Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3) - Ricarda Huch


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der Bewegung und die Fülle des Lichtes im Ganzen. Freilich wären die Theologen dort auch anders geartet als die im Reich und leider nicht zum wenigsten in Schwaben; sie lehrten, predigten, walteten in der Gemeinde, täten ihr Tagewerk, anstatt alberne Spitzfindigkeiten auszubohren und sich hernach darüber zu zanken und zu verfluchen.

      Damals waren die lutherischen Theologen über zwei Streitfragen gespalten, deren eine die Allenthalbenheit oder Ubiquität Christi genannt wurde. Einige sagten, daß, da Christi Leib beim Abendmahl im Brote sei, und zwar ohne daß, wie die Katholischen fälschlich lehrten, eine Verwandlung vor sich gehe, dies so erklärt werden müsse, daß er eben allenthalben sei; während die andern entgegenhielten, die Welt sei voll Unrat, und es sei unziemlich, anzunehmen, Christus sei im Dreck enthalten. Ferner nahmen die Theologen der Universität Gießen, die zu Hessen-Darmstadt gehörte, als Dogma an, daß Christus während seines Wandels auf Erden im Vollbesitz seiner göttlichen Natur gewesen sei und sich nur scheinbar der Leiblichkeit mit ihren Gebrechen unterworfen habe, um seine Aufgabe vollführen zu können. Dies verwarf das Haupt der württembergischen Theologen, Osiander, gänzlich, da, wenn Christus nicht wirklich ein Mensch gewesen sei, sein Tun und Leiden auf Erden bedeutungslos und gewissermaßen Spiegelfechterei genannt werden müsse. Er habe sich vor der Menschwerdung seiner göttlichen Eigenschaften entäußert, und es bestehe das ganze Geheimnis in seiner Gottmenschheit, wie aus vielen Bibelstellen zu erhärten sei. Ebenso stützten die Gegner ihre unwiderlegliche Beweisführung mit großer Gelehrsamkeit auf Bibelsprüche.

      Unter dem Druck der schwäbischen Theologenherrschaft hatte auch Johannes Kepler zu leiden, der ja im Württembergischen geboren war. Eine Anstellung in seiner Heimat für ihn zu erwirken, war seinen Freunden nicht möglich; freilich hatten sie auch nicht den Mut, sich um seinetwillen sehr auszusetzen. Seine Frau war bald nach dem epileptischen Anfall, den sie beim Einbruch der Passauer in Prag erlitten hatte, gestorben, und schon vorher hatte er das kleine Mädchen, seinen Liebling, verloren; noch im selben Jahre folgten diesen beiden zwei andere Kinder. Er arbeitete damals angestrengter als je, zwischendurch aber kämpfte er mit traurigen und peinvollen Gedanken. Wenn er sein Eheleben, das nun abgeschlossen und unwiederbringlich hinter ihm lag, überblickte, karg an Glück, reich an Entbehrung, Streit und Mißhelligkeit, so schien es ihm jetzt nicht mehr, als fiele die Schuld daran auf seine arme tote Frau, sondern als hätte er es anders gestalten können. Sie war wohl oft unzufrieden, ängstlich auf den Erwerb und die Notdurft bedacht, bitter und grämlich gewesen; aber wie hatte er seine Pflicht erfüllt? War er der Stab gewesen, an dem sie sich aufrichten, der Quell, aus dem sie Erfrischung schöpfen konnte? Seine schönen, überschwenglichen Stunden hatte er bei der Arbeit gehabt; für sie war Müdigkeit und Ungeduld übriggeblieben. Er entsann sich der holdseligen kindlichen Witwe, als die er sie kennenlernte, wie rührend ihre Bangigkeit und ihre Zweifel ihm erschienen waren und wie er sich vermessen hatte, ihr das Leben lieb und leicht zu machen. In den ersten Jahren, wenn er nachts den Himmel beobachtet hatte und hernach an ihr Bett kam, hatte sie ihn oft mit seltsam sehnsüchtigen Augen angelächelt und etwa gesagt: »Dein Antlitz schimmert noch von den Sternen«; aber es war ihm niemals eingefallen, daß er ihr von seiner Fülle etwas hätte mitteilen können. Ihre religiösen Grübeleien hatten ihn gelangweilt und geärgert; das hatte er nie bedacht, womit sie denn sonst ihre schmachtende Seele hätte speisen sollen.

      Freunde und Freundinnen sagten ihm, er hätte sich nichts vorzuwerfen, sondern sei ein vorzüglicher Ehemann gewesen, und rieten ihm, sich wieder zu verheiraten, damit er eine richtig geordnete Häuslichkeit hätte. Anfänglich mochte er nichts davon wissen, und keine leuchtete ihm ein, wie viele ihm auch vorgeschlagen wurden. Dann kam ihm in den Sinn, daß er durch die Heirat mit einer Dame von Rang und Vermögen des elenden Ringens und Quälens um das tägliche Brot überhoben werden könnte; von seinen schon gekrümmten Schultern würde die häßliche Bürde fallen, frei würde er sich aufrichten und mit leichtem Schritt der Höhe des Lebens zustreben können. Ja, das hätte er können, wenn er allein gewesen wäre; aber nun war er an die anspruchsvolle fremde Dame gebunden, der er den Wohlstand verdankte und die peinlicher lasten mochte als die einstigen Sorgen. Er konnte sich seine Frau nur als ein schlichtes, liebliches Mädchen denken, ein sanftes, unbefangenes, heiter anlächelndes, sittsames, und nach einem solchen fing er allmählich an sich zu sehnen. Da ihm von einer berichtet wurde, nämlich von der schönen Susanna Rettinger, einer Schreinerstochter, die eine vornehme Dame hatte erziehen lassen, entschloß er sich, sie zu heiraten und die Sorge für den Lebensunterhalt weiter zu tragen.

      Da Kaiser Matthias ihm weder den rückständigen noch den laufenden Sold auszahlen konnte, nahm er eine Professur an dem Gymnasium in Linz an, wo er unter den Herren von Adel Anhänger seiner Lehre und Bewunderer seiner Schriften hatte und wo er geehrt und friedlich hätte leben können, wenn ihm nicht von der Heimat aus Unruhe und Beschwerde wäre bereitet worden. Es befand sich als Prediger in Linz sein Landsmann Doktor Hizler, mit dem er viel verkehrte; denn Hizler interessierte sich für Astronomie, Mathematik und Mechanik, war lebhaft, wißbegierig und fröhlich und verstand es, den schweigsamen und ungeselligen Kepler durch seine Munterkeit umgänglich zu stimmen. Er hatte kleine, lustige, kindliche Augen, aufwärts gesträubtes Haar und einen spitzen Bart, trank gern guten Wein und hatte meistens, das Theologische auf die Berufsgeschäfte einschränkend, eine mechanische Spielerei in Arbeit; so fertigte er damals ein von selbst laufendes Wägelein an, auf dem ein trompetenblasender und peitschenknallender kleiner Kutscher saß.

      Eines Tages um Ostern, als Kepler der Sitte gemäß das Abendmahl nehmen wollte, fiel es Hizler ein, zu fragen, ob Kepler die württembergische Konkordienformel unterschrieben habe, was Kepler verneinte, da er es überhaupt nicht für richtig halte, seinen Glauben auf Formeln zu zwingen, vollends aber jener nicht zustimmen könne. Hizler war erstaunt und böse und bestand darauf, Kepler müsse die Formel unterschreiben, die gut und löblich sei, sonst könne er ihn zum Genuß des Abendmahls nicht zulassen. Kepler antwortete, wegen des Dogmatischen möchte es sein, aber dazu könne er sich nicht entschließen, die Anhänger Kalvins zu verfluchen, das sei gegen seine Überzeugung. Was? fuhr Hizler auf, ob er etwa die abscheuliche Ketzerei der Kalviner in Schutz nehmen wolle? Ob er etwa behaupten wolle, daß ein Mann durch etwas anderes als den Glauben selig werden könne? Ob er etwa der Ansicht sei, daß ein Untertan sich der von Gott eingesetzten Obrigkeit widersetzen dürfe? Ob er sich einbilde, daß ein Laie zum Predigen berufen sein könne? Ob der Teufel ihm eingeblasen habe, daß das Brot nicht der Leib Christi sei?

      Dabei blickte er, die Hände auf den Tisch gestützt und weit übergebeugt, Kepler aus kleinen, funkelnden Augen drohend an.

      Darauf wolle er sich nicht einlassen, antwortete Kepler; er habe im Sinn, bei der lutherischen Lehre zu bleiben, auf die er getauft sei; es möchte auch sein, daß die Lehre Kalvins Irrtümer einschließe, nur könne und wolle er nicht einsehen, warum man sie deshalb verfluchen müsse.

      So? rief Hizler hohnlachend, den Grund wolle er wissen, warum man sie verfluchen solle? Kepler möchte doch ihm den Grund sagen, warum man sie nicht verfluchen solle, die der Wahrheit ins Gesicht lögen und wider die Rechtgläubigkeit anbellten!

      So möchten er und andere sie immerhin verfluchen, sagte Kepler, nur er könne es durchaus nicht tun, weil er keinerlei Haß oder Abneigung gegen sie habe.

      Dabei beruhigte sich Hizler aber keineswegs, sondern kam an den folgenden Tagen wieder, um Kepler abwechselnd zu bedrohen und zu beschwören, daß er die Konkordienformel unterschreibe. »Lieber,« rief er fast weinend, »was gehen dich die Erzschelme und Teufelskinder von Kalvinisten an? Ach Lieber, verfluche sie doch! Verfluche sie in Gottes Namen! Verfluche sie wenigstens mit der Zunge, wenn auch dein Herz nicht dabei ist!« Indessen trotz seiner Verträglichkeit tat ihm Kepler den Willen nicht, worauf Hizler ihn, wie er gedroht hatte, vom Abendmahl ausschloß. Dies glaubte Kepler als einen groben Schimpf sich nicht bieten lassen zu sollen und wendete sich klagend an das Konsistorium in Stuttgart. Wegen seiner Parteinahme für den Gregorianischen Kalender schon vordem gegen ihn eingenommen, entschied dasselbe dahin, Kepler sei ein Schwindelhirnlein, das sich allzusehr aufblase, wenn er glaube, in theologischen Fragen andere meistern zu können; er solle richtige Kalender machen und fleißig in seinem Berufe sein, in der Theologie aber sich von denen zurechtweisen lassen, die dazu befugt seien.

      Seitdem blieben die beiden Landsleute verfeindet; Hizler suchte Kepler, wo er ihn traf, durch ingrimmige


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