Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Weg ist frei! rief er.
Sieh hinaus, Jost, rief ihm der Hauptmann zu, ob unten das Boot bereit liegt.
Es liegt bereit.
Nun denn – in Teufels Namen, vorwärts! Er hob das Schwert und drang gegen die Ratsherren vor. Seine beiden Genossen folgten mit wildem Geschrei.
Letzkau ergriff einen hölzernen Schemel, der an der Wand stand, und hielt ihn vor sich hin. Sollen wir uns schlachten lassen? Ich verteidige mein Leben.
Barthel Groß blickte sich verzweifelt um, ob sich nicht auch für ihn eine Waffe entdecken ließe. Auf der Erde lag das Eisen. Er sprang zu, hob es auf und schwang es über seinem Kopf.
Arnd Hecht war bis in die Ecke des Gemachs zurückgewichen. Sein Fuß stieß an einen harten Gegenstand. Er bückte sich danach und ergriff eine steinerne Kanne, die noch halb mit Wasser gefüllt war. Den Inhalt goß er seinen Angreifern ins Gesicht, so daß sie geblendet waren; dem einen von den Kerlen, der mit dem Dolch auf ihn eindrang, schlug er so kräftig auf den Schädel, daß er taumelte und zu Boden stürzte. Aber ein anderer Geselle riß ihm den Dolch fort und warf sich auf den Wütenden. Stenebreeker selbst griff mit seinem kurzen Schwert Konrad Letzkau an, der aber den Schemel so geschickt wie einen Schild gebrauchte, daß er längere Zeit keinen Vorteil gewann. Barthel Groß focht mit der Eisenstange wie ein Rasender gegen einen bewaffneten Räuber und zwei seiner Gefährten, von denen der eine die spitze Feile als Dolch zu gebrauchen suchte, während der andere den zweiten Holzschemel ergriffen hatte und damit die wuchtigen Schläge zu parieren bemüht war. Bald lag ein zweiter von den Räubern ächzend am Boden. Nun sprangen auch die übrigen vom Strohlager auf und beteiligten sich beim Kampf.
Es entstand ein wildes Handgemenge. Der Mond erhellte das Gemach hinreichend, daß Freund und Feind einander unterscheiden konnten. Mitunter wurden die Angreifer auch bis unter das Fenster zurückgeworfen, wo dann der Lichtschein auf die blutigen Köpfe fiel. Stenebreeker ermutigte die Seinigen stets zu neuem Vordringen. Sie waren so sehr in der Mehrzahl, daß die Ratsherren fortwährend aufpassen mußten, nicht umgangen zu werden. Ihr Kampf war ganz hoffnungslos, aber sie gaben ihn deshalb nicht auf: in tapferer Gegenwehr wollten sie sterben, wenn sie sterben mußten.
Allmählich ermüdete ihnen Arm und Hand, sie bluteten schon aus vielen Wunden. Endlich gelang es einem von den Räubern, die zu Boden gestreckt waren, Barthel Groß bei den Füßen zu ergreifen und zum Fall zu bringen. Ehe er sich aufrichten konnte, faßte ihn ein anderer ins Haar und riß ihm den Kopf zurück. Anna – Anna! rief er. Schon fühlte er die Schneide des Dolches an seiner Kehle. Im nächsten Augenblick brach er röchelnd zusammen.
Die Räuber erhoben ein Siegesgeschrei. Noch seid ihr nicht am Ziel, ihr Buben! rief Hecht, dem blutiger Schweiß vom Gesicht rann. Er holte mit der Steinkanne mächtig aus und schmetterte sie gegen den Kopf seines nächsten Gegners. Indem aber sprang sein Genosse mit einem Schemel vor und fing den Hieb auf. Die Kanne barst bei dem Anprall gegen das eckige Holz und brach in Stücke auseinander; Hecht behielt den Henkel in der Hand. Nun war er wehrlos, wurde umringt und niedergeworfen. Mit Händen und Füßen schlug er um sich, bis man ihm die Kehle abgestochen hatte.
Fast zugleich mit ihm fiel auch Konrad Letzkau. Der Blutverlust hatte ihn erschöpft. War er auch nicht tödlich getroffen, so hatte er doch dem Schwert Stenebreekers den Zugang zu Brust und Leib nicht wehren können. Nun wurde er von hinten umfaßt und in die Knie gedrückt. Um diesen Angreifer abzuschütteln, schlug er mit dem Schemel hinter sich. Diesen günstigen Augenblick benutzte der Hauptmann, ihm das Schwert zwischen die Rippen zu stoßen. Gott sei mir gnädig! war Letzkaus letzter Schrei.
Die Räuber ließen ihre Wut an den Leichen aus, die sie ins Mondlicht zerrten und noch vielfach mit den Dolchen verwundeten. Dann ergriffen sie durchs Fenster die Flucht, wie es verabredet war. –
Der Wächter hatte bis in seine Zelle hinein den wilden Lärm vernommen. Aber er wagte nicht einzuschreiten. Es war ihm gewiß, daß der Komtur mit Stenebreeker etwas in betreff der drei Gefangenen verabredet hätte, worin er sich nicht mischen dürfe. Er sprach deshalb nur ein Gebet und ließ geschehen, was er nicht hindern konnte.
Am Morgen, als er die Tür öffnete, waren die Räuber verschwunden. Am Boden in einer breiten Blutlache lagen die drei Danziger Ratsherren hingestreckt, ein kläglicher Anblick. Sofort meldete der Wächter dem Komtur, was geschehen war. Derselbe entfärbte sich und schlug ein Kreuz über seiner Brust. Schweige zu jedermann, befahl er ihm, wenn dir dein Leben lieb ist.
Ich weiß ja nichts, als daß sie tot sind, antwortete der arme Mensch.
Das ist auch für alle anderen genug, sagte Plauen. Sie sind tot – sie sind gerichtet.
Es war ihm heut nicht zumut wie gestern. Nicht daß er die Tat ungeschehen gewünscht hätte; aber sie freute ihn nicht. Die Leidenschaft war verraucht, die kühle Überlegung drängte sich vor und mahnte ihn an seine schwere Verantwortlichkeit. Die drei waren des Todes schuldig erkannt, ohne sich verteidigen zu können, und der Spruch war vollstreckt, ehe er ihnen verkündet war. Nun mußte er eine Entschuldigung suchen in den besonderen Umständen, die keinen Aufschub gestatteten. Seine und des Ordens Feinde hatte er niedergeworfen. Ob im Wege Rechtens oder nicht – was beschwerte das die Brüder und den Meister? Und es ist einmal geschehen, murmelte er finster vor sich hin, und unabänderlich. Man muß damit rechnen in der Marienburg.
An diesem Morgen kam Frau Anna Groß mit zwei Mägden bis auf die Brücke zum Schloß gegangen. Die Mägde trugen Wein und süße Krude. Sie fragte nach ihrem Mann und Vater und begehrte vor den Herrn Komtur gelassen zu werden, um zu hören, weshalb sie gefangengehalten würden. Die Torwächter meldeten es, aber der Komtur wollte sich nicht sprechen lassen. Er gab ihr aber auch keine Nachricht, daß die Gefangenen nicht mehr am Leben seien. So bat sie denn, daß man ihren Mann und Vater von ihr grüßen und ihnen den Wein und das Gebäck in ihr Gefängnis geben möge. Das versprachen die Wächter auszurichten. Man ließ aber niemand in den Turm.
Am folgenden Tage geschah's ebenso. Und ob es den Leuten nun schon bekannt war, daß sie ihrem Wunsche nicht würden genügen können, schwiegen sie doch und betrogen die bekümmerte Frau.
Da man sie auch am dritten Tage nicht vor den Komtur ließ und auf ihre Fragen ausweichende Antwort gab, vergrößerte sich ihre Sorge. Sie ging bei allen Ratsverwandten herum und flehte sie an, nicht müßig zu sein, sondern ernstliche Schritte zur Befreiung der Gefangenen zu tun. Ihre Befürchtung, daß deren Leben gefährdet sei, hielt man zwar in der Stadt für übertriebene weibliche Sorge, aber es gingen doch neue Boten an den Hochmeister ab, über Gewalt Klage zu führen.
Der Komtur ließ indessen niemand aus dem Schlosse und niemand ein. Innen hatte das Geschehene nicht verschwiegen bleiben können. Der Konvent war sehr bestürzt, als er aus seinem Munde erfuhr, die drei Ratsherren seien gerichtet, und man habe dabei nicht in aller Form verfahren können. Sie lehnten alle Verantwortlichkeit von sich ab. Meint ihr, daß ich euch dazu brauche? gab ihnen der Komtur höhnend zur Antwort. Ich bin selbst Manns genug, die Tat zu vertreten, und fürchte nicht, daß man mich deshalb zur Rechenschaft zieht. Den Verrätern ist ihr Recht geworden – je schneller, desto besser für den Orden.
Aber so sicher war er im Innersten seiner Sache doch nicht. Er zögerte von Tag zu Tag mit dem Bericht an den Hochmeister. Die Leichen konnten im Turm nicht liegenbleiben; er ließ sie bei Nacht in die Vorburg hinausschaffen und an der Mauer leicht in den Sand einscharren und mit Stroh bedecken. Er wußte nicht, was er mit ihnen anfangen sollte. Das liebste wäre ihm gewesen, wenn die Bürgerschaft mit Waffen vors Schloß gerückt wäre; er hätte dann seine Gewalttat besser beschönigen können. So etwas hatte er gehofft, aber die Stadt blieb ruhig. Eine gedrückte Stimmung hatte sich aller ihrer Einwohner bemächtigt, und ohne eigentliche Verabredung oder Weisung hütete man sich, den Komtur zu reizen, um die Lage der Gefangenen nicht zu erschweren. Der gewalttätige Sinn desselben war bekannt und die Furcht gerechtfertigt, daß er sie jeden Fehltritt der Bürgerschaft würde entgelten lassen.
Endlich kamen die Sendboten vom Hochmeister zurück. Sie brachten ein Schreiben an den Komtur mit dem gemessenen Befehl, die gefangenen Ratsherren freizugeben und seine Beschwerde über sie und die Stadt ordnungsmäßig einzubringen. Sie berichteten, daß sie den Hochmeister