niemand – nicht einmal ich selbst – könnte dermaßen gelassen über so ein Ereignis hinweggehen. Wahrscheinlich wäre ich schon mehrfach mit Blaulicht in das nächste Krankenhaus befördert worden, um vom Kopf bis zu den Zehen durchgecheckt zu werden.
»Von nun an geht’s bergab«: Das ist der Gedanke, der uns im fortgeschrittenen Alter typischerweise bei allem und jedem in den Kopf kommt. Es knirscht im Knie: unheilbare Arthrose. Die Hüfte tut weh: künstliches Gelenk, Rollator. Der Name der Nachbarin ist wie weggeblasen: beginnende Demenz, geistige Umnachtung. Ein Fleck auf dem Kinn: Hautkrebs. Kündigung: dauerhafte Arbeitslosigkeit, Altersarmut. Der Lieblingsmensch trennt sich: Das war‘s dann mit der Liebe. Und so weiter und so fort.
Das Schlimmste an solch schwarzen Gedanken ist, dass sie die Tendenz haben, zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen zu werden. Der Mechanismus, der dem zugrunde liegt, ist gut erforscht. Geht man in jüngeren Jahren davon aus, im Alter von fünfundsechzig an mehreren chronischen Krankheiten zu leiden und nicht mehr in der Lage zu sein, ein aktives, sinnerfülltes Leben zu führen, wird man entsprechende Entscheidungen treffen und dazu passende Gewohnheiten ausbilden. Spätestens ab sechzig schaltet man zusätzlich in einen Das-hat-doch-eh-alles-keinen-Zweck-mehr-Modus.
Wer alles sinnlos findet, erlebt Sinnlosigkeit. Wer sich nichts (mehr) zutraut, erlebt seine Unfähigkeit. Doch wie entstehen solche Überzeugungen? Gesellschaftliche Denkgewohnheiten spielen eine wichtige Rolle. In Gesellschaften, die das Alter abwerten, fühlen sich viele Alte wertlos. Doch dasselbe gilt auch umgekehrt. Dort, wo die Erfahrung und Souveränität von Älteren geschätzt wird, halten auch diese selbst ihre Fähigkeiten für wertvoll.
Es gibt eben nichts, was an und für sich gut oder schlecht wäre. Alles lässt sich so, aber auch ganz anders interpretieren. Für das Älterwerden trifft das ganz besonders zu.
Regelmäßig raten mir wohlmeinende (übrigens ausschließlich männliche) Mitmenschen dazu, mir doch endlich einen Hackenporsche (auch Einkaufsroller genannt) für meine Einkäufe zuzulegen. Ich würde zu schwer tragen. Ein Taxifahrer, der vor vielen Jahren meine Reisetasche aus dem Kofferraum hob, sagte ebenfalls: »Das ist zu schwer für Sie!« Tatsächlich erhalte ich auf exakt diese Art und Weise meine Kraft, und das ganz ohne Mitgliedschaft im Sportstudio.
Als ich Kind war, nahmen Männer Frauen alles aus der Hand, was ihnen für weibliche Menschen im