Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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für den Orden das Wort geführt wie für die preußischen Städte? Noch vor drei Jahren, als England uns alle seine Häfen schloß und der Herr Hochmeister mich mit dem Protonotar Crolow beorderte, mit den englischen Sendboten über einen Ausgleich zu verhandeln, habe ich da gezögert? Und ist's nicht hinterher belobt worden, daß ich alles gut ausgerichtet und vorbereitet habe, als später wirklich ein günstiger Handelsvertrag zustande kam? Das aber ist bald vergessen. Und wenn sich nun ein Fall ereignet, bei dem nicht alles so klipp und klar ist, daß man mit dem Finger auf die alten Schriftrollen weisen und sein Recht dartun kann, so wird gezwackt und gepreßt, uns den Vorteil zu entwinden. Immer sollen wir's fühlen, daß wir einen mächtigen Herrn über uns haben, von dessen Gnade wir leben. Beim heiligen Georg, das ist auf die Länge nicht zu leiden!

      Die Rede war ganz nach dem Geschmack der Zechgenossen und wurde mit lautem Beifall belohnt. Im Eifer hatte man nicht bemerkt, daß Konrad Letzkau eingetreten und nahe der Tür stehengeblieben war, seinem Kumpan zuzuhören. Da er sich nun den Tischen näherte, rückte man die Stühle zusammen, und viele standen auf, ihn ehrerbietig zu begrüßen. Er aber sah mit ernstem Blick über die Menge hin und sagte: Ein freimütiges Wort beim Kruge Bier höre ich gewiß gern. Was aber hier gegen unsere Herrschaft gesprochen wird, sollte von den Alderleuten des Hofes füglich nicht gebilligt werden. Lieber Kumpan, Ihr vergesset, daß Eure Rede nicht nur eines Mannes Rede ist, sondern daß Ihr der Stadt Oberhaupt seid und mit Eurer Stimme weit hinaus tönt, und daß man Euch am Ende auch hören wird, wo man noch immer die Macht hat, es die Stadt entgelten zu lassen, was man gegen ihre gewählten Vertreter einzuwenden hat. Ich bitt' euch freundlich, liebe Brüder, haltet Maß!

      Hecht rückte unruhig auf seinem Platz hin und her. Sollen wir hier unsere Zunge hüten müssen, wo wir unter guten Freunden sitzen? warf er ein. Ich hoffe, es ist kein Verräter unter uns!

      Ein Gemurmel der Zustimmung lief über die Bänke hin. Letzkau aber ließ sich dadurch nicht irremachen. Auf die Art ist's doch nicht abgetan, antwortete er, dem Knecht einen Krug abnehmend und ihn vor sich hinstellend. Ich wäre nicht hier, wenn ich meinte, es könnte in dieser Brüderschaft ein Verräter sein, das will sagen, ein Mensch, der absichtlich den Schloßherren hinterbringt, was hier Feindliches gegen den Orden gesprochen ist. Aber wer hält sich für verpflichtet, ein Geheimnis aus dem zu machen, was beim Kruge Bier von Mund zu Mund geht? Und wer hört da mit ganz sicherem Ohr, und wer schmückt nicht unversehens beim Weitererzählen aus? Später aber mag's schwer sein, zu beweisen, daß kein Schimpf beabsichtigt war, wenn einmal das Mißtrauen gesäet ist. Viele von uns werden morgen zu Rat sitzen, auf des Komturs Antrag zu beschließen; da ist es wohl nicht gut, wenn wir heute beim Bier gleichsam unsere Meinung in Fesseln legen. Denn andere Rücksicht hat der Mann, der in der Ratstube seine Stimme abgibt. Für oder Wider nach seinem geschworenen Eide, als der Mann, der im Hofe mit seinen Genossen die Angelegenheiten der Stadt bespricht, und doch stecken oft beide in demselben Kleide. Dann heißt's hinterher: Wie stimmst du im Rat? Hast du dich doch kürzlich ganz anders ausgelassen im Hofe! Das wollen wir klüglich vermeiden.

      Das hörten viele von den Anwesenden nicht gern; da es aber wohlgemeint und verständig war, schien's nicht geraten, dagegen Einspruch zu erheben, und der Bürgermeister sah auch nicht danach aus, als ob er darauf wartete. So waren denn die Krüge viel in Bewegung vom Tisch zum Munde und vom Munde zum Tisch, denn man meinte sich am wenigsten zu vergeben, wenn man des Trinkens wegen schwiege. Barthel Groß aber, der's Hecht vom Gesicht abmerkte, daß er sich verletzt fühle durch die Mahnung seines Amtsbruders und alle Not hatte, an sich zu halten, glaubte vermitteln zu müssen, nahm deshalb das Wort und sagte: Lieber Schwieger, Arnd Hecht hat wohl ein wenig laut und hastig gesprochen, wie es so eines alten Seemanns Art ist, aber dafür wollt' ich selbst mich verbürgen, daß er nur frei herausgesagt hat, was uns allen die Brust bedrückte. Es hat daher diesmal sicher keine Gefahr. Ihr selbst, wissen wir ja, denkt über die Sache gerade wie er.

      Letzkau reichte Hecht die Hand zu über den breiten Tisch hinüber. Nehmt's nicht für ungut, Vetter, bat er in herzlichem Tone. Wir beide kennen einander. Dann, da der dicke Herr besänftigt schmunzelte, wandte er sich an seinen Schwiegersohn. Ganz einverstanden sind wir doch schwerlich. Wir wollen's uns nicht zu hoch anrechnen, was wir für den Orden getan haben und jederzeit noch jetzt tun würden, Arnd Hecht, ich und viele andere. Denn wir haben's getan in der Zuversicht, daß den Städten des Ordens Macht anwachse, wenn er durch einen der Unseren verhandeln ließe, und was wir ihm gewonnen haben, das haben wir zugleich uns gewonnen. Der Sperling in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach! Für uns allein hätten wir meist auch nicht den Sperling gegriffen. Und nun, wenn's euch beliebt, von etwas anderem. Wie steht's mit den Vorbereitungen zu unserm Pfingstfest? Es wird doch diesmal nach der Tafelrunde geritten? Ich selbst setze zu Ehren unserer jungen Gäste einen silbernen Becher mit drei alten Goldmünzen am Rande zum Preis für den besten Stecher und bitte euch, Herr Tidemann Huxer, zu erlauben, daß euer Töchterchen ihn dem Sieger reichen dürfe.

      Darüber gab sich nun allgemeine Freude kund, und die Krüge setzten noch kräftiger mit dem Boden auf den Tisch auf als nach Hechts aufreizender Rede. Zwei von den Schöppen stellten noch andere Geschenke von Wert in Aussicht; das Gespräch kam bald wieder in lebhaften Gang, ohne sich auf politische Seitenwege zu verirren. Die beiden Junker mußten so oft Bescheid tun, daß die Hofknechte nur immer hinter ihnen stehen und aus der Kanne in den Krug hätten füllen können, und das Bier schmeckte mit jedem Zuge besser. Übrigens gab's auch Brot und Heringe zum »Verbeißen«, sonst aber keine Speisen. Nach des Hofes Ordnung durfte bei den gewöhnlichen Zusammenkünften nicht getafelt werden.

      Nach einer Weile trat der Torwächter hinter den Stuhl des Bürgermeisters und sagte ihm leise ins Ohr, daß die Frau des Gefangenwärters vom Langgassentor draußen stehe und ihn sprechen wolle. Letzkau hieß sie warten. Bald darauf stand er auf und entfernte sich aus dem Zimmer.

      Auf der Treppe vor dem Artushof stand die Frau. Was begehrt Ihr von mir? fragte er gütig.

      Verzeiht, hochwürdigster Herr Bürgermeister, antwortete sie, den Ärmel seines Rockes küssend, wenn ich zu so später Stunde störe. Mein Mann hat schlimme Gefangene in seinem Turm und wollte sie nicht verlassen, um es selbst auszurichten, wie es sonst wohl seine Sache gewesen wäre.

      Bringt nur Euer Anliegen geradeaus an, liebe Frau, mahnte Letzkau. Ist's etwas, das den Bürgermeister angeht, so bin ich stets, auch selbst zur Nachtzeit, bereit.

      Ich weiß nicht, ob es der Art ist, meinte sie. Unter den Gefangenen auf dem Langgassentor ist auch ein Marquard Stenebreeker –

      Ah! Stenebreeker, der Hauptmann – ganz recht.

      Und da er der gefährlichste ist, hat ihm mein Mann eine Zelle ganz für sich allein gegeben, dicht über der Torwölbung, damit es gleich bemerkt wird, wenn er versuchen sollte, auszubrechen, denn er ist sehr stark.

      Und er ist doch ausgebrochen? fragte Letzkau, einen Schritt vortretend und ihren Arm fassend.

      Heilige Maria! Ihr erschreckt mich! rief die Frau. Nein, er ist nicht ausgebrochen, und er soll's wohl bleiben lassen.

      Letzkau stieß einen Ton aus, der wie ein unterdrückter Seufzer klang. Und weiter also?

      Dieser Marquard Stenebreeker hat meinem Manne gesagt, daß er den Herrn Bürgermeister Letzkau sprechen müsse noch heute vor Nacht; er habe ihm wichtige Mitteilungen zu machen. Und da mein Mann ihm nicht glauben wollte und ihm antwortete, er mache sich nichts zu schaffen mit dergleichen Bestellungen, hat er ihm einen Ring gegeben und gesagt, den solle er nur vorzeigen, so werde der Herr Bürgermeister sogleich seine Bitte erfüllen. Da hat mein Mann sich denn nicht anders zu helfen gewußt, als daß er mich schickte; und da ich Euch zu Hause nicht antraf, bin ich hierher gegangen.

      Sie wickelte aus dem Zipfel ihres Halstüchleins einen Ring und reichte ihn Letzkau hin. Der erkannte ihn sogleich als denselben, den er einst seinem Befreier geschenkt hatte. Geht nur voraus, sagte er nach einigem Bedenken, ich folge Euch bald nach.

      Er ließ durch den Türsteher seinen Mantel hinausbringen, um nicht sein Fortgehen bei den Georgsbrüdern entschuldigen zu müssen, hüllte sich in denselben fest ein und schritt um die Ecke des Rathauses die Langgasse hinauf dem Tore zu, langsam, und den Kopf auf die Brust gesenkt haltend.

      Der Torwächter


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