Gesammelte Werke. Ernst Wichert
sie mit größeren Freiheiten begnadet sein, als je der Orden ihnen zubilligte. Sie werden dieser Lockung nicht widerstehen! Denn überall hab' ich meine Freunde in den Ratsstühlen, und der Kaufmann kennt seinen Vorteil.
Witowd erhob sich und hängte sein Schwert auf den Haken an der Kette. Befehlet, und ich will gehorchen, sagte er.
Der König gab ihm das Geleite bis zum Türvorhang. Morgen brechen wir gesamt auf, rief er ihm nach; grüßt mir Eure Litauer!
Meine Litauer! berichtigte er sich, als er allein war. Ich dulde dich, solange dein Beistand mir unentbehrlich ist, meine Feinde zu demütigen. Je mächtiger du mich machst, desto leichter wird es mir werden, dich abzuschütteln. Rechne nicht auf Dank.
Gleich darauf trat Sbigneus mit den Schreibern wieder ein. Sie setzten ihre Arbeit fort bis zum späten Abend.
Von Stunde zu Stunde gingen Boten ab, die im königlichen Zelt Anweisung erhalten hatten.
Am nächsten Vormittag setzte sich endlich das Heer nordwärts in Bewegung. Zwei volle Tage hatte der König auf dem Schlachtfelde zugebracht. Erst am dritten verließ er es.
Der längere Aufenthalt war unmöglich geworden wegen des entsetzlichen Leichengeruches, der meilenweit die heiße Luft erfüllte. Erst als die letzten Fähnlein abgezogen waren, wagten die geflüchteten Bauern der umliegenden Ortschaften sich aus den Wäldern vor und suchten ihre verwüsteten Höfe auf.
Noch eine Nachlese hielten sie auf dem Schlachtfelde. Dann öffneten sie tiefe Gruben und warfen die Gefallenen hinein, Freund und Feind, Rosse und Menschen nebeneinander. Aber erst nach vieler Tage Arbeit vermochten sie notdürftig das weite Feld aufzuräumen.
Der König indessen führte sein Heer in kleinen Tagemärschen über die Städte Hohenstein, Osterode, Preußisch-Mark und Christburg der Marienburg entgegen, überall vor sich her Schrecken verbreitend, ausgeplünderte und brennende Dörfer zurücklassend. Großer Jammer erhob sich im ganzen Lande.
17. VOR DEM STURM
Es war schon am Abend des dritten Tages nach seinem Ausmarsch, als der wackere Heinrich von Plauen mit seinem kleinen Heer in die Marienburg einrückte. Sein Herz war voll Trauer, als er hinaufsah zu den Zinnen und Türmen des herrlichen Hauses, die in den Strahlen der niedergehenden Sonne hellrot leuchteten, und der Schrecknisse gedachte, welche die nächsten Tage bringen mußten; aber sein Mut war ungebrochen. Sein erster Gang war nach der Marienkapelle. Dort dankte er Gott, daß er es ihm habe gelingen lassen, die Burg Marias noch vor Ankunft des Feindes zu erreichen.
Wenige Ritter fand er im Hause, meist nur die alten und gebrechlichen, die den Kriegszug nicht hatten mitmachen können, unter ihnen auch Wigand von Marburg. Dunkle Gerüchte von einer großen verlorenen Schlacht waren zu ihnen gedrungen und hatten sie in Bestürzung versetzt. Denn mit den Mitteln, die ihnen zu Gebote standen, war die Burg nicht einen Tag zu verteidigen. Nun erklärten sie sich bereit, ihre letzte Kraft daran zu setzen, den Feind von des Ordens Haupthaus abzuwehren.
Aber die Hoffnung war gering, in der kurzen Zeit, die voraussichtlich der König den Verteidigern lassen würde, auch nur die notdürftigste Ausrüstung zu besorgen. Nun zeigte sich's, wie Ulrichs von Jungingen ritterlicher Sinn nur an siegreiche Kämpfe im freien Felde gedacht, einen Rückzug aber ganz außer Rechnung gelassen hatte. Das meiste Geschütz, die besten Waffen hatte er mit sich genommen oder ins Feld nachkommen lassen; die Vorräte an Lebensmitteln reichten nur für die kleine Besatzung aus, die Wehrgänge standen leer. Als Plauen am nächsten Morgen die Burg besichtigte und sie so ganz unvorbereitet fand, beschlich ihn eine schmerzliche Ahnung, daß alles Mühen vergebens sein werde. Aber seine Begleiter merkten davon nichts; er trug den Kopf hoch und spähte mit scharfem Auge überall hinaus, wo zunächst zum Verteidigungswerke Hand anzulegen sein möchte, ob es nun mit Gottes Hilfe gelinge oder nicht.
Vor allem mußten Vorräte an Lebensmitteln und Waffen herangeschafft werden. So schickte er denn eiligst Boten nach den benachbarten Häusern und Außenhäfen des Gebiets, das sonst der Großkomtur verwaltete, und gab dorthin Befehle, Vieh und Pferde, Vorräte und Waffen, so viel man zusammenbringen könne, nach dem Haupthause zu schaffen. Bald setzten sich von allen Seiten die Zufuhren in Bewegung.
Auf dem Hofe zu Gorgke, über den der Pferdemarschall verfügte, wurden die Ställe geleert, so viel der Hochmeister zurückgelassen hatte. Auch im Karwan, von dem aus die Ackerwirtschaft betrieben wurde, fand sich ein verwendbarer Bestand. Gegenüber der Burg auf dem linken Ufer der Nogat lag der Kaldenhof, auf dem sonst der Kornmeister und Viehmeister große Bestände von Getreide und Vieh hielten.
Auch jetzt fehlte es nicht ganz daran. Von den reichen Bauern im Marienburger Werder wurde geliefert, was ihnen irgend entbehrlich war. Viele kamen mit ihrer ganzen fahrenden Habe angezogen, in der Burg Schutz zu suchen.
Auch nach Danzig schickte der rührige Komtur einen Brief an den ihm wohlbekannten Bürgermeister Konrad Letzkau, stellte des Haupthauses Not vor und bat um kräftige Unterstützung.
Der Gießmeister Ambrosius erhielt Auftrag, Tag und Nacht im Gießhause arbeiten zu lassen, damit an allerhand Geschoß kein Mangel sei. Auch sollte er die vorhandenen Bliden und Feuerstöcke in Stand setzen und in den Wallgängen unter den Zinnen an geeigneten Stellen postieren. Einiges Geschütz hatte der Komtur auch mitgebracht.
Besondere Sorge aber machte ihm die Stadt Marienburg. Sie lag zwar dicht unter dem Schloß und war mit Mauern umgeben, aber Plauen übersah leicht, daß es ihm mit seinen geringen Streitkräften unmöglich sein würde, Werke von so großem Umfange gegen eine so weit überlegene Macht zu verteidigen. Wenn der Feind aber die Stadt einnahm und sich in den Häusern festsetzte, mußte er der Burg äußerst gefährlich werden. Sie ließ sich dann auf dieser Seite auch bei heldenmutigster Verteidigung nicht halten. So entschloß er sich am ersten Tage zu einem Schritt, der sein Herz nicht wenig beschwerte und der doch unabwendbar war.
Er berief den Bürgermeister und die Ratmannen von Marienburg aufs Schloß und stellte ihnen seine Befürchtungen vor. Da scheint es besser, sagte er, ihr opfert freiwillig, was doch verloren ist. Räumt eiligst die Stadt, schafft Weib und Kind, Hausrat und Vorräte nach der Vorburg, die euch gastlich aufnehmen soll, und – werft den Feuerbrand in die Häuser, daß der Feind nur einen Haufen Asche finde. Hilft die Heilige Jungfrau dem Orden, daß er ihr Haus behaupte, so wird sie auch euch helfen, die Stadt schöner aufzubauen, und des Ordens Tresler wird eure Entschädigung nicht karg bemessen. Tut also, was die Not gebietet.
Da kehrten sie heim mit gesenkten Köpfen und traurigen Gesichtern. Aber sie sahen wohl ein, daß der Komtur recht hätte und zum Besten riet. So berief denn der Bürgermeister in diesem besonderen Falle nicht nur die Älterleute, sondern die gesamte Bürgerschaft vor das Rathaus und machte sie bekannt mit des Komturs Befehl. Es war ein großes Jammern und Wehklagen am Anfang in allen Häusern, aber bald überzeugten sich die Frauen, daß nur hinter den Mauern der Burg für ihre Kinder Sicherheit zu finden sei, und begannen Leinenzeug und Betten, Kleider und Geschirre in Kisten zu verpacken und durch die Männer aufs Schloß tragen oder mit ihren Ackerwagen abfahren zu lassen; erst wurde das Wertvollste ausgewählt und geborgen, dann – da der Feind länger als erwartet ausblieb – kam auch der größere Hausrat an die Reihe. Die Speicher wurden geleert, auch das Vieh fand in der Vorburg ein Unterkommen. Ununterbrochen Tag und Nacht bewegte sich ein Zug von lasttragenden Menschen und bepackten Fuhrwerken von den Stadttoren über den Burggraben. Nur die kahlen Wände der meist von Holz erbauten Häuser blieben stehen.
Von den Männern hatte jeder seinen Harnisch; so viele ihrer waren, so viele Verteidiger gewann die Burg.
Aber auch anderer Zuzug blieb nicht ganz aus. Manche kleine Schar hatte sich aus der Tannenberger Schlacht gerettet oder auf den Landstraßen gesammelt, Ritter und Knechte, Hauptleute und Söldner. Sie suchten dem Feinde nordwärts zu entkommen, und ein Teil von ihnen fand den Weg zur Marienburg, während ein anderer nach Elbing und Danzig verschlagen wurde. Mit Freuden wurden sie von Plauen empfangen, so traurig auch ihr Aussehen war. Da zog Herr Nikolaus