Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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selbst seine Schuld; er gäbe ohne Rückhalt befriedigenden Aufschluß über die Tat und alle ihre Nebenumstände; er verschmähte es in irgendeiner Beziehung der Wahrheit untreu zu werden und stände mit offener Stirn und männlich ehrenhaftem Freimut für das, was er getan, ein – dann würde immer noch das Gericht ihn richten, aber es würde der Geschworenen Ausspruch dabei nicht bedürfen. Das Ja der Jury wird überflüssig, sobald der Angeklagte dies Ja selber spricht. Werden Sie mir also nicht folgen, wenn ich Ihnen den dringenden Rat gebe: legen Sie mir sofort ein offenes Geständnis ab und bewegen Sie dann auch Ihren Vater dazu, den ganzen Anteil, den er an diesen Mordtaten genommen hat, mir einzugestehen!«

      Sibylle erhob sich jetzt groß und entschlossen, als ob all ihr Selbstbewußtsein ihr zurückkehre. Sie trocknete ihre Tränen ab und wies dem Beamten ein Antlitz, auf welchem jeder Zug das Gepräge stolzer Fassung trug.

      »Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte sie, »für das, was Sie Ihre Freundschaft und Teilnahme für uns nennen. Ich will annehmen, daß sie aufrichtig gemeint sind. Obwohl eine wahre Teilnahme weniger vorschnell gewesen wäre, auf einen bloßen Schein hin, den eine unglückliche Verbindung von zufälligen Umständen erzeugt hat, an unsere Schuld zu glauben, meinen Vater für einen Mörder zu halten! Aber ich will Ihnen das verzeihen. Ihr Beruf mag Sie daran gewöhnen, die Menschen für schlecht zu halten. Das aber, mein Herr, erkläre ich Ihnen – solange Sie von dieser Voraussetzung ausgehen, werde ich Ihnen keine Antwort mehr geben. Verlassen Sie mich jetzt. Mag dann kommen was da will. Gott wird uns beschützen. Ich bitte, lassen Sie mich allein!«

      »Weisen Sie im Ernste dem Freunde die Tür, Mademoiselle?« versetzte der Beamte ironisch. »Nun wohl, er weiß, was er einer jungen Dame schuldig ist und geht; aber der Polizeibeamte bedauert unendlich, daß er nicht so galant sein darf, er muß bleiben, bis er noch einige Aufklärung erhalten hat.«

      »Welche Aufklärung verlangen Sie?«

      »Wer ist der bewußte Deserteur?«

      »Ich weiß weiter nichts von ihm.«

      »Er nannte sich einen Deserteur?«

      »Ja.«

      »Was taten Sie, um sich zu überzeugen, daß er das in der Tat war und nicht etwa ein flüchtiger gemeiner Verbrecher?«

      »Ich glaubte ihm.«

      »Sehr vorsichtig!« versetzte der Beamte mit spöttischem Lächeln. »Wie nannte er sich?«

      »Ich weiß nichts von ihm, gar nichts,« antwortete Sibylle. »Der Mensch ist mir in der Nähe der Rheider Burg bei einem Spaziergange begegnet – es sind seitdem vielleicht vierzehn Tage verflossen. Er hat mir seine Not geklagt.«

      »Seine Not ... welche Not hat er Ihnen geklagt?«

      »Nun, seine Angst wieder eingefangen zu werden.«

      »Wohl – fahren Sie fort.«

      »Und ich habe Mitleid mit ihm gefühlt. Ich habe ihm ein Versteck in der Rheider Burg gezeigt, das ich seit den Tagen, wo ich als Kind fast täglich in der Familie des Herrn von Huckarde verkehrte, kannte. In diesem Versteck konnte er sicher sein, nicht gefunden zu werden.«

      »Haben Sie ihm Lebensmittel dahin geschafft?«

      »Nein, ich habe ihm überlassen, für sich selbst zu sorgen. Und ich stehe nicht an, Ihnen zu sagen, daß ich ihn für den Verbrecher halten muß. Er hat mir erzählt, er sei desertiert aus Furcht vor einem Herrn im Gefolge des Großherzogs, der aus frühern Lebensverhältnissen her sein Feind sei. Muß ich nicht schließen, daß dieser Herr aus dem Gefolge der Graf Epaville gewesen, den sein Unglück in die Burg geführt hat, während der Deserteur darin versteckt war?«

      »So, das hat er Ihnen erzählt?« antwortete Ermanns gedehnt und offenbar ungläubig und fuhr dann fort: »Kennt der Hausmeister das Versteck?«

      »Nein! niemand außer mir.«

      »Und der Deserteur, scheint es, ist noch dort? Sie haben, als Sie sich heute nach ihm erkundigten, die Antwort erhalten, er sei am vorgestrigen Tage wenigstens noch dagewesen?«

      »Diese Antwort habe ich erhalten.«

      Monsieur Ermanns schwieg eine Weile, während der er Sibyllens Züge fixierte.

      »Und Sie gestehen wirklich nicht ein,« sagte er dann plötzlich, »daß dieser Deserteur das von Ihrem Vater gedungene Werkzeug des Verbrechens war?«

      Sibyllens Antlitz zeigte ein zorniges Erröten.

      »Ich muß Sie bitten, mich mit solchen Fragen zu verschonen. Sie werden keine Antwort darauf erhalten.«

      »Nun, wie es Ihnen beliebt. Aber eine Bemerkung werde ich Ihnen machen dürfen: Hätte der Deserteur aus eigenem Antriebe gehandelt, als er den Mord beging, so könnte es niemand einfallen, zu denken, derselbe habe sich nicht augenblicklich aus dem Staube gemacht. Sie aber fürchteten, er könne noch dort sein. Weshalb sollte er noch dort sein, wenn nicht, weil er noch etwas erwartet, noch ein Interesse ihn fesselt? Wäre das, was er erwartet, bevor er flieht, vielleicht die Zahlung des Blutgeldes?«

      Sibylle antwortete nicht, sondern wandte Ermanns entrüstet den Rücken.

      »Sie antworten nicht, Demoiselle – um eins muß ich Sie jedoch ersuchen, bevor ich Sie von meiner Gegenwart befreien kann.«

      »Und daß ist?«

      »Ich muß bitten, daß Sie mir das Versteck in der Rheider Burg näher angeben.«

      Sibylle zauderte einen Augenblick, bevor sie antwortete, so groß war ihr Widerwille, mit dem Polizeibeamten noch eine Silbe zu wechseln. Aber mußte sie nicht um ihrer selbst willen alles aufwenden, daß der Fremde, der so wahrscheinlich der Verbrecher war, in die Hände der Justiz falle? Sie war deshalb bald entschlossen, doch nicht schnell genug, um nicht durch ihr Zögern mit einer Antwort dem Beamten neuen Verdacht zu geben.

      »Sie scheuen den Verrat?« fragte er ironisch lächelnd.

      »Ich darf nichts scheuen,« antwortete sie, »was zur Entdeckung des Verbrechens führen kann, die hoffentlich nicht ausbleiben und Ihnen beweisen wird, wie ruchlos und unverantwortlich Ihr Verdacht ist!«

      »Das Versteck also?«

      »Der Eingang zu ihm liegt im ersten Stock des alten Gebäudes, im letzten Zimmer zur rechten Hand, wenn man von der Haupttreppe her diesen Stock betritt.«

      »Also in dem Zimmer, worin der Graf von Epaville ermordet gefunden wurde!« fiel Monsieur Ermanns ein.

      »Ich weiß nicht, in welchem Raum dies entsetzliche Ereignis vorfiel,« antwortete Sibylle, »das Versteck aber ist in dem bezeichneten Zimmer. Sie werden die Wände desselben mit Lambris bekleidet finden. Wenn Sie nun an der Seite des Zimmers, die an den Turm stößt, welcher außen sich an das Gebäude anschließt, wenn Sie an dieser Seite das mittelste Getäfel der Lambris mit einer gewissen Kraftanstrengung linkshin zu schieben versuchen, so werden Sie finden, daß es dem Drucke weicht und eine viereckige Oeffnung freiläßt, durch welche man schlüpfen kann. Hinter dieser Oeffnung aber liegt ein kleiner Raum, der ganz in der dicken Mauer des Turms angebracht ist und sein Licht durch ein kleines vergittertes Fenster erhält, welches in das Innere des Turms geht. Es ist dort an einer Stelle angebracht, wo es niemand, der sich in dem Innern des Turms befindet, auffallen kann.«

      »Ich bin vollständig von Ihrer Antwort befriedigt,« sagte der Polizeibeamte, sich erhebend, »Ich werde mich jetzt entfernen – aber, Mademoiselle, ich muß Sie bitten, Ihr Zimmer fürs erste nicht verlassen zu wollen. Darf ich in dieser Beziehung auf Ihre Folgsamkeit rechnen?«

      »Ich weiß nicht,« versetzte Sibylle verwundert und erschrocken, »ob ich mir im Hause meines Vaters solche Vorschriften geben zu lassen brauche?«

      »Setzen Sie meine Befugnis dazu oder meine Macht, derartige Anordnungen nötigenfalls gewaltsam durchzuführen, in Zweifel? Im letztern Falle würde ich Ihnen die polizeilichen Vorsichtsmaßregeln, welche in Beziehung auf dieses Haus im stillen getroffen sind, näher angeben müssen.«

      »Also ich bin eine Gefangene?!«


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