Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart
machten; die dicke gummiartige Hautmasse des Bauches umschloß muskulös den ganzen Kopf der Säule, so daß das Sitzen recht bequem war und auch so aussah.
Die Mondmänner glühten immer noch wie rote Kohlen, nur die Rübenköpfe und die Hände phosphorescierten silberartig, und die zehn Augen flimmerten in hellblauen Farbtönen.
Nun ergriff der weitsichtige Loso das Wort:
»Ja!« rief er, »wir verstehen den großen Mafikâsu vollkommen. Alles geht gegen die Erdbeobachtung. Die Mondleute, die das große Fernrohr haben wollen, haben eine große Abneigung gegen den Stern, der uns am nächsten steht - gegen die große Erde. Wir sollen gezwungen werden, die Erdbeobachtung aufzugeben. Wir sollen uns fürderhin nur noch mit den weiterab befindlichen Sternen - mit dem entfernteren Weltenraume - beschäftigen. Das ist es, worauf alles hinausläuft.«
In der Ebene, die sich unten vor dem Krater weit ausdehnte - da glitzerten jetzt die Goldkäfer - und oben am Himmel glitzerten die goldenen Sterne; die Luft machte die Lichteffekte oft anders.
Der heftige Rasibéff, der immer röter wurde als alle anderen, sagte leise:
»Loso dürfte nicht so ganz unrecht haben.«
Der weitsichtige Loso sprach noch einmal - sehr eindringlich - also:
»Auf der Mondseite, die stets der Erde zugekehrt ist, haben wir heute im ganzen ungefähr zehntausend Fernrohre. Unsre Krater haben sich doch recht brauchbar gezeigt; wenn auch die Beweglichkeit des einzelnen Rohres nicht allzu groß ist, so ergänzen sich doch die verschiedenen Krater untereinander so gut, daß wir zufrieden sein können. Jedes Fernrohr sitzt in seinem Krater so naturgemäß drinnen, daß es uns beinahe schon unnatürlich erscheint, wenn wir einen Krater erblicken, in dem sich kein Fernrohr befindet - obschon wir wissen, daß auf zehn Krater nur einer mit Fernrohr kommt, während neun noch ohne Fernrohr sind. Wenn wir nun die Absicht hätten, unsre sämtlichen Krater mit Fernrohren zu versehen, so würde ich diese Absicht nur loben, denn die Arbeit, die uns dadurch aufgebürdet wäre, müßten wir für klein ansehen gegen die Arbeit, die uns das große Fernrohr, das Monddurchmesserlänge haben soll, verursacht. Unsre Fabrikleiter sprechen da doch von einer Arbeit, die Jahrhunderte in Anspruch nehmen könnte. Demnach sage ich klar und deutlich: Lieber neunzigtausend großartige Kraterfernrohre als das eine einzige Riesenteleskop mit einer Monddurchmesserlänge! Das ist meine Meinung! Und von der werde ich vorläufig nicht abgehen!«
Uber die Ebene schwebten jetzt große Scharen silbern phosphorescierender Mondleute vorüber, die verglichen mit den Goldkäfern in der Tiefe Silberkäfern nicht unähnlich sahen. Wie silberne Sterne zogen die Mondleute in der Ferne vorüber; runde Ballonbäuche hatten alle Mondleute ohne Ausnahme - und auch alle Mondkäfer.
Zikáll, der Mann der Wissenschaft, sagte leise:
»Was mehr Arbeit machen würde - das eine große oder neunzigtausend kleine Teleskope - das dürfte wohl schwer zu entscheiden sein. Es käme doch nebenbei noch darauf an, welche Größe die kleinen Teleskope erreichen sollen. Wir haben in den letzten Jahrhunderten jedes neue Fernrohr immer ein wenig größer gebaut als das vordem fertiggestellte; wenn wir also die Größe bei den neuen neunzigtausend so weiter steigern, so könnte das letzte vielleicht viel größer werden als das eine große, das die Länge des Monddurchmessers doch nicht überragen darf.« Jetzt lachte Rasibéff.
Und die anderen lachten ebenfalls.
Aber der fünfte Mondmann, der bislang geschwiegen hatte und Knéppara hieß, sprach nun folgendermaßen:
»Das kommt davon, wenn man über eine Sache mit Leidenschaft redet. Man schweift ab und gibt schließlich nur Gelegenheit zum Lachen. Das Wichtigste wird dabei regelmäßig vergessen. Ihr denkt gar nicht mehr daran, welchen Umfang die Beobachtung der Erde erreicht hat. Das ist doch die Hauptsache! Ich leite die Beobachtung an neunhundert Teleskopen, und der liebe Loso leitet die Beobachtung an vierhundertunddreißig Teleskopen. Und diese dreizehnhundertunddreißig Teleskope sind nur auf die Erde gerichtet - seit Jahrhunderten! Und viele hundert andrer Teleskope sind ebenfalls nur auf die Erde gerichtet, so daß man wohl sagen kann: Die Hälfte der Mondbevölkerung beschäftigt sich ausschließlich nur mit der Erde.«
»Die Rechnung stimmt nicht«, rief da heftig der Rasibéff, »mehr als zwei Drittel der Mondbevölkerung beschäftigt sich mit der Erde.«
»Nun - wenns so ist«, fuhr der mächtige Knéppara fort, »dann spricht ja das noch besser für uns. Dann begreife ich aber nicht, wie Ihr die Erdfreunde dazu bestimmen wollt, ihre Tätigkeit, die ihnen Jahrhunderte lang so viel Freude bereitete, plötzlich an den Nagel zu hängen. Die Mehrzahl ist doch gegen Euch. Es war doch wahrlich keine Kleinigkeit, das Leben der Erdbewohner genauer kennenzulernen. Wir sind doch schon in der Lage, das zu lesen, was sie drucken lassen. Das hat Mühe gekostet - denn wir haben ihre Sprache mit dem Ohre niemals vernommen. Wir sehen, welche Anstrengungen die Erdleute machen, nach allen Seiten weiterzukommen. Wir sehen, wie sie den ganzen Erdball mit eisernen Schienen umspannen und alles außerdem noch mit Drahtnetzen umspinnen. Die Beobachtung dieser energischen Völkerscharen sollen wir plötzlich aufgeben, um nach den entferntesten Sternen zu greifen? Ich muß feierlich erklären, daß ich die himmelstürmenden Ziele für himmelschreienden Leichtsinn halte - und werde, solange ich noch Einfluß besitze, die Weltfreunde bekämpfen und mit allen Mitteln die Arbeiten der Erdfreunde zu schützen wissen.«
Loso hatte während dieser Rede seine rote Farbe verloren, Knéppara verlor sie jetzt auch - und dadurch deuteten die beiden an, daß sie das Gespräch abzubrechen wünschten.
Mafikâsu sagte nur noch ernst, während er noch röter wurde:
»Ich weiß, daß Knéppara und Loso unsre mächtigsten Gegner sind. Und die Weltfreunde wissen, daß sie keinen kleinen Kampf zu kämpfen haben - und daß sie den nicht mehr vermeiden können.«
Zikáll, der Mann der Wissenschaft, hatte nur noch rote Punkte auf seinem Phosphorleibe.
Und als die beiden Erdfreunde, Knéppara und Loso, fragten, ob Zikáll mitkäme - zum Zackenkrater- da zergingen die roten Punkte auf Zikálls Haut.
Und Zikáll begleitete die beiden Erdfreunde.
Die drei Herren wünschten den Zurückbleibenden freundlich: »Guten Abend!«
Und gleich nach der Erwiderung dieses Grußes war der große Mafikâsu mit seinem Apostel Rasibéff allein.
»Glaubst Du«, fragte hastig der Apostel, »daß der Zikáll den Erdfreunden treu bleiben wird?«
»Das glaube ich keineswegs!« versetzte der große Mafikâsu gelassen.
Jetzt schwebten in nächster Nähe viele andere Mondleute vorüber.
Und nach einigen Augenblicken gesellten sich drei von diesen zu den beiden glühenden Weltfreunden.
Diese drei sagten ebenfalls freundlich: »Guten Abend!«
Und dabei setzten sie sich auf die Säulen, auf denen noch vor kurzem die drei anderen saßen.
»Pflastermann!« rief Mafikâsu lächelnd, »wo willst Du hin?«
Der Pflastermann erwiderte ebenfalls lächelnd:
»Die Herren Nadûke und Klámbatsch, die hier neben mir sitzen, wollen ihrem Leben ein Ende machen, da sie müde geworden sind. Wir wollen morgen in den Todesgrotten sein.«
Ich spreche«, sagte Mafikâsu rasch, »den beiden Herren meinen herzlichsten Glückwunsch aus. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich die Herren begleiten dürfte.«
»Bist Du«, fragte der Pflastermann, »auch schon müde geworden?«
»Das nicht«, versetzte Mafikâsu, »aber ich hoffe, in den Todesgrotten neue Freunde zu finden.«
»Aha!« rief Nadûke, »er hat seine Idee vom großen Fernrohr noch nicht aufgegeben.«
»Ich gab niemals«, erwiderteMafi, »das, was ich anfing, auf. Wir haben übrigens ein neues Agitationsmittel gefunden.«
»Laß hören!« sagte Klámbatsch darauf.