Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Ich glaube, die Schwarzmönche verduseln ihr das Restchen Verstand gänzlich.
Maria merkte wohl, daß er sie nur fort haben wollte, tat ihm aber nicht den Gefallen, lange auszubleiben, sondern ging geschäftig ab und zu und hatte bald den Tisch bereitet. Den Junker ließ sie dabei nicht aus den Augen und warf auch mitunter ein Wörtchen in das Gespräch der Männer ein, das ihm Gelegenheit gab, die Rede an sie zu richten. Ihm war sehr wohl zumut, und so fand er denn auch bald dem alten Griesgram gegenüber den heiteren, frischen Ton, der ihn ganz unbefangen erscheinen ließ. Er hatte viel zu erzählen, was Herr Huxer mit Teilnahme anhörte; so erwärmte dieser sich ein wenig und schenkte ihm fleißig aus der Kanne ein. Trinkt, sagte er, und wartet nicht auf mich. Ich komme von einem späten Mittag, wo es des edlen Getränkes fast zuviel gab und die Gäste sich nicht schämen durften.
Dabei fiel ihm nun aber ein, daß er aufs Schloß berufen war und zugesagt hatte. Die Stunde war verstrichen. Er konnte nicht länger bleiben und mochte doch auch nicht den Junker nötigen, vom Tische aufzustehen und das Haus zu verlassen. Verdrießlich rückte er auf seinem Stuhle hin und her. Es nützte ihm aber nichts, daß er sich schweigsam verhielt, das Gespräch unter den jungen Leuten wurde um so lebhafter. Ich habe noch einen Gang, sagte er endlich, immer mehr beunruhigt, und weiß nicht, wie lange ich ausbleibe.
Heinz stand auf. Ich begleite Euch, wenn Ihr's wünscht.
Doch nicht, bevor Ihr Euer Bier ausgetrunken habt, wandte Maria ein. Wir müßten wahrlich glauben, daß es Euch bei uns nicht schmecke.
Huxer warf ihr einen finsteren Blick zu, aber es war einmal gesagt, und der Junker hatte sich schon wieder gesetzt. Er mußte nun doch allein gehen und ihn zurücklassen.
32. DAS BLUTGERICHT
Was den doch wieder nach Danzig zurückgebracht hat! knurrte Huxer vor sich hin, während er die Böttchergasse kreuzte, an der Marienkirche entlang ging und auf den Damm einbog. Das Mädchen hatte ihm schon damals gefallen, und weshalb er nun kommt, da er doch sonst hier nichts zu schaffen hat, kann man sich denken. Und Maria – Torheit, Torheit! Ein solcher Junker Habenichts! Das soll sie sich nur nicht in den Kopf setzen.
Er war so in seine Gedanken vertieft, daß er nicht einmal bemerkte, wie sich viele Menschen auf der sonst stillen Straße drängten. Es war aufgefallen, daß eine größere Zahl von Ratmannen und Schöppen den Weg nach dem Haustor nahm, und man wollte nun neugierig in Erfahrung bringen, was da im Werke sei.
Am Tore fand Huxer schon die beiden Bürgermeister, Barthel Groß und zwölf von der Gemeine, alle in braunen Mänteln, wie für die Bürgertracht vorgeschrieben war. Sie hatten auf ihn gewartet, und Letzkau machte ihm deshalb freundliche Vorwürfe. Nehmt's auf Euch, sagte er scherzend, wenn der gestrenge Herr Komtur sich über unser Verspäten unwillig äußert.
Er kann froh sein, daß wir überhaupt kommen, antwortete Arnold Hecht, für ihn lachend.
Der Zug setzte sich sogleich durchs Haustor und durch die Altstadt aufs Schloß hin in Bewegung, gefolgt von müßigem Volk. Die Herren sprachen leise miteinander und verabredeten, was sie dem Komtur sagen wollten, wenn er sie dies oder das frage. Nur Huxer ging schweigsam, die Lippen zusammengekniffen, neben Barthel Groß her, und diesem war's lieb, daß er nicht zu antworten brauchte. Die Schloßbrücke war aufgezogen, aber der Wächter auf dem Turm über dem Tore gab sogleich ein Zeichen, worauf nach einer Weile die Ketten rasselten und der Weg frei wurde. Schon standen die Vordersten unter dem Fallgatter im Tore, als Huxer plötzlich kehrtmachte. Laßt mich zurück, liebe Freunde, sagte er, ich bin in meinem Hause nötiger als hier in diesem Augenblick, und der Herr Komtur wird mich kaum vermissen.
Man erkundigte sich nach dem Grunde dieses unvermuteten Entschlusses. Ich habe einen Gast zu Hause, erklärte er, der heute erst zugereist ist. Und weil mir die Hausfrau fehlt, wie ihr wißt, und meine Tochter zu jung ist, neben ihm allein zu Tisch zu sitzen, ist's besser, ich versäume dort meine Pflicht nicht.
Es war keine Zeit, ihm lange zuzureden. Der Hauskomtur erschien schon, die Bürger zu empfangen und über den Hof zu geleiten. Sie kümmerten sich deshalb nicht weiter um ihn und ließen ihn gehen. Hinter ihm wurde die Brücke wieder aufgezogen.
Die andern wurden eine Holztreppe hinauf zur Galerie und an mehreren Türen vorbei bis zum Remter geführt, der neben des Komturs Gemach lag. Unten im Hofe in der Nähe des Tores und in den gedeckten Gängen, die ihn auf zwei Seiten umliefen, standen Knechte mit langen Spießen, den Eisenhut auf dem Kopfe. Sie machten den düsteren Raum noch unbehaglicher.
Wenn wir aus dieser Löwengrube heil wieder hinaus sind, zischelte Hecht, mag ein Vaterunser ganz an der Stelle sein.
Wer Waffen bei sich trägt, lasse sie hier auf der Galerie zurück, mahnte der Hauskomtur. Die Ratmannen schlugen ihre Mäntel auf; niemand trug ein Schwert am Gürtel. So wurden sie denn in den Remter eingelassen und stellten sich an der Wand gegenüber der Tür zu des Komturs Gemach in guter Ordnung auf. Nachdem sie gemeldet waren, erschien dieser. Er trug einen Hausrock, aber darüber eine Plate und an einer Kette ein breites Schwert, wie es die Ritter sonst nur zum Kampfe anlegten. Wie er schritt und sich bewegte und das Schwert am Griffe mit der Hand hob oder niederließ, klirrte das Gehänge auf dem Brustharnische, daß es den Bürgern schrill in die Ohren fuhr.
Mit ihm war Waltharius, ein gelehrter Priesterbruder, der vor Jahren in den Konvent geschickt war, um während der Tafel den Brüdern vorzulesen und die Heilige Schrift auszulegen. Er hatte in seiner Jugend die Universitäten in Italien besucht und den Doktorgrad erlangt. Er hielt sich zurück in der Nähe des Einganges.
Der Komtur ging die Reihe der Bürger entlang und musterte jeden mit einem eindringlichen Blick, als ob er ihn durch und durchsehen wollte. Die Gemeine unserer Rechten Stadt Danzig ist lange nicht auf dem Schlosse versammelt gewesen, begann er, mitten im Gemache stehenbleibend und den blonden Bart streichend. Was hat das für Grund?
Man hat sie nicht geladen, antwortete Letzkau.
Es war sonst Sitte, daß die Stadt um Erlaubnis bat, dem neu ins Amt getretenen Komtur aufwarten zu dürfen. Ich habe nichts davon erfahren.
Gnädiger Herr, Ihr wisset, daß Feindschaft war zwischen Schloß und Stadt, die erst gestern ausgeglichen ist. Man geht nicht in des Feindes Lager, es sei denn gegen Versprechen sicheren Geleites. Wir hoffen aber, daß dieses alles abgetan und vergessen sein soll, und daß Ihr uns willkommen heißen werdet, wie wir nun unweigerlich erschienen sind, zu vernehmen, was Euer Begehr.
Des Komturs Lippe zuckte spöttisch unter dem blonden Bart. Ich heiße euch willkommen, wenn ihr ein gutes, redliches Gewissen mitbringt! Was gestern vertragen ist, das ist geschehen vor dem gestrigen Tage. Wollte Gott, daß keine neue Irrung zu beklagen wäre. Aber zunächst beantwortet mir eine Frage. Was bedingt und erhält alle Ordnung dieser Welt?
Da sahen die Bürger einander überrascht an, und mancher zuckte die Achseln, um anzudeuten, daß er nicht wisse, wo das hinaus solle. Konrad Letzkau aber sagte nach einer Weile: Das Recht.
Ist dem so? wandte der Komtur sich an den Priesterbruder.
Nein! entgegnete derselbe vortretend. Das Recht ist nur unwandelbar in Gott. Die Menschen streiten unaufhörlich darum, und wer Recht gewinnt, setzt alle andern ins Unrecht. Weil nun auf Erden neben dem Recht überall Unrecht steht, so gibt es keinen Frieden außer durch den Richter. Der Richter aber ist nicht mächtig durch sich selbst, sondern durch die Obrigkeit, die ihm Gewalt gibt. Also ist das Recht nicht der Grund von aller Ordnung dieser Welt, sondern setzt umgekehrt die Ordnung voraus, damit es gedeihe.
Wohlgesprochen! rief der Komtur. So antwortet also besser.
Gebt jedem so viel Freiheit, als er nach seiner natürlichen Art braucht, sich zu bewegen, erwiderte Hecht leichthin, und ich wette darauf, daß jeder mit der Welt Ordnung zufrieden ist.
Der Komtur hob den Kopf und forderte den Priesterbruder durch einen Blick zum Sprechen auf. Es könnte wohl so sein, sagte dieser vornehm lächelnd.