Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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glitzernden Schneetuch ein klarer Himmel, wie blauer Krystall am Tage und nachts mit Sternen besäet wie Rauhreif.

      Die Bauernhäuser, die einsam in ihren viereckigen Höfen lagen, versteckt hinter den großen, reifgepuderten Bäumen, schienen zu schlafen in ihrem weißen Gewande. Nicht Mensch noch Tier kamen mehr heraus, nur die Schornsteine der Hütten zeigten durch feine Rauchwolken, die kerzengerade zum Himmel aufstiegen an, daß darinnen noch Leben war.

      Die Ebene, die Hecken, die Ulmen, alles schien tot zu sein, wie von der Kälte ermordet.

      Ab und zu krachten die Bäume, als ob ihre Holz-Glieder unter der Rinde geplatzt wären, und hier und da löste sich ein großer Zweig ab und fiel zu Boden. Der eisige Frost hatte den Saft ausgetrocknetund die Äste gebrochen.

      Johanna wartete ängstlich auf die Rückkehr der milderen Jahreszeit, indem sie all das unbestimmte Unbehagen, das in ihr steckte, der großen Kälte zuschrieb.

      Bald konnte sie nicht mehr essen, sie ekelte sich vor allem; ihr Puls fing an rasend zu schlagen, und bald konnte sie, obgleich sie fast keine Nahrung mehr zu sich nahm, nichts mehr bei sich behalten, und ihre stets erregten Nerven, die immer angegriffener wurden, versetzten sie in eine unerträgliche, fortwährende Aufregung.

      Eines Abends fiel das Thermometer noch mehr, und Julius sagte, als sie von Tisch aufstanden, – denn das Eßzimmer wurde, um Holz zu sparen, nie mehr geheizt – indem er sich fröstelnd die Hände rieb:

      – Nicht wahr, Liebchen, heute wäre es schön zu zweien im Bett?

      Er lachte mit seinem gutmütigen Kinderlachen, wie früher. Johanna fiel ihm um den Hals, aber sie fühlte sich gerade so unwohl, hatte den Abend solche Schmerzen und war so nervös, daß sie ihn leise bat, indem sie ihn auf den Mund küßte, sie heute allein zu lassen. Sie setzte ihm mit ein paar Worten ihren Zustand auseinander:

      – Bitte, mein Geliebter, ich fühle mich nicht wohl, morgen wird mir’s sicher wieder besser gehen.

      Er ließ es gut sein und sagte nur:

      – Wie Du willst, meine Liebe, wenn Du krank bist, mußt Du Dich pflegen.

      Und sie sprachen von andern Dingen.

      Sie ging zeitig zu Bett. Julius ließ in seinem Schlafzimmer gegen seine sonstige Gewohnheit Feuer machen, und als man ihm meldete, daß es ordentlich brenne, küßte er seine Frau und ging.

      Das ganze Haus schien unter der Kälte zu leiden, die Mauern klangen leise, als schauerten sie zusammen, und Johanna zitterte in ihrem Bett; zweimal stand sie auf, um ein Scheit Holz nachzulegen und Kleidungsstücke zu holen, sich noch auf’s Bett zu decken. Nichts konnte sie wärmen.

      Ihre Füße erstarrten, Unter-und Oberschenkel befiel ein solches Zittern, daß sie sich unausgesetzt hin und herwarf, sich aufregte und immer nervöser ward.

      Bald schlugen ihre Zähne auf einander, ihre Hände zitterten, ihre Brust war wie zusammengeschnürt, ihr Herz klopfte langsam in schweren, dumpfen Schlägen und schien manchmal auszusetzen. Sie rang nach Atem, als könnte sie keine Luft bekommen.

      Eine fürchterliche Angst packte sie bei der entsetzlichen Kälte, die ihr bis in’s Mark drang. Etwas Ähnliches hatte sie noch nie gehabt. Sie fühlte sich wie von der Lebenskraft verlassen, ihrer letzten Stunde nahe. Sie dachte: »Ich sterbe«, und im Entsetzen sprang sie aus dem Bett, klingelte Rosalie, wartete, klingelte wieder, zitternd und zusammenschauernd.

      Das Mädchen kam nicht. Sie lag wahrscheinlich in jenem ersten Schlafe, aus dem man nicht zu erwecken. Und Johanna,, die nicht mehr konnte, stand auf und lief zur Treppe. Lautlos tastete sie sich hinauf bis an die Thür, öffnete sie und rief:

      – Rosalie! Sie ging weiter, stieß ans Bett, tastete mit den Händen darauf und fühlte, daß es leer war, leer und kalt, als ob niemand dort gelegen hätte.

      Sie fragte sich erstaunt: »Was, bei so einem Wetter ist sie fortgelaufen?«

      Aber da ihr Herz plötzlich ganz erregt ward, und zum Zerspringen klopfte, lief sie hinab mit zitternden Knieen, fast zusammen brechend, um Julius zu wecken.

      Schnell trat sie bei ihm ein, von der Überzeugung verfolgt, daß sie sterben müßte und dem Wunsche, ihn noch zu sehen, ehe sie stürbe.

      Beim erlöschenden Feuer im Kamin sah sie neben dem Kopf ihres Mannes den Kopf Rosaliens in den Kissen.

      Bei dem Schrei, der ihr entfloh, fuhren sie beide in die Höhe. Einen Augenblick blieb sie starr stehen, im Entsetzen über diese Entdeckung, dann lief sie davon, in ihr Zimmer zurück.

      Als aber Julius verzweifelt rief: »Johanna!« packte sie eine so fürchterliche Angst, ihn zu sehen, seine Stimme zu hören, seine Auseinandersetzungen, seine Lügen, ihm ins Auge zu blicken, daß sie wieder auf die Treppe stürzte und die Stufen hinab eilte.

      Dann lief sie in die Dunkelheit hinein, auf die Gefahr hin, die Stufen herunter zu fallen und sich die Glieder auf den Steinen zu brechen. Sie floh, von einem unwiderstehlichen Bedürfnis getrieben, nichts zu hören, keinen Menschen mehr zu sehen.

      Als sie unten stand, setzte sie sich auf eine Stufe, barfuß und im Hemd, und da blieb sie wie von Sinnen sitzen.

      Julius war aus dem Bett gesprungen, hatte sich eilig angezogen, sie hörte ihn gehen und kommen und stand auf,um vor ihm zu fliehen. Schon eilte auch er die Treppe herunter und rief:

      – Johanna, so hör doch!

      Nein, sie wollte nicht hören, noch sich auch nur mit der Spitze des Fingers berühren lassen, und sie stürzte in das Eßzimmer und floh wie vor einem Mörder. Sie suchte einen Ausgang, ein Versteck, eine dunkle Ecke, irgend einen Fleck wo sie sich vor ihm verbergen könnte. Sie versteckte sich untcr dem Tisch, aber schon öffnete er die Thür, das Licht in der Hand, immerfort rufend:

      – Johanna! Johanna!

      Und sie floh davon wie ein gescheuchtes Wild, stürzte in die Küche und lief zwei Mal im Kreise herum, gleich einem in die Enge getriebenen Tier, und da er sie beinahe eingeholt hatte, öffnete sie plötzlich die Thür zum Garten und lief hinaus.

      Die Berührung mit dem eisigen Schnee, in den ihre Füße oft bis zum Knie einsanken, gab ihr plötzlich die Kraft der Verzweiflung. Obgleich sie halb nackt war, fror sie nicht. Sie fühlte nichts mehr, so beherrschte das Entsetzen ihrer Seele ihren Körper, und so raste sie dahin über die Erde, weiß wie diese.

      Sie lief die große Allee hinab durch das Wäldchen, sprang über den Graben und floh über die Haide.

      Der Mond schien nicht, die Sterne leuchteten wie eine Feuersaat am schwarzen Himmel, aber doch war die Ebene hell, in trübem Weiß lag sie unbeweglich da, in unendlichem Schweigen.

      Johanna raste dahin, ohne Atem zu schöpfen, ohne einen Gedanken an irgend etwas, und plötzlich stand sie am Rande der Klippen. Unwillkürlich blieb sie jäh stehen, und keines Gedankens, keines Willens mehr fähig, fiel sie hin.

      In dem dunklen Raum vor ihr strömte das unsichtbare, stille Meer den Salzduft des Seetangs bei Ebbe aus.

      Dort blieb sie lange liegen, gelähmt an Geist und Herz, dann fing sie plötzlich an zu zittern am ganzen Körper, wie ein Segel, das im Winde flattert, ihre Arme und Hände flogen, ihre Füße bebten, durch eine unbesiegliche Gewalt hin und her geschlagen, klappten und fuhren zusammen, und plötzlich kam ihr klar und bitter die Besinnung wieder.

      Dann zogen längst verflogene Bilder an ihrem Auge vorüber: die Spazierfahrten im Boot des alten Lastique mit ihm, wie sie dort mit einander gesprochen, wie ihre Liebe erwacht; die Bootstaufe, und immer weiter dachte sie zurück, bis an jene Nacht, da sie, von Sehnsucht und unbestimmten Träumen bewegt, zum ersten Male nach Les Peuples gekommen. Und nun? Und nun? Ach, ihr Leben war vernichtet, alle Freude vorbei, sie hatte nichts mehr zu erwarten, und vor ihrer Seele erschien die furchtbare Zukunft, voll Qual, Verrat und Verzweiflung; lieber doch wollte sie sterben, dann war alles gleich vorbei.

      Aber eine Stimme klang von weitem:

      – Hier! Hier sind die Spuren, schnell, schnell,


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