Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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setzten die ersten Jesuiten hier ein. War Luther der menschlichen Schwäche weit entgegengekommen, indem er sagte, der Mensch sei nicht imstande, die Klostergelübde zu halten, flößte Faber den Menschen den heroischen Glauben ein, aus Liebe zu Gott auch das Übermenschliche leisten zu können. Etwas von dem Schwung, der Loyola und seine ersten Gefährten bewegte, ging in der Tat auf diejenigen über, die mit Faber in Berührung kamen. Die Tatsache, daß einer da war, der mit Leidenschaft und Hingebung an die Kirche glaubte, erweckte ihr ebenso überzeugte Anhänger. Das Blut begann den gelähmten, fast verendenden Organismus wieder zu durchströmen. Ein Führer trat auf, der Soldaten um eine heilige Fahne sammelte, Kampfbereite, Ehrbegierige sowie Müßige und Neugierige strömten hinzu. Als die wesentlichen Mittel der Kirche, die Seelen zu Gott zu führen, bezeichnete Faber drei: Beten, Beichten und Kommunizieren. Alle drei waren in der Kirche fast erstorben, nun drängten sich mehr und mehr Andächtige zum Beichtstuhl und zur Messe. Zu diesen Mitteln kamen als wirkungsvollstes die von Loyola ersonnenen Exerzitien, die von der dankbaren Kirche der Eingebung des Heiligen Geistes zugeschrieben wurden.

      Es ist schwer zu verstehen, warum die Exerzitien einen so gewaltigen Einfluß ausübten. Vermutlich wurde es als wohltätig empfunden, daß ein Führender das Denken von Menschen, die des Denkens ungewohnt waren, weckte und anleitete. Es war eine Gymnastik des Kopfes, das den Köpfen so wohltat wie dem Körper das Turnen. Sie wurden in eine bestimmte Vorstellungswelt eingeführt und dazu angeleitet, sich Vorstellungen anschaulich zu machen. Sie mußten die Hölle sich so vorstellen, daß sie die Hitze des Feuers spürten und den Rauch schmeckten, das Leiden Christi am Kreuz so, daß sie sein Blut fließen sahen und seine Schmerzen fühlten. Die vielleicht noch nie zur Sammlung ihrer Gedanken auf einen überirdischen Gegenstand gekommen waren, ließen sich die Knetung ihres geistigen Lebens gern und wehrlos gefallen. Unter denen, die zuerst gewonnen wurden, waren einige Fugger aus Augsburg. Mit den Exerzitien konnten zunächst nur die Gebildeten bearbeitet werden, weil die Jesuiten Ausländer, Spanier oder Savoyarden, und der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Ihre Tätigkeit in den Spitälern und Gefängnissen jedoch kam den Armen zugute und wurde von ihnen verstanden. Es ging von diesen Männern, die nicht stritten, niemand beschimpften, die Gutes taten, wo immer sie konnten und die Liebe Gottes und der Kirche verkündeten, eine Kraft aus, die weithin wirkte. Sehr bald wurden sie von den katholischen Fürsten bemerkt, namentlich von Ferdinand von Österreich und von den Herzögen von Bayern. Sie baten sich vom General in Rom Ordensmitglieder aus, bauten ihnen Häuser und Kirchen, statteten sie reichlich aus. Sie verdienten die Auszeichnung durch ihre unermüdliche und erfolgreiche Tätigkeit.

      Städte, die wir als durchaus katholisch kennen, Wien, Passau, Bamberg, Würzburg, waren damals teils protestantisch, teils religiös verwildert unter einem sittenlosen, gleichgültigen Klerus. Peter Canisius, der erste deutsche Jesuit, sagte: »Wir übertreffen die Juden an Wucher, die Türken an Völlerei und Trunksucht, die Heiden an Geiz und Schlechtigkeit, die Tiere an Unzucht und Ausschweifung. Unsere Kirchen sind nicht Bethäuser, sondern Schwätz-, Kauf- und Tanzhäuser.« Das alles änderte sich, als in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts deutschsprechende und deutsche Jesuiten in Deutschland erschienen. Was ihren Einfluß sehr verstärkte, war, daß die Freigebigkeit der Fürsten sie instand setzte, Schulen zu gründen, deren Besuch unentgeltlich war, und daß die Schulen gut waren. Diese Anstalten waren so mustergültig, daß auch Protestanten gern ihre Kinder hinschickten. Bedenkt man, wie roh die Lehrer damals waren, wie erbarmungslos die Kinder verprügelt wurden, ist schon die Vorschrift, daß die Schüler mit Liebe zu behandeln seien, eine Umwälzung. Allerdings war das gute Beispiel zuerst in den Schulen der ›Brüder vom gemeinsamen Leben‹ gegeben, die den Jesuiten in mancher Hinsicht zum Vorbild dienten. Die Schüler genossen guten Unterricht und gute körperliche Pflege. Loyola hatte sich bald von übertriebener Askese abgewendet; denn er wollte, daß der Körper des Jesuiten zum Kampfe für Christus und die Kirche stark gemacht werde. Eine geistige Askese bestand in der Aufopferung des Willens und der Einsicht, ja eigentlich der ganzen Persönlichkeit; doch wurde diese gemäß der außerordentlichen Feinheit in der Menschenbehandlung, zu der die Jesuiten erzogen wurden, mit fast unmerklichen, allmählich wirkenden Mitteln erreicht. Der Tag des Schülers war bis auf die Minute eingeteilt, und zwar so, daß die Tätigkeit nicht nur stündlich, sondern zuweilen viertelstündlich wechselte. Den Lehrstunden waren halbstündige Erholungsstunden eingeschoben, viertelstündige Belustigungen, viertelstündige Gebete. Die eigentümliche Zerstückelung des Tages zerteilte gleichsam auch die jugendliche Seele, ließ sie nicht zum Wachsen von innen, zum Kristallisieren in eigener Form kommen. Alles im Leben des Schülers begab sich nach Vorschrift: es war ihm vorgeschrieben, was und wie lange er zu denken, was und wie lange er zu beten, wie lange und in welcher Weise er sein Gewissen zu erforschen habe. Die Pflicht zu häufiger Beichte, die Beobachtung durch die Oberen und Gefährten lieferte den Knaben völlig seiner Umgebung aus. Eigene Gedanken, selbständiger Wille konnten sich nicht in ihm bilden, dagegen wurde er angefüllt mit den Vorstellungen und Bestrebungen, die der Orden für richtig hielt. Doch war es nicht so, daß der Wille überhaupt gebrochen werden sollte, nur der eigene Wille. Der Schüler sollte ein Werkzeug in der Hand des Oberen sein, das auch fern von ihm in seinem Sinne tätig sein konnte. Er mußte durchdrungen sein von den Absichten des Ordens, erfüllt von seinem leidenschaftlichen, unbeugsamen Eifer. War er durch Gehorsam zum fertigen Jesuiten geworden, durfte er auch herrschen. Zwar war jeder Führer dem General unterworfen; aber innerhalb der großen Organisation konnte man doch zu weitgehender Selbständigkeit kommen, und jeder einzelne Jesuit hatte Macht über jede Seele, die er sich unterwerfen konnte, natürlich stets im Rahmen der festgesetzten Weltanschauung.

      Dieser auf Befehl und Gehorsam gegründete Organismus wurde wirklich das, was dem General vorgeschwebt hatte: eine Armee von tapferen Soldaten, die auf Befehl des Feldherrn bereit waren, die höchste wie die niedrigste Aufgabe, Ehre und Gnade sowie Tod und Schmach auf sich zu nehmen. Wie hätte ein solches Heer nicht Großes vollführen sollen? Der Wille des Führers ging zunächst hauptsächlich dahin, die Häresie auszurotten oder soviel wie möglich zurückzudrängen. Die jungen Jesuiten lockte mehr die romantische Märtyrerkrone, die in fernen Ländern, in Indien oder in China zu erwerben war, nach dem Beispiel des Franz Xaver; allein der General wehrte meistens ab, indem er sagte, sie sollten das mühsamere Martyrium des Schulehaltens auf sich nehmen, Deutschland als der Ketzerei verfallen sei Indien, sei Barbarenland, das müsse zurückerobert werden. Ganz ohne Beihilfe staatlicher Mittel, Drohungen und Strafen, Einquartierungen, Quälereien, ging die Bekehrung nicht vor sich; aber Predigt und hingebende Bemühung der Jesuiten hatte doch großen Anteil daran. Bis in den Norden, nach Westfalen, Ostfriesland, Hildesheim, Bremen, Hamburg drangen die Jesuiten vor, überall faßten sie Fuß. Mit derselben Energie, mit der der Protestantismus sich vor 50 Jahren ausgebreitet hatte, wurde er durch die neue katholische Strömung zurückgeworfen. In den Jahren 1607-1611 war in Paderborn und Münster noch die Mehrzahl der Einwohner protestantisch, 1625 waren beide Städte fast ganz katholisch. Mehrere Fürsten, so der von Pfalz-Neuburg, der von Nassau-Hadamar, traten zum alten Glauben zurück und zwangen ihre Untertanen, ihnen zu folgen. Die Markgrafschaft Baden hat bis 1635 zehnmal, die Oberpfalz in 80 Jahren fünfmal den Glauben gewechselt. Es ist anzunehmen, daß die geistigen Vergewaltigungen den Charakter der Bevölkerung sehr geschwächt und erniedrigt haben; aber viele hatten wohl von vornherein keine feste Überzeugung und waren es zufrieden, sich die Schnürbrust eines gut geregelten Glaubens von den Jesuiten anlegen zu lassen. »Die Deutschen«, sagte ein Jesuit, »sind im allgemeinen einfach und ehrlich, nicht verstockt und bösartig. Sie nehmen auf, was man sie lehrt.« Eine gewisse geistige Trägheit kam dem Bekehrungseifer entgegen. Da, wo durch Luther die christliche Freiheit verkündet war, wo Wallfahrten und Bilderdienst aufhörten, der Zwang zu Gebet und Beichte wegfiel, hatte das kirchliche Leben oft fast ganz aufgehört; in den durch die Jesuiten bekehrten Ländern wurde wieder gewallfahrtet, der Rosenkranz abgebetet, das Marienbild bekränzt, Knie vor dem Allerheiligsten gebeugt. In Österreich, Bayern, Westfalen war es bald vergessen, daß hier einmal trotziger Protestantismus geherrscht hatte.

      Es ist begreiflich, daß die Protestanten die siegreich vordringende Armee der Jesuiten haßten. Sie konnten sich ihren Erfolg nur durch den Gebrauch abgefeimter Mittel, Verzauberung der Seelen und Vergiftung der Leiber erklären. Sie schrieben den Jesuiten alle erdenklichen Teufeleien zu, die ihnen fernlagen; aber die Witterung von etwas Anrüchigem trog sie doch nicht ganz. Peter Faber und Peter Canisius waren aufrichtig fromme Männer,


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