Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Sieges? Aber davon ein andermal. Du bist ein tapferer Kriegsmann, Vetter! Wer wollte dir das bestreiten? Aber du siehst nicht viel weiter, als wohin dein Schwert schlägt. Verzeih mir, wenn ich dir so offen meine Meinung sage, sie beleidigt dich nicht; denn gerade was dir fehlt, macht dich zu dem, was du bist! Du rühmtest sonst meine Klugheit. Warum vertraust du jetzt nicht ein wenig darauf? Halte diesen Tag nicht für verloren, weil er nicht neuen Kampf bringt. Unsern Leuten ist eine Rast zu gönnen; sie würden es nie verschmerzt haben, wenn wir ihnen nicht die Beute des Schlachtfeldes überlassen hätten. Jetzt sind sie uns dankbar und folgen gern mit frischer Kraft. Auch unterwegs werden wir ihnen Zeit lassen müssen, dem Feinde seinen Überfluß abzunehmen. Es eilt nicht so sehr. Wir kommen immer noch zur Zeit, unsern Einzug in die Marienburg zu halten.
In die Marienburg – da triffst du das Richtige, König! rief Witowd. Gehört uns die Marienburg, so fallen die andern Schlösser von selbst. Ich war dort jahrelang des Ordens Gast und weiß, was diese Feste bedeutet. Darum eben mahne ich zu schnellem Aufbruch.
Ich schicke eine kleine Schar gar mächtiger Hilfstruppen voraus, sagte der König, mit den Augen zwinkernd und zu seinem Schreiber hinüberschielend, der emsig weiterarbeitete, als hörte er gar nicht auf das Gespräch. Er legte seine Hand auf einen Pack Papiere. Das sind meine Schützen, die aus der Ferne zu treffen wissen. Diese Briefe sind gerichtet an die Ordenskonvente in den Burgen, an die Bischöfe und Kapitel, an die Bürgermeister der Städte, an die vornehmsten Landesritter – sie drohen und schmeicheln, sie fordern Unterwerfung und versprechen guten Lohn. Glaubt mir, Vetter, sie fallen auf fruchtbaren Boden. Jeder von ihnen spart einem Tausend unserer Krieger das Leben. Schreib, Sbigneus, schreib! Du siehst, daß man uns die notwendigste Zeit verkürzen will.
Der Großfürst überlegte eine Weile. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß diese Fetzen Papier von solcher Wichtigkeit sein sollten. Dann stand er auf und sagte: Laßt mich voraus mit meinen Litauern, Vetter! Jeder versucht's auf seine Weise.
Jagello schüttelte den Kopf. Nichts konnte weniger sein Wunsch sein, als diesem gefährlichen Bundesgenossen eine selbständige Stellung einzuräumen. Wir dürfen uns nicht voneinander trennen, antwortete er. Unserer Vereinigung ist es gelungen, diesen Sieg zu erkämpfen; Preußenland soll wissen, daß wir auch ferner einig sind.
Wir sind's um so mehr, wenn Ihr mir willfahrt.
Morgen, Vetter, brechen wir gemeinsam auf. Die Briefe sind dann geschrieben und abgesandt. Gedulde dich bis morgen. Der Schreiber schob ihm wieder ein Blatt hin; er drückte sein Siegel in den roten Wachs.
Der Großfürst stand unschlüssig. Du hörst nicht auf meine Stimme, begann er nach einer Weile. Gut, ich will mich auch diesmal deiner Einsicht fügen. Wenn du aber weiter hinaus Pläne hast, König Jagello, von denen ich nichts wissen darf –
Der König griff mit der Hand in die Luft. Wovon sprichst du?
Vom Friedensschlusse in der Marienburg. Was da geschieht, muß mit meinem Wissen und Willen geschehen. Auch ich habe mit dem Orden abzurechnen wegen Szamaiten.
Jagello kniff die Lippen zusammen, daß sich tiefe Falten von den Mundwinkeln zum Kinn hinabzogen. Die Augen suchten im Zelt umher und hafteten zeitweise auf den Gesichtern der Schreiber. Ihre Gesellschaft schien ihm nun unbequem zu werden. Du wirst müde sein, Sbigneus, sagte er, endlich zu einem Entschlusse kommend, ruhe deine Hand ein halbes Stündchen aus und nimm deine Gesellen mit dir. Verstehst du?
Der Schreiber nickte, stand sogleich auf und winkte den andern, ihm vor das Zelt zu folgen. Er wußte, daß der König nicht an ihre Erholung dachte, sondern mit dem Großfürsten allein sein wollte.
Jagello faßte Witowds Hand, als der Türvorhang gefallen war, und veranlaßte ihn, sich wieder zu setzen. Du sprichst von meinen Plänen, Vetter, sagte er schmeichelnd, und hast das beste Recht, sie zu kennen. Versprich mir, daß du fortan Mißtrauen und Argwohn fernhalten wollest, wenn ich sie dir enthülle wie einem brüderlichen Freunde.
Mein Herz ist nicht zu Mißtrauen und Argwohn geneigt, entgegnete Witowd, nur zu offen hat es sich dir stets ergeben. Sprich ohne Rückhalt, so will ich ohne Rückhalt hören.
Der König stützte den Kopf mit dem struppigen Haar, das den größten Teil der finstern Stirn deckte, in die Hand. Ihr Litauer glaubt zu wissen, sagte er leise, um was wir diesen Krieg angefangen haben, und haltet ihn für beendet, wenn wir's erreichen. Ich habe weitergesehen und sehe weiter. Es geht uns nicht um ein Stück Grenzland am Memelstrom und in der Neumark! Als Herzog Konrad von Masowien den Deutschen Orden ins Land rief, ahnte er nicht, welche Gefahr er über sich und seine Nachbarn heraufbeschwor. Die Preußen wurden besiegt, aber die Sieger gründeten ein mächtiges Reich an der Weichsel und breiteten den deutschen Stamm weithin aus an der Meeresküste von Pommern bis zum Lande der Esten. Uns aber, die Litauer und Polen, schnitten sie ab von der See, und ihr ganzes Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, uns weiter und weiter von der Küste abzudrängen und botmäßig zu machen ihrem mächtigen Willen. Durch unsere Länder fließen die großen Ströme Weichsel und Njemen, aber wo sie sich ins Meer ergießen, sind jene nun die Herren, nicht wir. Und sie haben deutsche Städte gegründet und mit Mauern fest umschlossen und mit Burgen bewehrt, und wenn wir unsern Überfluß an Getreide, Flachs, Hanf, Holz oder Asche verkaufen und ausführen wollen, müssen wir sagen: kauft unsre Waren, gnädige Herren, und ladet sie auf eure Schiffe. Zahlt uns, was ihr möget, denn besser ist's, wir gewinnen ein weniges, als daß wir sie verderben lassen. Und wieder, wenn wir Tuche brauchen, uns zu kleiden, oder Salz und Heringe und Gewürze aus fernen Ländern, müssen wir zu ihnen gehen und bitten: gebt uns, was ihr zu Schiff heraufgebracht habt und stellt den Preis. Ihre Kaufleute haben in unseren Städten Kontore; die Deutschen allein sind handelsmächtig in unseren Gebieten, und ihnen dienen Völker und Fürsten. Ist dem so?
In der Tat! rief Witowd. Aber wir ändern nichts daran. Unsere Edelleute und Bauern sind nicht geschickt, in Städten zu wohnen und Handel zu treiben, Schiffe zu bauen und zu bemannen oder im Auslande mit fremden Kaufherren zu verkehren. Wollen wir verkaufen und kaufen, so können wir den deutschen Kaufmann nicht entbehren.
Der König blinzelte listig. Es mag so sein, antwortete er, und ich will den deutschen Kaufmann nicht vertreiben oder in seinem Besitz stören. Aber er soll nicht arbeiten und schaffen für meinen Feind. Oder glaubst du, Vetter, die Städte Thorn und Danzig, Elbing und Königsberg, Braunsberg und Memel würden verderben, wenn sie den König von Polen oder den Großfürsten von Litauen zum Herrn hätten, wie jetzt den Orden? Wir müssen herrschen über das Land bis zu den Küsten der See, dann werden sie einen ewigen Frieden haben, und an Freiheit in ihren Mauern, auf Straßen und Flüssen und in dem weiten Reich überall soll es denen nicht fehlen, die uns dienen. Das ist mein Ziel! Wir waren ohnmächtig dem Orden gegenüber, solange wir uneins waren und einander bekämpften. Nun hat ein Litauerfürst die Krone Polens auf sein Haupt gesetzt und die beiden Reiche vereinigt. Das soll zu großen Dingen geschehen sein! Auf dem Felde von Tannenberg haben wir den Orden niedergeworfen, und – nie wieder soll er erstehen! Ziehen wir gegen die Marienburg, so geschieht's nicht, um einen Frieden zu erzwingen, dem nach wenigen Jahren ein neuer Kampf folgen muß. Unser soll das Land sein mit allen seinen Städten, Dörfern und Schlössern. Was diese deutschen Ritter in Jahrhunderten aufgebaut haben ihrem Christengott zu Ehren, das sollen sie uns gebaut haben, die wir jetzt mit besserem Erfolg zu ihm beten. Er hat uns geholfen, zu besiegen, die des Heiligen Vaters Feinde sind. Er wird uns auch ferner helfen, daß wir ihr Erbe antreten zu seinem Ruhm. Gottes Name in Ewigkeit!
Er bekreuzte sich Stirn und Brust, faltete die Hände und blickte zur Zeltdecke auf. Witowd stützte das Kinn auf den Schwertknopf und sah gedankenvoll vor sich hin. So wird sich erfüllen, sagte er, was wir einander zugeschworen haben – anders als wir dachten. So kühn waren meine Hoffnungen nicht. Ja, wir werden sie zwingen unter unser Schwert!
Wenn wir einig sind, schloß Jagello und reichte ihm die Hand.
Der Großfürst schlug ein. Wir sind einig.
So weißt du nun auch, Vetter, was diese Briefe bedeuten. Wir führen Krieg gegen den Orden, aber nicht gegen das Land. Wir versprechen seinen Gliedern, wenn sie sich vom Körper trennen, reichen Ersatz: Herren sollen die Landesritter sein, wo sie Diener waren, wenn sie unsere Oberherrschaft anerkennen. Wir lieben