Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart
Es dröhnt in der Ferne, als würden gewaltige Schlachten geschlagen, und es knattert, als platzten grosse Granitsterne entzwei. Und dazu pfeift es gellend in keifenden, hohen Tönen. Und es knallt und faucht und stöhnt und rasselt. Und es knistert, als flögen brennende Funken durchs All. Und dann bricht was Grosses zusammen, dass Milliarden Scheiben durcheinander splittern.
Und bei alledem ist es stockfinster.
Und dem Kaidôh wird das Sturmgetöse unerträglich, er ruft weich:
»Liwûna! Das ist zu viel. Mach den Sturm einfacher! Mach ihn zur Musik mit Melodien, denen ich folgen kann.«
Und der Sturm wird zur Musik mit langen, weichen Tönen.
Unzählige Geigen erklingen und wiegen sich und schaukeln sich und schwirren, und die Töne dehnen sich aus und schwellen an und jubeln auf und klagen und summen und ziehen wieder hinaus in die Ferne in langen Zügen – in die Unendlichkeit hinein.
Und Kaidôh wird von so vielen Empfindungen bestürmt, dass er sie nicht auseinanderhalten kann, und unter dem Wirrwarr der Empfindungen ebenso leidet wie unter dem rasenden Sturmgepolter.
Der grosse Riese glaubt, die Musik wolle die Unendlichkeit auflösen, er aber kann alles Unendliche nicht mehr ertragen. Er flüstert wieder wie zu sich selbst: »Auch das ist zu schwer für mich!«
Und dann sagt er, wie die Geigenwinde immer weiter anschwellen und ihn immer weiter fortzuziehen suchen: »Liwûna, gieb Worte dazu!«
In der dunklen Ferne sieht er einen langen, dünnen Stab – gebildet aus lauter blutroten Rubinen – auf-und niedersteigen – auf- und niedersteigen – wie ein Taktstock.
»Das ist ein Scepter!« hört er die Liwûna neben sich sagen.
Er wundert sich nicht, dass sie das neben ihm sagt, während doch das Scepter so weit weg ist. Er will nur noch Worte hören.
Und er hört Worte.
Viele Männerstimmen singen.
Das Erste versteht er nicht – es ist ein vielstimmiger Gesang – und sehr gedämpft ist er.
Wie sie aber lauter singen, versteht er – diese Verse:
Wir mussten neulich so furchtbar lachen:
Ein Alter sprach so voll Herzeleid;
Er wollte die herrlichsten Verse machen
Zum Lobe der tiefen Unendlichkeit.
Ihm aber gelang nicht das kleinste Gedicht,
Und dazu schnitt er noch ein Gesicht,
Als wenn die Unendlichkeit böse wär.
Ach Alter, wo kamst du eigentlich her?
Mach dir doch nicht das Leben so schwer.
Was machst du bloss für Sachen?
Man muss ja so furchtbar lachen.
Die Geigen summen weiter, doch die Töne schliessen sich nicht mehr zu Melodien zusammen.
Liwûna sagt:
»Du hörst nur Kopfnaturen in der Finsternis.«
Kaidôh denkt an die schlafenden Sternriesen und findet es seltsam, dass er selbst so lange ohne Schlaf durch die Welt schwebte. Er vergleicht das Sterben mit dem Einschlafen, wird aber durch ein Trompetengeschmetter aufgestört. Helle Hörnerklänge jubeln dazwischen. Die Geigen sind nicht mehr zu hören.
Mit einem Male wirds still, und tiefe Männerstimmen sprechen im Chor:
Diese ganze Welt ist nur sein Alltagsmantel,
Und wir alle sind nur schlechter Zwirn.
Tausend Echos hallen die Worte auf allen Seiten wider. Und es erklingen helle Glocken in einer lustigen Klimpermelodie. Dem Kaidôh kommt das Geklinge so bekannt vor. Tiefe Frauenstimmen singen dazu:
Du kannst die ganze Welt verstehen,
Wenn du vermagst, sie schweigend anzusehen.
Doch rufst du dabei mal: Ich habs!
So kriegst du einen derben Weltenklaps.
Kaidôh will lächeln, denn er sieht ja nichts.
Er bleibt finster.
Die Glocken verstummen.
Eine tiefe Bassstimme, die so knarrt, spricht vertraulich in Kaidôhs nächster Nähe:
Umfangreich sind die Weltengräber,
Aber wen verblüfft das noch?
Jeder schneidige Alldurchstreber
Findet unten doch ein Loch
In dem grossen Grabestrichter.
Es bleibt nach diesen Worten ein fernes Brummen, wie von Bienenschwärmen in der Finsternis, und Kaidôh denkt wieder an den Schlaf und möchte träumen. Und er träumt von weiten Wunderländern, die er noch nie gesehen hat, und ihm ist plötzlich so, als offenbare sich ihm plötzlich das ganze Allwesen, und es durchrauscht ihn; es wird ihm alles so klar – traumklar.
Da weckt den Träumer ein zwitscherndes Flötengedudel, und lachende Kinderstimmen singen zu den Flötentönen:
Gross ist das Weltensein!
Alles gehört hinein.
Gestern noch kam ein Kind,
Schrie wie ein wilder Wind,
Pries den ganzen Weltenlauf,
Blies sich dabei drollig auf,
That, als läge jede Note
Fein seciert auf seiner Pfote,
Und sprach von einem Wunderland,
Das allen Wesen unbekannt,
Als wärs fürwahr sein Vaterland.
Wir sagten: So – so – so!
Du bist recht zauberfroh!
Und das Jenseits war seine Mütze,
Das Bekannte nannte er Pfütze.
Kindchen, lass das Schreien bleiben,
Sonst wird dich ein Floh vertreiben.
Und die Flöten dudeln – und entfernen sich nach allen Richtungen. Es steckte eine Marschmelodie in den Versen.
»Köpfe können doch nicht marschieren!« sagt Kaidôh.
Er wagt es nicht, noch einmal zu träumen.
Tiefe Frauenstimmen sprechen im Chore:
Dunkel bleibt uns immer was.
Doch es giebt ein Träumen
Ueber allen Räumen.
Nachdem die Echos auch diese Worte lange nachgehallt haben, ist das Bienengebrumm abermals zu hören.
Es wird etwas heller.
Dumpfe Pauken dröhnen in der Ferne, und Trommeln rasseln wie Ketten,
und zu dem Getöse singen viele Stimmen schreiend durcheinander:
Jede tolle Narrenpein
Wird ja wohl notwendig sein.
Diese Verse werden siebenmal wiederholt, und die Stimmen – es sind lauter Knabenstimmen – schreien jedesmal lauter, sodass der Gesang schliesslich zum Gekreisch wird, das schliesslich in Gewimmer umkippt und dann plötzlich weg ist.
Und nun wirds allmählich hell.
Und Mondlicht umfliesst den grossen Kaidôh.
Es wird so still, dass Kaidôh sein Herz klopfen hört.
Mit weit ausgebreiteten Armen dreht sich der Riese langsam um sich selbst.
Und er sieht in der Runde in sieben tiefe Schluchten, in denen Nebelschatten geisterhaft auf und nieder gleiten. Im Mondenschein glänzen die Nebel wie bewegte Schleiergebilde – wie