Sing wie ein Vogel - Ein Schweden-Krimi. Thomas Kanger

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E-Post bei der Kommune überprüfen.‹

      An einer Wand standen zwei Bücherregale. Das eine war voll gestellt mit etwas, das nach Fachliteratur und politischen Schriften aussah. In dem anderen standen Zeitschriftenordner. Elina zog einen davon heraus. Auf dem Rücken stand »Protokolle«.

      »Besprechung der Gemeindeverwaltung vom 11. Januar 2002«, las sie laut. »Wie aufregend!«

      »Wir konzentrieren uns auf das, was privaten Charakter hat«, sagte John Rosén. »Bankauszüge, Briefe, und so weiter. Alles andere sehen wir später durch.«

      Er zog die Schreibtischschubladen heraus, fand aber nur Kuverts, Stifte und andere Bürogegenstände. Ganz hinten in der obersten Schublade lag Åkessons Pass. John Rosén blätterte darin.

      »Er war im letzten Jahr in den USA. Und im Februar in Estland. Wir müssen herausfinden, warum.«

      Elina fand einen Zeitschriftenordner mit der Aufschrift »Finanzen«. Sie legte ihn auf den Schreibtisch und ging ihn Blatt für Blatt durch.

      »Er hatte ein Konto bei der Föreningssparbank und ein Postgirokonto. Beim letzten Monatswechsel hatte er 462 917 Kronen auf seinem Sparkonto und 96 441 Kronen auf seinem Girokonto.«

      Sie drehte sich zu Rosén um.

      »Das ist viel für ein Girokonto. Da gibt’s doch keine Zinsen. Sein Gehalt ging auf das Girokonto, nach Steuerabzug wurden ihm am 25. März 34 112 Kronen überwiesen.«

      »Die Summe hat sich wahrscheinlich nach und nach durch die Gehaltsüberweisungen auf dem Konto angesammelt«, sagte John Rosén schulterzuckend. »Vielleicht hat er sich nicht viel aus Geld gemacht. Wir müssen Leute fragen, die ihn kannten.«

      »Mach du hier oben weiter, dann schau ich die Schubladen in den anderen Räumen durch.«

      Elina las die Aufschriften der Zeitschriftenordner, aber keiner schien private Papiere zu enthalten. Ganz unten standen zwei Ordner mit Zeitungsausschnitten, die alle von Wiljam Åkesson handelten. Der erste Ordner begann mit einem Ausschnitt von 1972 und endete mit einem Artikel von 1982 aus der Länstidningen. Die Überschrift lautete: »Wiljam Åkesson neuer Gemeinderat«. Sie überprüfte den anderen Ordner. Er enthielt noch ältere Artikel, der erste datierte von 1958 und der letzte von 1972.

      Warum gibt es keine neueren Ordner?, dachte Elina. Oder sind die verschwunden?

      Sie sah an dem Regal hinunter und bemerkte, dass neben den beiden Ordnern eine Lücke war. Sie machte sich eine Notiz, dass sie die beiden Töchter und Ragnar Sundstedt fragen wollte. Sie begann im ältesten Ordner zu blättern. Der erste Ausschnitt war vergilbt und stammte aus Västmanlands Folkbladet. Die Überschrift lautete: »Die Jusos mobilisieren für die Kommunalwahl«. Auf einem Bild standen Wiljam Åkesson und drei andere junge Männer neben einem Tisch mit Broschüren. Åkesson wurde in dem Artikel zitiert: »Diesmal werden wir unser bestes Wahlergebnis erzielen«.

      Darauf folgten weitere drei Artikel von 1959, alle aus dem Folkbladet. Im letzten wurde Åkessons Name in einer Aufzählung der Namen des neuen Juso-Vorstandes von Västmanland erwähnt.

      Von 1960 gab es keine Ausschnitte. Aber 1961 tauchte Wiljam Åkesson wieder in den Zeitungsspalten auf. Er hatte sich, gerade von einer Konferenz junger Politiker in Norwegen zurückgekehrt, als Vorsitzender der Jusos in Västmanland über die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit innerhalb der Arbeiterbewegung geäußert.

      Elina blätterte weiter, blieb aber rasch an einem Ausschnitt hängen, der sich von den anderen unterschied, da er nicht aus einer Zeitung in Västmanland stammte. Er war aus dem Norrländska Socialdemokraten vom Februar 1962. »Entwicklung wird von Zusammenarbeit unterstützt«, verkündete die Überschrift, die noch den Untertitel trug: »Sozialdemokraten in Luleå debattierten mit Wirtschaftsvertretern«. Auf einem Foto saßen acht Personen auf dem Podium, vor sich Gläser und einige Mikrofone, aber nur der Vorsitzende der Diskussionsrunde wurde namentlich genannt. Elina erkannte den jungen Wiljam Åkesson, der der Kamera am nächsten saß. Im Text wurde er nicht erwähnt.

      Warum war ausgerechnet er in Luleå?, dachte Elina und machte eine weitere Notiz in ihrem Block.

      Sie studierte die Gesichter auf dem Foto.

      Wer waren die Vertreter der Wirtschaft und wer die der Arbeiter, dachte sie.

      Im Herbst 1962 war Åkesson offenbar zurück in Västerås, denn auf einem Ausschnitt aus dem Folkbladet war er auf einem Gruppenbild zu sehen. »Sozialdemokraten stellen fünf neue Gemeinderatsmitglieder«, stand unter dem Foto. Im Artikel wurde erwähnt, dass er das jüngste Gemeinderatsmitglied sei, erst fünfundzwanzig Jahre alt. Der Autor des Artikels bezeichnete ihn als »Mann mit Zukunft«.

      Aus dem Spätherbst gab es einen Artikel, in dem sich Åkesson während der Kuba-Krise gegen die Zuspitzung durch die Sowjets aussprach.

      Elina blätterte weiter. Fast alle Ausschnitte handelten von Anträgen, die Åkesson gestellt hatte, von Äußerungen, die er gemacht hatte oder von neuen Aufgaben, die ihm übertragen worden waren. Erst auf dem vorletzten Blatt fand sie einen Artikel, der vom Thema abwich. Er war von 1972. Auf einem Bild stand Åkesson neben Birgitta Dahl. Der Text handelte von ihr, der Vorsitzenden des »Schwedischen Komitees für Vietnam, Laos und Kambodscha«, die auf einer öffentlichen Veranstaltung in Västerås eine Rede gehalten hatte. Åkesson wurde als Mitglied des Gemeinderates und Vorsitzender des Komitees der Sektion Västmanland erwähnt.

      Der andere Ordner war eine Art Resümee von Åkessons weiterer politischer Karriere, die in seiner Ernennung zum Gemeinderat 1982 gipfelte. Die Zeitungsfotos ließen eine große Anzahl politischer Vertreter der Kommune der vergangenen zwanzig Jahre Revue passieren. Elina kannte nicht einen Einzigen, lediglich einige Namen.

      Die Ordner würde sie mit ins Präsidium nehmen und genau prüfen. Sie ging ins Erdgeschoss und fand John Rosén in einem Sessel im Wohnzimmer.

      »Es gibt auffallend wenig persönliche Sachen«, sagte er. »Der Mann war fünfundsechzig Jahre alt! Aber auf einer Ablage in der Garderobe hab ich dies hier gefunden.«

      Vor sich hatte er einen Schuhkarton mit Fotos. Elina setzte sich neben ihn und nahm den Stapel, den John Rosén schon durchgesehen hatte.

      »Das ist Annelie Björk«, stellte sie fest und zeigte auf ein Bild, das, den Kleidern nach zu urteilen, Anfang der siebziger Jahre aufgenommen worden war. »Ich erkenne sie, obwohl sie hier nicht älter als zehn sein kann. Das Mädchen neben ihr ist sicher ihre Schwester Elisabeth. Sie sind drei Jahre auseinander und dieses Mädchen ist wohl ungefähr sieben.«

      »Sie sehen sich ähnlich, das wird wohl stimmen.«

      Auf den meisten Fotos waren die Töchter als Kinder zu sehen; auf mehreren Bildern war noch eine Frau dabei. Elina nahm an, dass es die Mutter der Kinder war, Wiljam Åkessons geschiedene Ehefrau. Auf einigen Aufnahmen war er selber mit den Kindern abgebildet. Keins der Fotos schien nach der Scheidung aufgenommen worden zu sein.

      Auf mehreren Bildern war Åkesson bei politischen Anlässen zu sehen: Åkesson auf Besprechungen; Åkesson bei Verabschiedungen oder Einweihungen; Åkesson am Rednerpult.

      Elina musterte jedes Bild genau, um möglicherweise etwas Auffallendes zu entdecken. Lange betrachtete sie ein Foto, das Wiljam Åkesson auf einer Demonstration zeigte. Er trug ein Plakat, das gegen die Kriegsführung der USA in Vietnam protestierte. Elina vermutete, dass es aus derselben Zeit stammte wie der Zeitungsausschnitt über Birgitta Dahls Besuch in Västerås 1972. Auch wenn sie sich Åkesson kaum als Vietnamdemonstranten vorstellen konnte, fand sie keine verborgene Information auf dem Foto.

      Ganz zuunterst lag ein Foto, das sich von den anderen unterschied. Es wirkte älter. Auf dem Bild hatte Wiljam Åkesson eine Zigarre im Mund. Er schien um die fünfundzwanzig zu sein. Neben ihm saß ein lächelnder, ziemlich korpulenter Mann, der vielleicht acht Jahre älter war. Sie saßen auf einer Couch, hinter ihnen hing ein Gemälde; sie schienen sich in einem Wohnzimmer zu befinden.

      Elina drehte das Foto um. Auf der Rückseite stand ein völlig verblasster Text. Er schien mit Bleistift


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