Sing wie ein Vogel - Ein Schweden-Krimi. Thomas Kanger

Sing wie ein Vogel - Ein Schweden-Krimi - Thomas Kanger


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      »Vierzig Jahre Gemeinderat«, sagte Henrik Svalberg. »Man kann nicht behaupten, er hätte keine Ausdauer gehabt.«

      »Und er wurde von allen Lagern respektiert. Auch wenn er wegen der Einsparungsmaßnahmen in den neunziger Jahren ziemlich viel Gegenwind bekam.«

      »Deswegen ist es ein wenig verwunderlich, dass Ingvar Carlsson seinen Weg in den Reichstag bremste«, sagte John Rosén.

      »Aber du hast meine Frage nicht beantwortet, Erik«, mischte Elina sich ein. »War Åkesson ohne Unterbrechung in Västerås tätig?«

      Enquist blätterte in seinem Computerausdruck.

      »Fast. Im ersten Halbjahr 1962 war er Ombudsmann der Jusos in Luleå. Es war eine Vertretung, deswegen blieb er wohl nur so kurz.«

      »Das erklärt den Artikel in seiner Ausschnittsammlung«, stellte Elina fest.

      »Und außerdem war er mit einer internationalen Aufgabe betraut. Er war Mitglied in der Delegation einer schwedischen Entwicklungshilfeorganisation, die sich um den Wiederaufbau Vietnams nach dem Krieg kümmerte. 1976 und 1977 war er mehrere Male dort. Und einmal bereits 1972.«

      Er sah von seinen Papieren auf.

      »Der Krieg wurde 1975 beendet«, fügte er hinzu.

      »Er war im Schwedischen Komitee für Vietnam«, sagte John Rosén. »Hatten die Besuche auch etwas damit zu tun?«

      »Ja«, sagte Enquist. »Er war mehrere Jahre lang Mitglied im Vorstand des Komitees, hauptsächlich in den siebziger Jahren. Ich habe mich darüber informiert, was für eine Art Organisation das war. Die Sozialdemokraten wollten sich nicht an der FNL beteiligen, deshalb haben sie sich dieser Organisation angeschlossen. Die war allerdings schon in den fünfziger Jahren gegründet worden; eine wichtige Leitfigur war seinerzeit Gunnar Myrdal – falls ihr euch an ihn erinnert.«

      »Na klar«, sagte John Rosén leise.

      »Åkesson hat auch einige staatliche Aufgaben erfüllt«, fuhr Erik Enquist fort. »Aber die scheint er von zu Hause aus erledigt zu haben, also von Västerås aus – abgesehen natürlich von den Besprechungen in Stockholm.«

      »Eine typische sozialdemokratische Karriere, oder was meinst du, Erik?«

      »Er war wie die Politiker, die ich in Hallstammar kenne«, sagte Enquist. «Nur einflussreicher.«

      »Nichts, was von dem Bild abweicht oder stört?«

      »Nein, nichts. Möglicherweise nur die Tatsache, dass seine staatspolitischen Ambitionen gebremst wurden, wenn er überhaupt welche hatte. Aber das braucht nichts zu bedeuten.«

      »Hast du sonst noch etwas herausbekommen?«

      »Åkesson war offensichtlich ein hohes Tier in der Kommunalpolitik. Lebte nur für seinen Beruf. Und war den Aussagen nach äußerst engagiert. Er scheint kaum andere Interessen gehabt zu haben. Mit einer Ausnahme.«

      »Welcher?«

      »Er sang in einem Chor namens ›Die Singvögel‹ Bass. Alle wussten, dass man dienstagabends keine Besprechungen ansetzen durfte, denn da hatten die ›Singvögel‹ Probe und die wollte Åkesson auf keinen Fall versäumen.«

      »Gibt es Vögel, die im Bass singen?«, fragte Svalberg.

      Niemand fühlte sich genötigt zu antworten.

      »Was machen wir jetzt?«, fragte Elina.

      »Wir reden mit mehr Leuten«, sagte John Rosén. »Graben tiefer. Stellen noch mehr Fragen nach dem Privatleben. Überprüfen jedes Papier.«

      »Könntest du alle an seinem Arbeitsplatz gespeicherten Mails lesen, Henrik?«, bat Elina. »Ich bin in einer Stunde mit Kristina Åkesson verabredet, seiner Exfrau.«

      Kristina Åkesson schien im gleichen Alter zu sein wie ihr Exmann. Sie hatte feine Züge und war in Würde gealtert, fand Elina. Sie saßen in der Küche, was Elina von Vorteil schien. Die Küche war weniger formell als das vornehme Wohnzimmer. Ein Ort, an dem es sich leichter reden ließ.

      »Ich bin nicht verbittert«, sagte Kristina Åkesson. »Aber die Scheidung war seinerzeit schwer für mich. Ich habe mindestens sechs Jahre gebraucht, um darüber hinwegzukommen, und dann auch nicht wieder geheiratet, hatte jedoch einen festen Freund – also nach den ersten sechs Jahren.«

      »Entschuldigen Sie bitte die indiskrete Frage, aber warum haben Sie nicht wieder geheiratet?«, fragte Elina.

      »Ich wollte nicht und ich möchte es auch jetzt nicht. Wiljam war mein Mann. Sven ist mein Lebensgefährte.«

      »Ihre Töchter«, sagte Elina, kam aber nicht weiter, da sie schon unterbrochen wurde.

      »Keine von den beiden ist mit dem Verlust des Vaters fertig geworden. Ich meine den Verlust damals, nach der Scheidung. Aber sie haben ganz unterschiedlich reagiert. Haben Sie sie getroffen?«

      »Ja.«

      »Annelie hat ihr ganzes Leben versucht, seine Erwartungen zu erfüllen, ohne zu verstehen, warum. Auf diese Weise wollte sie ihn zurückerobern. So interpretiere ich das jedenfalls. Elisabeth ist untergegangen. Nichts hat geholfen. Ich habe alles versucht.«

      »Hat er denn in all den Jahren keinen Kontakt zu den beiden gehabt?«

      »Schon, aber nur zu seinen Bedingungen. Er war ja immer beschäftigt.«

      »Und Sie? Sie scheinen mit der Situation besser zurechtgekommen zu sein. Wie haben Sie das geschafft?«

      »Ich war älter als die Mädchen, als es geschah. Schließlich bin ich ihre Mutter. Es war reiner Überlebensinstinkt. Allein mit zwei Kindern. Welche Wahl hatte ich denn?«

      Elina betrachtete die Frau, die ihr gegenübersaß.

      »Wäre es denkbar, dass sie ...«

      »Nein, bestimmt nicht. Glauben Sie, Elisabeth könnte so etwas tun? Sie ist Alkoholikerin. Annelie führt ein geordnetes Leben. Auch wenn sie unglücklich ist. Nein.«

      »Wer dann? Ich bitte Sie nachzudenken. Wer hatte einen Grund, Ihren Mann zu töten? Gibt es ein Ereignis in seinem Leben, das einen solchen großen Hass, einen solchen Rachegedanken auslösen konnte?«

      »Ziehen Sie nicht zu rasche Schlussfolgerungen? Woher wissen Sie, dass es um Hass geht? Vielleicht steckt ein politisches Motiv dahinter. Oder ein wirtschaftliches. Menschen werden doch aus verschiedenen Gründen umgebracht. Jedenfalls in den Krimis, die ich lese.«

      Elina wurde rot.

      »Ja, Sie haben Recht. Ich habe keine Ahnung, welches Motiv zugrunde liegen könnte. Aber haben Sie irgendeine Idee, die uns helfen könnte, den oder die Täter zu finden?«

      Kristina Åkesson stand auf und holte zwei Kaffeetassen. Sie lächelte, als sie sich wieder setzte.

      »Mit Ihrer Beharrlichkeit erinnern Sie mich an die erwachsene Tochter, die ich mir immer gewünscht habe. Entschuldigen Sie, dass ich so persönlich werde. Aber Ihre Frage kann ich, fürchte ich, nicht beantworten. Wiljam und ich haben uns vor fünfundzwanzig Jahren scheiden lassen. Seitdem habe ich seinen Lebensweg nur aus der Ferne verfolgt oder anhand dessen, was ich von Annelie und Elisabeth hörte. Und vorher, nein ... mir fällt überhaupt nichts ein. Sollte ich mich doch an etwas erinnern, dann lasse ich von mir hören, das verspreche ich Ihnen. Ich werde nachdenken.«

      »Sie haben nicht wieder geheiratet, Wiljam auch nicht. Wissen Sie etwas über sein Privatleben nach der Scheidung?«

      »Sehr wenig. In der ersten Zeit, solange die Mädchen an den Wochenenden bei ihm waren, hatte er keine andere Frau. Ich habe ihn mit verschiedenen Frauen in der Stadt gesehen, aber ich weiß nicht, welcher Art ihr Verhältnis zu ihm war.«

      »Dann habe ich nur noch zwei Fragen. Die eine muss ich routinemäßig stellen. Da Sie Krimis lesen, verstehen Sie das sicher. Was haben Sie am Mittwoch letzter Woche am Abend und in der Nacht gemacht?«

      »Ich war zu Hause,


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