Gesammelte Werke. Ernst Wichert
besser war, schon viele Wochen lang gesessen, sagte der Bürgermeister. Es bleibt nichts übrig, als sich in Geduld zu ergeben.
Geduld ist eine Altweibertugend! schrie Hecht. Ich möchte bersten vor Zorn und Unmut. Uns hierher locken zu lassen – in eine so plumpe Falle zu gehen! Wer konnte aber auch vermuten, daß der Dirschauer Vogt so flink sein würde?
Ich könnte Euch Vorwürfe machen, sagte Letzkau, daß Ihr den Brief geschrieben habt. Aber ich weiß wohl, daß er dem Komtur doch nur ein Vorwand war, sich an uns zu reiben. Hätten wir ihm diesen nicht geboten, so hätte er einen andern gefunden. Schon in der Kirche war mir's gewiß, daß er den Frieden nicht ernst meinte. Er verpflichtete sich uns zu nichts.
Und doch vertrauten wir ihm, seufzte Groß.
Wieder schwiegen sie eine Weile. Es war eisig kalt im Kellerraum. Hecht fing an mit den Zähnen zu klappern – vielleicht nicht nur der Kälte wegen. Der Mut sank ihm schnell. Gebt acht, sagte er, der Komtur läßt uns nicht wieder hinaus. Wir sollen hier elend umkommen.
Es wird so schlimm nicht werden, tröstete Letzkau. Unsere Begleiter hat man entlassen. Sie werden dafür sorgen, daß die Gewalttat in der Stadt bekannt wird. Danzig wird seine gewählten Bürgermeister nicht im Stich lassen. Und steht nicht über dem Komtur der Hochmeister? Sein ganzes Ansehen im Lande geht verloren, wenn er so etwas ungestraft geschehen läßt. Er wird sofort unsere Entlassung aus der Haft befehlen. Aber eine Woche allerdings kann's dauern, bis wir die Freiheit wiedergewinnen, und indessen hat der Komtur seine Rache an uns gestillt.
Oh, seufzte Hecht, ich wollte, es käme einer im Rat auf den klugen Einfall, einen Boten an den König von Polen zu schicken. Der ist mir zuverlässiger als der Hochmeister, den der Komtur schon mit Lügen umstricken wird.
Was kann ihm das helfen? meinte Letzkau. Man muß uns ja doch ordnungsmäßig den Prozeß machen und kann unsere Verteidigung nicht abweisen. Dem Komtur soll seine Voreiligkeit leid werden, wenn noch Gerechtigkeit im Lande ist.
Gott geb's! sagte sein Kumpan mit sehr kläglichem Ton. Hätten wir doch das Schloß ausgebrannt bis auf den Grund und die Füchse aufgestöbert!
Wieder verging eine Stunde. Die Nacht mußte schon vorgeschritten sein, denn ein bleicher Streifen von Mondlicht fiel durch die Spalte auf die unteren Treppenstufen gegenüber. Da wurde oben der Riegel zurückgeschoben und der Schlüssel gedreht. Der Turmwächter erschien mit einem brennenden Kienspan und leuchtete hinab. Steht auf! rief er. Es ist des Herrn Komturs Wille, daß ich euch ein anderes Gemach anweise, wo ihr in muntere Gesellschaft kommt. Bringt aber das Stroh mit hinauf.
Letzkau fragte, was man mit ihnen vorhabe; der Wächter aber antwortete mürrisch: Der Teufel mag's wissen! Gehorcht und haltet mich nicht unnütz auf; ich will endlich auch meine Nachtruhe haben. Der Herr befiehlt's, und so geschieht's.
Sie mußten Folge leisten. Schlimmer kann's doch nicht werden, meinte Hecht.
Der Wächter geleitete sie durch einen schmalen gewölbten Gang. Hinter einer Tür vernahm man wüsten Gesang, mit rohem Lachen untermischt. Der Wächter klopfte mit dem Schlüssel an, worauf plötzlich alles still wurde. Wen bewahrt Ihr dort? erkundete Letzkau erschreckt.
Ihr werdet's sogleich erfahren, versicherte der Mann mit der Fackel, das ist ihr gewöhnliches Nachtgebet. Er schloß die Tür auf. Da – tretet ein.
Der Tür gegenüber befand sich in der Mauer eine tiefe Nische und in derselben, etwa sechs Fuß über dem Erdboden, eine fensterartige Öffnung, die sich nach außen hin verengte. Der Mond stand gerade davor, und die schwarzen Eisenstangen kreuzten ihn. Die plötzliche Helle war fast blendend in ihrer Wirkung auf die Eintretenden. Der Wächter schob sie vorwärts und rief: Da habt ihr zur Nacht Gesellschaft – vertragt euch gut, das rat' ich euch! Dann warf er die Tür zu und schlurrte fort.
Auf der Mauervertiefung saß ein Mensch, seitwärts an die Wand gelehnt. Das Mondlicht streifte sein verwildertes Gesicht. Er kroch gleich wieder an die Eisenstäbe heran und machte sich an denselben zu schaffen. Zu ihm schwang sich ein zweiter auf, wie jener nur mit Lumpen bekleidet und barfuß. Ein dritter half ihm dabei, indem er ihn auf die Schulter nahm. Seitwärts, nahe der Wand, zeigten sich noch mehrere Gestalten, teils auf einem Strohlager sitzend, teils davor stehend. Einer davon trat plötzlich in das Mondlicht vor. Wie Feuer leuchtete der rote Bart, der ihm über die Brust fiel. Kennt ihr mich? fragte er mit schneidigem Ton.
Stenebreeker! riefen sie wie aus einem Munde.
Marquard Stenebreeker – der bin ich. Und diese hier sind meine guten Gesellen. Vorige Pfingsten, als ihr uns in Ketten an eurem Rathause vorbeiführen ließet, den Gassenbuben zum Spott, ahntet ihr Herren nicht, daß wir einander so wieder treffen würden – hahaha – so!
Letzkau durchschauerte es kalt. Wechselvoll sind der Menschen Schicksale, sagte er. Rollt das Rad, so sind seine Speichen bald unten und bald oben.
Stenebreeker streckte die Hand aus und wies mit dem Finger auf ihn hin. Das hast du erfahren, Konrad Letzkau. Es ist nicht das erstemal, daß ich dich im Kerker sehe. Ich half dir zur Freiheit. Du hättest dich dessen besser erinnern sollen, als ich deinen Dank begehrte. Denn das Rad dreht sich, und nun schleifst du den Staub, und ich habe Macht über dich.
Wir sind gefangen und eingekerkert wie ihr, rief Arnd Hecht, in nichts anderem haben wir Gemeinschaft mit euch. Macht Platz für unser Lager. Es ist wahrlich Zeit, daß wir zur Ruhe kommen.
Ihr werdet nicht schlafen diese Nacht, um wieder zu erwachen, entgegnete der Hauptmann.
Heiliger Gott, was soll mit uns geschehen? rief Groß, sich entsetzt umschauend.
In einer Stunde werden wir euch das Quartier räumen, ihr Herren. Vorher aber haben wir miteinander noch ein ernst Geschäft, Wißt ihr, weshalb der Herr Komtur euch zu uns geschickt hat?
Sie schwiegen.
Damit wir euch richten!
Damit ihr uns mordet! rief Letzkau. Ah, nun wird die Schandtat vollkommen!
Ihr seid unsere Richter nicht, sagte Hecht mit bebender Stimme, die Hand wie zur Abwehr vorstreckend.
Ihr seid unsere Richter nicht! wiederholte Barthel Groß.
Nun, so nennt uns eure Nachrichter, entgegnete der Rotbart wild, wenn euch das besser gefällt. Das Kapitel hat euch gerichtet – es kümmert mich nicht, wegen welcher Schuld –, und ihr seid in unsere Hände gegeben.
Das Kapitel kann uns nicht richten, der Komtur nicht verdammen. Wir haben das Landgericht über uns – der Hochmeister ist unser Gerichtsherr! Das heißt Gewalt!
Mag sein! Darum vollstrecken wir nicht fremdes Urteil, sondern unser eigenes. Bereitet euch zum Tode – ihr müßt sterben!
Nochmals – ihr seid unsere Richter nicht!
So vergelten wir Gleiches mit Gleichem. Auch ihr waret unsere Richter nicht, und ihr habt uns gerichtet. Einen Teil unserer Gefährten habt ihr ums Leben gebracht. Daß wir noch atmen, danken wir euch nicht. Euer Tod aber gibt uns die Freiheit, und deshalb – müßt ihr sterben!
Er schlug den zerfetzten Mantel zurück und zeigte das nackte Schwert in seiner linken Hand. Zugleich traten zwei von den Räubern an ihn heran. In ihrem Ledergurt blitzten die Dolchmesser, und sie hatten die Hände an den Griff gelegt, des Befehls ihres Meisters gewärtig.
Nun konnte kein Zweifel mehr sein, daß die Drohung schrecklich ernst gemeint war. Sie haben Waffen! schrie Hecht, sie sind gegen uns bewaffnet! Zu Hilfe – zu Hilfe! Er rannte an die Tür, rüttelte sie im Schloß, schlug mit den Fäusten dagegen.
Die Räuber lachten wild auf. Es nützt euch nichts! Ergebt euch!
O mein Weib – meine Kinder! jammerte Barthel Groß, sich mit beiden Händen ins Haar greifend. Schont uns – tötet uns nicht! Das ist Mord – Meuchelmord!
Des Komturs Rachewerk! sagte Letzkau. Aber es wird aus dieser blutigen Saat eine Frucht aufgehen, an der sie sich vergiften sollen! Nur zu, ihr Buben – nur zu! Gewalt habt ihr über uns, aber nicht Recht.
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