Sing wie ein Vogel - Ein Schweden-Krimi. Thomas Kanger

Sing wie ein Vogel - Ein Schweden-Krimi - Thomas Kanger


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bestellte einen Cappuccino und ein Schinkenbrot mit Senf. Sie hatte sich gerade gesetzt, als auch schon Susanne hereinkam, das blonde Haar zu einem unordentlichen Knoten aufgesteckt.

      »Die Prinzessin der Medien«, sagte sie mit einem aufgesetzten Lächeln.

      »Du hast ja keine Ahnung, wie schwer es ist, sich die Autogrammjäger vom Leib zu halten«, antwortete Elina.

      »Du bist hübsch auf den Fotos. Besonders auf dem in Expressen, wo du unter der Absperrung hindurchgehst. Dein Hinterteil kommt dabei sehr gut zur Geltung.«

      »Na wunderbar«, sagte Elina mit einer Grimasse.

      Susanne nahm einen Kaffee und setzte sich ihr gegenüber. Sie hatten die Ecke des Lokals allein für sich.

      »Erzähl mal«, sagte Susanne. »Alle reden von dem Mord. Jeder in der Kanzlei macht sich Hoffnung, den Mörder vor Gericht verteidigen zu dürfen. Ich werde es bestimmt nicht tun, du kannst mir also alles erzählen, was du weißt. Über meine Lippen wird nichts kommen.«

      Sie kniff zur Demonstration den Mund zusammen, lächelte und beugte sich vor.

      »Ich wünschte, ich hätte was zu erzählen«, sagte Elina. »Aber es gibt fast nichts. Wir haben nicht die geringste Spur, wenn ich ehrlich sein soll. Wir verhören Leute in seiner Umgebung, es scheint jedoch nirgendwohin zu führen.«

      »Gar nichts?«

      »Nein ... aber da ist etwas, das mir nicht aus dem Kopf geht. Ein Detail, das eigentlich gar nicht besonders auffällig ist.«

      »Wieder die viel beschriebene Wiiksche Intuition?«

      »Ja, vielleicht. Vermutlich ist es nichts, aber wir haben bei Åkesson ein altes Foto gefunden. Darauf sitzt er zusammen mit einem anderen jungen Mann auf einer Couch. Nichts Besonderes, vergleichbare Bilder findet man wahrscheinlich bei jedermann.«

      »Aber?«

      »Es war das einzige Foto aus seinen jungen Jahren, abgesehen von Bildern der Familie. Es wich von einem Muster ab, falls du verstehst, was ich meine. Ich frage mich, warum er ausgerechnet das aufbewahrt hat.«

      »Vielleicht ist es einfach nur liegen geblieben.«

      »Trotzdem frage ich mich, warum es nicht mehr Bilder dieser Art gibt? Mir kommt es wie eine bewusste Entscheidung vor, ausgerechnet das zu behalten.«

      »Weißt du, wer der andere Mann auf dem Bild ist?«

      »Nein, aber ich bin heute Nachmittag mit Åkessons Exfrau verabredet. Ich werde sie fragen. Vielleicht weiß sie es.«

      »Aber warum sollte das Foto mit dem Mord zu tun haben?«

      »Bislang habe ich dafür keinerlei Erklärung. John Rosén glaubt, dass der Mord mit der jüngsten Vergangenheit Åkessons zusammenhängt. Vermutlich hat er Recht.«

      »Gut aussehend, dieser John Rosén«, sagte Susanne, »den Bildern nach zu urteilen.«

      »Er ist jedenfalls der charmanteste Mann bei der Polizei«, sagte Elina. »Aber die Konkurrenz ist auch nicht besonders groß.«

      »Wie alt ist er? Ist er verheiratet?«

      »Um die fünfundvierzig, vermute ich. Ich habe keine Ahnung, ob er verheiratet ist. Jedenfalls trägt er keinen Ring.«

      »Das ist dir also aufgefallen?«

      Elina lachte.

      »So was sieht jeder Single. Das weißt du doch.«

      »Und sonst? Du weißt, was ich meine.«

      »Martin schickt mir immer noch Mails. Ich antworte nicht. Mit anderen Worten, alles wie gehabt. Und wie geht es meinem kleinen Liebling?«

      »Emilie ist einfach wunderbar. Ständig lernt sie was dazu und kann nicht aufhören zu plappern, wenn sie ein neues Wort gelernt hat. Johan ist hin und weg von ihr.«

      »Du hast es gut«, sagte Elina seufzend.

      Eine halbe Stunde später und nach zwei Tassen Kaffee erhob sich Elina.

      »Susanne, ich muss gehen. Unser Ermittlungsteam hat um elf eine Besprechung und ich will mich noch etwas vorbereiten. Wir treffen uns doch bald wieder, ja?«

      Erik Enquist war schon da, als Elina den Raum betrat. Er nickte leicht, sagte aber keinen Ton. Sie wusste nicht viel mehr von ihm, als dass er verheiratet war und in einem eigenen Haus in Hallstahammar wohnte.

      Während sie auf die anderen warteten, musterte sie ihren Kollegen verstohlen. Würde er ihr zufällig auf der Straße begegnen, würde sie ihn wohl kaum wahrnehmen. Ergrauende kurze Haare, hängende Schultern, mittlere Größe. Vielleicht um die vierzig. Ein Mann aus dem västmanländischen Bergwerksmilieu, ein Polizist, der niemals die Stimme erhob und die Leute dennoch dazu brachte, ihm zuzuhören.

      Als Rosén und Svalberg eintrafen, verteilte er vier Seiten Computerausdrucke.

      »Ich habe versucht, uns einen Überblick über Åkessons politische Karriere zu verschaffen, so detailliert, wie es in dieser kurzen Zeit möglich war. Die Liste basiert auf Aussagen mehrerer Politiker und auf Zeitungsartikeln. Das File liegt in meinem PC, ich schlage also vor, dass wir die Zusammenstellung nach und nach ergänzen. Ich denke, falls der Mord einen politischen Hintergrund hat, ist es gut, sich rasch informieren zu können, was Åkesson wo und wann getan hat.«

      »Könntest du uns eine kurze Zusammenfassung geben?«, fragte John Rosén.

      »Ja. Er hat, bis er 1982 Gemeinderat wurde, steil Karriere gemacht. Er hätte weiterkommen können. Viele haben versucht ihn zu überreden, in den Reichstag zu gehen; aber er wollte nicht.«

      »Warum nicht?«, fragte John Rosén.

      »Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, meinten, er sei nicht interessiert gewesen. Er wollte lieber die Nummer eins in einer Kommune sein als die Nummer hundert auf staatspolitischer Ebene. Fast alle, die ich gefragt habe, haben dasselbe ausgesagt. Ein Mann ...«

      Enquist blätterte in seinem Notizblock.

      »... er heißt Karl-Axel Svensson, ein Sozialdemokrat, der im Gemeinderat sitzt, sagte aus, Åkesson habe ihm einmal im Vertrauen erzählt, er rechne nicht damit, es in der Staatspolitik besonders weit zu bringen.«

      »Hat er auch gesagt, warum Åkesson das glaubte?«, fragte Elina. »Göran Persson hat ja auch als Gemeinderat in einer bedeutend kleineren Stadt als Västerås begonnen. Hätte Åkesson keine entsprechende Karriere machen können?«

      »Das ist ja das Interessante«, sagte Enquist. »Karl-Axel Svensson hat ihm wohl genau dieselbe Frage gestellt – natürlich ohne den Vergleich mit Göran Persson zu ziehen. Es war vor der Wahl 1988. Svensson hat sich an die Antwort erinnert.«

      »Und?«

      »Ingvar Carlsson, der damals Parteivorsitzender war, hatte ihn gebeten, mit der Kandidatur bis zur nächsten Wahl zu warten, also bis 1991. Åkesson wollte nicht erklären, warum. Aber Karl-Axel Svensson hat daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass Åkesson seine Chancen für einen Aufstieg als gering betrachtete, solange Ingvar Carlsson Parteivorsitzender sein würde. Und dass er dann zu alt war, als Göran Persson den Vorsitz übernahm. «

      »Wir werden wohl Ingvar Carlsson befragen müssen«, sagte John Rosén. »Machst du das, Erik?«

      Erik Enquist nickte. Elina beugte sich zu ihm vor.

      »Du hast gesagt, dass er bis 1982 eine steile Karriere gemacht hat. Bedeutet das auch, dass er Västerås sein ganzes Leben lang treu geblieben ist?«

      »Im Großen und Ganzen ja. Ich will euch von seinem Hintergrund erzählen. Er wurde hier geboren, hat als Kind in der Emausgatan gewohnt, sein Vater war zunächst Landarbeiter und wurde dann Postangestellter. Die Mutter war Hausfrau, arbeitete aber später beim Konsum. Er begann als Fünfzehnjähriger bei Asea in der Mimerverkstaden zu arbeiten. Das war 1952. Im Jahr davor war er den Jusos beigetreten. Er wurde im Metallverein gewerkschaftlich aktiv und man vertraute ihm sehr schnell


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