Gesammelte Werke. Ricarda Huch
Luther den Christen mit einem Ritter oder Soldaten verglich, wie die Bibel es oft tut, dachte er dabei nicht an die Disziplin eines Regiments, wo Fahnenflüchtige durch die Spieße gejagt werden, sondern an den Heldenmut derer, die sich für ihre Überzeugung einsetzen. Erst wenn man Luthers Werk mit dem Loyolas vergleicht, erkennt man, daß Luther recht hatte, sich der Befreier zu nennen, was man über den Härten seiner Kirchengründung und seiner übermäßigen Betonung des Untertanengehorsams wohl vergißt. Gregor de Valencia, ein sehr angesehener spanischer Jesuit, sagte, daß Menschen von der wahren Lehre Christi abirrten, könne geschehen, weil sie den Maßstab außer acht ließen, wonach man unterscheide, ob etwas sichere Lehre Christi sei oder nicht. Habe man die Norm vor Augen, so sei mit Leichtigkeit in allen Streitfragen die Wahrheit gefunden. »Ich will nun«, sagte er, »den sicheren Weg zu dieser Norm zeigen. Die Norm ist der Papst.« Es gibt also nach ihm keine Wahrheit, kein Recht an sich: wahr und recht ist der Wille der Oberen, sei es der des Generals oder der des Papstes. Luther kam es gerade darauf an, die Menschen von Menschensatzung in der Beziehung zum Göttlichen zu befreien. Das Gerüst von Dogmen, das er aufgestellt hat, ist der Heiligen Schrift entnommen, die die einzige Quelle des Glaubens für den evangelischen Christen sein soll. Indem Luther seinen Anhängern empfahl, sie zu lesen, ein unerschöpfliches Lebensbuch, eröffnete er ihnen eine fast schrankenlose Freiheit, verwies er sie im Grunde auf ihr eigenes Gewissen, wobei freilich vorausgesetzt ist, daß das Gewissen von Gott eingepflanzt ist und daß das Wort und Gesetz Gottes in ihm widerhallt. Diese geistige Freiheit neben dem dogmatischen Bekenntnis ist trotz der Gefahren, die sie mit sich bringt, und die sich so bald zeigten, ein unveräußerlicher, herrlicher Besitz der Protestanten. Die Leistungen des Jesuitenordens waren in den ersten 50 Jahren seines Bestehens außerordentlich und auch später zuverlässig, wie die einer exakt funktionierenden Maschine, während die lutherische Kirche im ganzen wenig fruchtbar war; aber der Geist Luthers und der Heiligen Schrift wirkte innerhalb und außerhalb der Kirche unberechenbar, lindernd und lösend, schöpferische Kräfte weckend.
Nach der Lehre des Loyola, die eine Frucht langer, reiflicher Überlegung war, sollte die Erziehung des Jesuiten auf einer Wechselwirkung von Befehl und Gehorsam beruhen, wobei die Gehorchenden naturgemäß in der Mehrzahl waren. Der Gehorsam entwickelte sich in der Reihenfolge des Gehorsams der Tat, des Willens und der Gedanken. Es ist leicht, zu tun, was der Obere befiehlt, schwerer zu wollen, was er will, am schwersten und am lobenswertesten zu denken, was er denkt. Sorgfältige Übungen bereiteten den Zögling darauf vor, auf Befehl befohlene Vorstellungen zu hegen, fallen zu lassen, wiederaufzunehmen, auf Befehl bestimmte Gedankengänge zu verfolgen. Diese Übungen und die Erforschung des Gewissens, die jede Regung der Gedanken und Empfindungen dem Vorgesetzten bloßlegten, bildeten Menschen aus, die, wenn sie nicht sehr geschickte Heuchler waren, sich in vorgeschriebenen Gedanken bewegten. Es war zwar dem Untergebenen erlaubt, wenn er einen Befehl für sündhaft hielt, dies dem Vorgesetzten vorzustellen; aber es war nicht anzunehmen, daß nach mehrjähriger derartiger Bearbeitung Kritik sich noch regte. Indessen sollte die Unterwürfigkeit durchaus nicht auf Verdummung begründet sein. Der Jesuit sollte unterrichtet, klug, schneidig, selbsttätig wie ein Soldat sein, der in schwieriger Lage, auf sich allein gestellt, selbst einen Ausweg finden muß. Er sollte ein selbständig handelnder Mensch sein; aber das Ziel und die Mittel seines Handelns sollte er mit den Augen seines Vorgesetzten sehen. Indem er angewiesen war, seinem jeweiligen Vorgesetzten sich so hinzugeben, als ob er Gott wäre, da er ja an Gottes Statt stehe, war er von Gott selbst abgeschnitten. Der Spruch: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen, den die Protestanten so häufig anführten, hatte für den Jesuitenzögling keine Bedeutung. Der Inhalt und Zustand seines Gewissens hing von seinem Vorgesetzten ab.
Das Gelübde des Gehorsams hatten auch die Klosterbrüder geleistet; aber dieser Gehorsam bezog sich nur auf das klösterliche Leben, dessen Zweck nie ein anderer sein konnte als die Heiligung des Lebens der Mönche. Nichts konnte gefordert werden, was nicht im Einklang mit diesem Zweck stand, dem auch die Regeln der großen Ordensgründer entsprachen. Der Jesuitenorden bestimmte seine Angehörigen für eine vielfache Tätigkeit in der Welt, die zu unübersehbaren Folgen führen konnte und einem selbständigen Menschen die schwerste Verantwortung auferlegt hätte.
An der Schnelligkeit, mit der der Orden sich ausbreitete, kann man sehen, daß die Menschen im allgemeinen nicht den Drang haben, selbst zu denken, selbst sich eine Überzeugung zu bilden und sie zu vertreten, daß sie vielmehr gern sich zum Werkzeug machen lassen, besonders wenn die Möglichkeit des Aufstiegs gegeben ist und man sich einbilden kann, als Glied einer Gemeinschaft etwas Besonderes und anderen überlegen zu sein. Menschen zu Gefäßen einer vereinfachten und übersichtlich zubereiteten Weltanschauung und zu gefügigen Werkzeugen zu machen, ist verhältnismäßig leicht, wenn die Menschen im Besitz dieser Weltanschauung sich für auserwählt halten können. Luther fand wenige, die freie Christenmenschen, Herren aller Dinge und zugleich freiwillige Knechte aller sein wollten.
Erziehung und Erziehung zu unbedingtem Gehorsam war jedoch nicht der Ausgangspunkt von Loyolas Wirken. In ihm war ein sehr starker Hang, etwas Großes zu tun, wohl damit etwas Großes geschehe, vornehmlich aber doch, daß es durch ihn geschehe. Nachdem sein Bein durch eine Kugel getroffen und er dadurch aus seiner soldatischen Laufbahn herausgerissen war, nahm er sich die großen Taten großer Heiliger zum Vorbild, anfänglich sich noch ganz in den gewohnten Geleisen haltend, indem er die Eroberung Jerusalems plante. Durch die Übertragung weltlicher Ideale auf das geistliche Gebiet kam in seine Haltung etwas Schiefes; sein Drang, sich auszuzeichnen, blieb derselbe, was aber durch die Demut des Heiligen vor anderen und vor ihm selbst verschleiert werden mußte. Indessen blieb der heroische Schwung seiner Seele echt, und er wußte ihn seinen Gefährten und Nachfolgern einzuhauchen. Er übte eine starke persönliche Anziehungskraft aus, zunächst auf Frauen, aber auch auf Männer. Seine Gesichtsbildung war vornehm, es prägte sich wohl das Bedeutende seines Geistes darin aus. Im Umgang mit Gefährten entdeckte er die Kraft, die von ihm ausging, seine Fähigkeit, Seelen zu durchschauen und zu beherrschen, und damit wuchs seine Neigung dazu. Nicht naive plumpe Herrschsucht erfüllte ihn; er verallgemeinerte seine Erfahrungen und schuf aus der gewonnenen Kenntnis der menschlichen Seele ein System der Seelenbeherrschung und Seelenführung im Dienste der Kirche. Als er den Plan, Jerusalem zu erobern, hatte aufgeben müssen, widmeten er und seine Gefährten sich der Krankenpflege, die zugleich Askese war. Je mehr er aber in das wirkliche Leben eindrang, desto deutlicher begriff er die Notlage der Kirche, und daß ihr Verfall und ihre Schwäche sie verschuldet hatten. Nun erst erfaßte er es als seinen Beruf, Menschen zu sammeln und zu erziehen, die die Kirche mit neuer Glaubensglut erfüllten, den Klerus aufrichteten, die ketzerischen Sekten, vor allem die Protestanten überwänden. Er wollte General eines unwiderstehlichen Heeres werden, das seine Befehle durch ihn vom Papste selbst empfinge. Als es ihm gelungen war, den Papst von der Wichtigkeit seiner Idee zu überzeugen, so daß er die Ordensgründung genehmigte, hatte er nach mühevollen Irrwegen seine endgültige Bestimmung erreicht.
Der erste Jesuit, der bei Gelegenheit des Religionsgespräches nach Deutschland kam, war ein Savoyarde, Peter Faber, Sohn einer armen bäuerlichen Familie, weit mehr als Loyola von ursprünglicher katholischer Frömmigkeit erfüllt. Er strebte aufrichtig nach Vollkommenheit, die er durch Askese, Abkehrung von der Welt, gehorsame Ausübung aller kirchlichen Vorschriften zu erlangen hoffte. Der Anblick von Reliquien konnte ihn zu Tränen rühren. In seiner Art, die Menschen zu behandeln und die Ketzer zur Kirche zurückzuführen, fiel Schlangenklugheit mit Taubeneinfalt zusammen. Daß die Religionsgespräche keine Frucht brachten, fand er selbstverständlich, er hielt derartige Versuche der Verständigung für verfehlt. Man solle, sagte er, sich auf Erörterungen mit den Ketzern nicht einlassen, viel weniger sie bekämpfen, sondern ihnen mit Liebe begegnen und ihnen, wo immer möglich, helfen. Die Hauptsache aber sei, den katholischen Klerus zu beeinflussen. Schuld am Entstehen des Luthertums trage die Entsittlichung des Klerus, hätte der seine Pflicht getan und den Laien als erbauliches Vorbild vorgeleuchtet, würde niemand sich von der Kirche getrennt haben. Falsch sei es, die Abtrennung als eine Gelehrtenstreitigkeit über Dogmen aufzufassen; der einzige Beweis, der hier not tue und gelte, wären gute Werke und Selbstaufopferung bis zum Tode. Nur Heilige könnten die Abtrünnigen zur Kirche zurückführen. In der Verwerfung der guten Werke sah er den wichtigsten Unterscheidungspunkt der alten und neuen Lehre. Luther hatte gesagt, in betreff des Lebens könne man Nachsicht üben, aber die Lehre müsse richtig und unerschütterlich sein. Es war das ein