Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
etwas Näheres zu hören, was das denn eigentlich für ein Fremder ist, und dann könnt Ihr frei Eures Weges gehen, Meister Heinrich. Ihr werdet mir nicht aufbinden wollen, Ihr hättet Euch bei der Demoiselle Ritterhausen oder bei dem Hausmeister Claus nicht ein wenig danach erkundigt, nach dem Fremden!«
»Ich weiß aber doch nichts von ihm!«
»So? – Da oben in der Burg ist in verflossener Nacht ein Mord vorgefallen. Bei solchen Vorkommnissen pflegt der Mensch sich zu fragen: Wer hat das getan, wer kann das Verbrechen begangen haben? Und wenn man alsdann von einem Fremden hört, der in dem Hause gesteckt hat, wo so etwas vorgegangen ist, so werden alle Geister der Neugierde wach und rufen: Wer ist der Fremde? Wolltet Ihr mir aufbinden, Ihr hättet nicht so gefragt? Nein, Ihr seid nicht so dumm! Also heraus mit der Sprache!«
»Herr, ich kann bei meiner Seligkeit schwören, daß ich nichts davon weiß – ich habe den Auftrag bekommen, nach dem Deserteur zu fragen und Claus hat mir darauf geantwortet, wie ich gesagt habe; keine Silbe mehr, denn er war verdrießlich und wollte mir kaum Rede stehen.«
»Nach dem Deserteur – also nach einem Deserteur solltet Ihr fragen? Der Fremde war also ein Deserteur?«
»So nannte ihn Claus.«
»Nun, Meister Heinrich, werdet Ihr beschwören können, daß dies alles ist, was Ihr oben getan habt und was Ihr wißt?«
»Ja, Herr, jeden Augenblick.«
Der Polizeibeamte fixierte den Menschen mit seinen schärfsten Blicken und dann sagte er: »Es freut mich, daß Ihr so vernünftig gewesen seid, endlich mit der Sprache herauszurücken. Ich verlange jetzt nichts weiter von Euch, als daß Ihr mit keiner Silbe und keiner Miene irgend jemand verratet, worüber wir uns eben freundschaftlich unterhalten haben. Wenn Ihr das Maul nicht hieltet, so würde ich das sehr bald merken, und wenn Ihr mir dadurch das Spiel verderbt, so lasse ich Euch krumm schließen und lasse Euch auf Lebenszeit nach Cayenne schicken, wißt Ihr, wo der Pfeffer wächst. Adieu, Meister Heinrich – Ihr könnt jetzt schmieden gehen! Bis auf Wiedersehen!«
Der Arbeiter machte eilig von dieser Erlaubnis Gebrauch; mit langen Schritten hub er sich von dannen, wie in der Furcht, daß der entsetzliche Polizeimensch, solange er noch von diesem gesehen werde, ihn noch einmal zurückrufen und in den Schraubstock seiner verzweifelten Fragen nehmen könne.
Als er in den Hammergebäuden verschwunden war, blieb Monsieur Ermanns noch eine Weile nachdenklich auf seinem Bauholz sitzen.
Dann stand er auf, schlenderte lässig in das Wohngebäude zurück und nachdem er hier seinen Schreiber aufgesucht und ihm einige Befehle gegeben, ließ er Demoiselle Ritterhausen um die Gunst einer Unterredung unter vier Augen bitten.
Achtes Kapitel
Ein Verhör
Sibylle empfing den Polizeibeamten in dem kleinen Zimmer, welches wir kennen; während sie sich in den leichten Rohrsessel setzte, der vor ihrem Schreibpult stand, bat sie den Beamten, auf dem kleinen Diwan Platz zu nehmen – an der Wand ihr gegenüber, unter den Bildern aus Klopstocks Messias. Monsieur Ermanns placierte sich just unter der bekannten Abbildung des zürnenden Höllengotts, der, auf Flammenwolken stehend, voller Grimm Blitze zu schleudern scheint. Der kleine Mann darunter nahm sich im Vergleich mit dieser poetischen Gestalt sehr schmächtig und äußerst zahm aus. Der Anspruch auf Männlichkeit, der dies farblose Gesicht in Gestalt eines Backenbartes umrahmte, war vom grau machenden Alter allbereits stark überpudert; seine Mienen drückten weder Strenge noch etwas anderes aus, wenn nicht eine gewisse Apathie und Teilnahmlosigkeit an jedem Ding, das andere weniger ruhige Menschen auf ihrer irdischen Lebenslaufbahn in Aufregung zu versetzen vermag.
Und doch hatte das Wesen dieses Mannes etwas Bedrückendes, Aengstigendes für das junge Mädchen; sie fand in seinen Blicken etwas, das seiner übrigen Haltung und seiner Art zu sein und sich zu geben schnurstracks widersprach. Es lag in seinen Augen etwas Scharfes, Hartes, Falsches – etwas, das Sibyllens Mißtrauen erregte. Vielleicht aber war dieser Eindruck mehr zu erklären durch Sibyllens natürliche Beängstigung, womit sie das Begehren einer Unterredung von seiten des Beamten erfüllt hatte, als durch die Wirklichkeit und Richtigkeit ihrer Beobachtung.
»Welch allerliebstes Boudoir haben Sie sich hier angelegt, Mademoiselle,« begann der Polizeibeamte die Unterhaltung, nachdem er sich gesetzt hatte: »sehr hübsch und freundlich in der Tat – die Aussicht von den Fenstern ist hier noch hübscher als aus dem Wohnzimmer des Herrn Ritterhausen – ich kann mir denken,« setzte er mit einem Lächeln hinzu, das für Sibyllen etwas Hämisches hatte, »ich kann mir denken, daß Herr Ritterhausen sich lieber dem Teufel verschreibt, als diese schöne Besitzung verläßt.«
»Mein Vater hat Gott sei Dank nicht nötig, sich dem Teufel zu verschreiben um deswillen,« antwortete Sibylle halb überrascht und erschrocken, halb beleidigt durch diese Aeußerung.
»Sie meinen, er braucht den Teufel nicht, er hilft sich selber,« fuhr mit demselben bedeutsamen und hämischen Lächeln Monsieur Ermanns fort.
»Ich meine, Sie reden in seltsamen Ausdrücken, mein Herr, die ich nicht verstehe. Sie wurden mich verbinden, wenn Sie mir sagen wollten, womit ich Ihnen dienen kann!«
»Sie zu verbinden bin ich eben gekommen, Mademoiselle,« antwortete der Polizeibeamte. »In der Tat, in der reinsten und wohlwollendsten Absicht. Ich bitte Sie, bei unserer fernem Unterredung dies nicht außer acht lassen zu wollen. Wir werden dann am raschesten zum Ziele kommen. Betrachten Sie jedes meiner Worte als das eines aufrichtigen Freundes; sehen Sie in mir nicht zuerst den Beamten, sondern vor allem den weichen teilnehmenden Menschen, dem das, was er als Beamter tun muß, oft das Herz bluten macht. In der Tat, Demoiselle Ritterhausen, ich bin von Natur eine gute harmlose Seele. Wenn Sie mich kennten, würden Sie sagen: den hat Gott in seinem Zorn zum Polizeimenschen gemacht. Aber wenn man nun eben nichts Rechtes gelernt hat! Was kann man da machen? Es muß doch gelebt sein. Ich habe Frau und Kinder. Aus dem Militärdienst, worin ich früher stand, mußte ich ausscheiden – ich hatte meine Gesundheit darin ruiniert – meine ganze Konstitution ist dabei zerrüttet worden. – Sie sehen es mir nicht an, aber ich bin oft recht elend. Als Entschädigung für eine geopferte Gesundheit und ein geopfertes Leben hat man mir diesen jämmerlichen Polizeidienst gegeben, den ich so oft verwünsche. – Doch was langweile ich Sie mit meinen Klagen, ich wollte ja weiter nichts, als Ihnen zeigen, daß Sie mir vertrauen könnten, daß ich gekommen bin, mich mit Ihnen ganz ohne Rückhalt freundschaftlich über eine Angelegenheit auszusprechen, welche Sie so nahe berührt, und worin Sie durchaus des Beirats eines Freundes bedürfen, um nicht von der Schwere Ihres Kummers zu Boden gedrückt zu werden.«
Sibylle sah den Polizeibeamten während dieser ganzen Rede mit großen Augen an.
»Ich muß Ihnen bekennen,« sagte sie, weit mehr erschrocken, als durch seine Freundschafts- und Teilnahmeversicherungen beruhigt, »daß ich nicht begreife, worauf Sie eigentlich zielen, mein Herr!«
»So erlauben Sie mir zuerst einige Fragen, Mademoiselle. Wissen Sie um ein Schreiben, welches der ermordete Graf von Epaville an Ihren Vater erlassen hat?«
»Ja – ich habe es gelesen.«
»Nach einem Entwurf, welchen wir in dem Wohnzimmer des Unglücklichen auf der Burg oben gefunden haben, droht er darin Ihrem Vater mit der Verfolgung seiner Rechte auf diese Hammerbesitzung. Er hat entdeckt, daß der Hammer Eigentum der Burg ist, und er deutet an, daß, wenn Ihr Vater denselben wie sein Eigentum bis jetzt behandelt habe, dies auch nur durch Nachlässigkeit der frühern Behörden möglich geworden sei, deren Pflichtverletzung Ihr Vater vielleicht durch Bestechung erlangt habe.«
»Diese beleidigende Voraussetzung ist in dem Schreiben des Grafen, wie es uns zugekommen, nicht enthalten; mein Vater würde sich dergleichen auch nicht haben gefallen lassen,« erwiderte Sibylle stolz.
»Nun, der Entwurf lautet doch ungefähr so,« fuhr der Polizeibeamte fort. »Und Sie haben den Brief bekommen, sagen Sie, Ihr Vater ist erschrocken,