Gesammelte Werke. Ernst Wichert
meint ohne Ansehen der Person Gerechtigkeit üben zu müssen, gnädigster Herr, und steht doch unter dem Zwange dieses Verdachtes. Damit man nicht glaube, Ihr könntet parteilich urteilen, habt Ihr schon Partei ergriffen. Weil es kleinlichen Gemütern eigen ist, die Sache nicht zu bedenken, sondern nach Liebe und Haß zu entscheiden, meint Ihr Euch dadurch über sie zu stellen, daß Ihr der Stimme des Herzens alles Gehör versagt. Weil Ihr vielleicht Eurem Bruder recht geben müßtet und dann doch parteilich gescholten werden könntet von denen, die nur die Verwandtschaft bedenken, wollt Ihr Euren Bruder verwerfen, ohne ihn zum Wort zu lassen. Das mag manchem heldenmütig erscheinen, mir aber, gnädigster Herr – verzeiht meine offene Rede –, mir scheint es nicht würdig des Mannes, der furchtlos den Weg der Pflicht geht, nicht rechts und nicht links schaut, ob man ihm folge oder zurückbleibe, Lob und Tadel der Menge nicht achtet, einzig auf sein Gewissen gestellt und Gott zu Verantwortung bereit. Gerade deshalb mahne ich zu vorsichtigem Bedenken, damit Ew. Gnaden sich nicht uneins machen mit sich selbst. Wahrlich, Herrscherpflicht geht über Bruderpflicht, aber sie fordert nicht, daß der Bruder zurückgesetzt werde gegen den Fremden. Ew. Gnaden selbst muß ich bitten, zu vergessen, daß der Komtur von Danzig Euer Bruder ist.
Plauen reichte ihm die Hand. Ihr denkt brav und beschämt mich. Es kann sein, daß Ihr richtiger in meinem Herzen lest als ich selbst. Ich bekenne, daß mein Urteil befangen ist, nicht weil die Bruderliebe zu seinen Gunsten spricht, sondern weil ich mich ihrer zu seinen Ungunsten zu erwehren suche. Sagt aber selbst: könnte ich anders handeln, wenn der Komtur nicht mein Bruder wäre?
Gnädigster Herr, entgegnete der Ritter, in anderer Weise fällt's gar schwer ins Gewicht, daß der Komtur Euer Bruder ist. Setzt Ihr irgendeinen Gebietiger von seinem Amte, weil Ihr mit ihm unzufrieden seid, es wird außerhalb des Ordens kaum beachtet. Nehmt Ihr Eurem leibhaftigen Bruder nach dieser Tat die Würde, durch die er sich zu ihr ermächtigt hielt, so ist damit die Tat selbst schon gerichtet in den Augen derer, die durch sie beschwert sind – in den Augen der ganzen Welt. Ein Ungeheures muß geschehen sein nach der Meinung der Menschen, wenn so jede verwandtschaftliche Rücksicht hintangestellt, nicht einmal der Schein der Billigung gewahrt wird. Ein Versehen, eine Übereilung aus zu großem Pflichteifer wird dadurch zum Verbrechen. Wie wollt Ihr danach die wirklich Schuldigen strafen?
Der Hochmeister stand auf und ging mit schweren Schritten im Gemache auf und ab. Ich hab's von dieser Seite nicht angesehen, sagte er nach einer Weile. Es ist mir lieb, daß ich Euch gehört habe. Aber was soll geschehen? Es muß etwas geschehen.
Wirsberg lächelte geschmeichelt hinter seinem Rücken. Gnädigster Herr, antwortete er, wenn etwas geschehen muß, warum muß es sofort geschehen? Ich werde stets zu schnellem Entschlusse raten, wenn eine Gefahr abgewandt werden kann. Ist etwas unwiederbringlich vollbracht, so lasse ich die Folgen an mich kommen und nehme Stellung dazu nach den Umständen. Alles Zufällige, das der Tag bringt, ziehe ich mit in Rechnung und nehme meinen Gewinn, wo ich ihn finde. Solange wir unter dem Einflusse dessen stehen, was unser Gemüt beschwert, ist unser Verstand verdunkelt: wir sehen die Sachen nicht, wie sie sind; was nicht sein sollte und doch ist, beherrscht uns. Folgt dann der Tag auf den Tag, so finden wir uns nicht nur in das Unvermeidliche, sondern lernen es oft auch als das Notwendige und Nützliche erkennen. Gnädiger Herr, Ihr billigt nicht die blutige Tat, sie verletzt Euch, Ihr wünschtet sie ungeschehen. Aber wie sehr Ihr sie verdammet, sie ist da, sie ist nicht aus der Welt zu schaffen. Die drei Ratsherren sind tot und werden erst auferstehen am Jüngsten Tage. Sie sind vielleicht zu Unrecht gerichtet, aber sie sind gerichtet, und ihre Schuld war nicht gering. Könnt Ihr's nun nicht rückgängig machen, ist's da klug, dem Lande die Gewißheit zu geben, daß der Machthaber unrecht getan hat? Heißt das nicht, die Gewalt aus der Hand lassen, zu allem künftigen Widerstand ermutigen, Mißtrauen in alle Gemüter säen? Mich dünkt's klüger gehandelt und segensreicher fürs Ganze, den Schein zu retten, daß den Schuldigen ihr Recht geworden ist, nur ihr Recht. Darauf kommt's an, aller Welt die Schuld klar vor Augen zu stellen, sie so groß wachsen zu lassen, daß jeder redliche Bürger vor ihr erschrickt. Dann, wenn das Land beruhigt ist, mag der Herr den Diener strafen, der eigenmächtig seine Vollmacht überschritt.
So ratet Ihr, daß ich die Tat billige?
Nicht, daß Ihr sie billigt, aber daß Ihr sie gegen diejenigen gelten laßt, gnädiger Herr, die sich der Mitschuld wohl bewußt sind. So mögen die drei nun gestorben sein, um die schwere Schuld des ganzen Landes zu sühnen und mit sich hinwegzunehmen. Ihr Tod wird in der Stadt Danzig, im ganzen Lande einen heilsamen Schrecken verbreiten. So wird das, was jetzt eine Missetat scheint, eine Wohltat für den Orden und für das Land Preußen. Darum rate ich, vor dem Lande des Komturs Sache zu des Ordens Sache zu machen. Was Ihr ihn demnächst im Generalkapitel bei verschlossener Tür wissen lassen wollet, steht bei Ew. Gnaden und den obersten Gebietigern.
Der Hochmeister rieb mit den Fingerspitzen die Stirn, wie er wohl pflegte, wenn er scharf über etwas nachdachte, das ihm schwer einleuchten wollte. Und so, meint Ihr, werden wir dem Lande den Frieden geben? fragte er nach einer Weile. Was nicht mit Gerechtigkeit anfängt, wie kann das mit Gerechtigkeit enden?
Gnädigster Herr, antwortete der Großschäffer, nur wer die Macht hat, kann das Recht geben!
Ich will die Nacht vorüberlassen, schloß der Hochmeister die Unterredung. Ihr kamt in Geschäften. Tragt mir vor, was ich zu hören habe. Er setzte sich und nahm des Großschäffers Bericht über die Verbesserung der Wasserstraße zwischen dem Kurischen und Frischen Haff mit möglichster Aufmerksamkeit entgegen.
Der Großschäffer aber, als er ihn nach einer Stunde verließ, lächelte recht boshaft und sprach in sich hinein: Folge nur meinem Rat und mache dich verhaßt beim Lande wegen deiner Ungerechtigkeit, wie du's schon beim Orden bist wegen deiner Strenge! Die Tage deiner Herrschaft werden gezählt sein. Wenn aber der Hochmeisterstuhl wieder ledig ist … Er deckte die Hand auf den Mund, als wollte er sich auch innerlich Schweigen gebieten. Selbigen Abends schrieb er noch einen langen Brief an seinen gnädigen Herrn, den König von Böhmen, und gab ihm genauen Bericht.
Am andern Morgen war's bei dem Hochmeister entschieden. Er zürnte seinem Bruder noch, aber des klugen Ratgebers Meinung hatte seinen Entschluß bestimmt, die Tat anzunehmen und zu nützen. Dabei freilich blieb er in seinen Gedanken nicht stehen. Was er weiter hinaus plante, davon erfuhr Georg von Wirsberg nichts: Letzkaus Brief gab ihm die Richtung. Ich will Herr sein, sagte er sich, um dem Lands dienen zu können. Nicht ungesühnt soll die Bluttat bleiben, aber anders soll die Sühne sein, als die Ankläger sie begehren, die selbst nicht rein sind. Hilf dazu, Heilige Jungfrau!
Als im Laufe des Tages die Sendboten von Danzig anlangten, ließ er sie nicht vor, sondern trug dem Komtur von Königsberg auf, sie anzuhören. Ihre Rede war scharf und bitter. Sie schrien laut über Vergewaltigung und drohten mit einer Klage beim Papst, als dem obersten Schiedsrichter in allem Streit, der in Thorn nicht verglichen werden konnte. So meinten sie die Kreuzherren einzuschüchtern. Aber der Hochmeister, da ihm der Komtur dies hinterbrachte, ward zornig und ließ ihnen sagen: er hätte sich eher demütiger Unterwerfung versehen als solcher Drohung. Was zwischen ihm und dem König von Polen noch unverglichen hange, das kümmere die Stadt Danzig nicht und keinen von des Ordens Untertanen. Auf ihre Klage gedenke er keinen Schiedsrichter anzunehmen, sondern selbst zu richten, und wehe der Stadt, deren verräterisches Treiben längst erkannt sei, wenn sie nicht sofort seine Gnade anrufe und ihre Unterwürfigkeit beweise.
Die Abgesandten ließ er wegen ihrer frechen Rede ins Schloßgefängnis werfen, damit sie erkennen lernten, wie sie künftig vor ihren Herrn zu treten hätten.
Darüber entstand großer Schreck unter ihnen, und sie dachten anfangs nicht anders, als daß ihnen das gleiche Schicksal bestimmt sei wie ihren Bürgermeistern. Heinz von Waldstein aber, der sie ins Schloß begleitet hatte und nun von Bewaffneten über den Hof nach dem Turme abführen sah, glaubte seinen Augen nicht zu trauen. War das des Hochmeisters Antwort auf eine so gerechte Beschwerde? Konnte er wirklich seines Bruders Blutschuld auf sich nehmen und mit seinem Schilde decken wollen? Nein, er mußte falsch berichtet sein! Jetzt galt's Zeugnis abzulegen und den Zorn des Mächtigen nicht zu scheuen!
Er brachte sich glücklich durch die Schloßwachen bis zu des Meisters Gemach. Dort aber wollten die Kämmerer niemand einlassen, der nicht vom Hauskomtur an sie gewiesen sei. Sein aufgeregtes