Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
geringe Würze der Freundschaft. Ein finsteres und stäts ernstes Wesen aber ist allerdings mit einer gewissen Würde verbunden; doch muß die Freundschaft zwangloser, freier, liebreicher und zu jeder Freundlichkeit und Gefälligkeit geneigter sein.
Ich lese zwar nach der Muthmaßung Madvig's in Opusc. II. p. 284 sq.: veterrima quaeque . . esse debet suavissima, halte aber mit M. Seyffert die Lesart der Handschriften: veterrima quaeque . . esse debent suavissima für richtig. Streng genommen, hätte also übersetzt werden müssen: gerade das Aelteste, nämlich in den Freundschaften, was sich aus dem Vorhergehenden leicht ergänzen laßt. Der abstrakte Ausdruck veterrima quaeque als Neutrum bildet einen Gegensatz zu dem folgenden novitates, d. i. das Neue, nämlich in den Freundschaften. muß uns wie die Weine, welche Jahre zählen, auch die lieblichste sein, und wahr ist das Sprüchwort 135: »Man muß zuvor viele Scheffel Salz mit einander essen, bis die Aufgabe der Freundschaft erfüllt ist«. 68. Neue Freundschaften aber, wenn sie zu Hoffnungen berechtigen, indem sich wie bei nicht täuschenden Saaten die Frucht zu erkennen gibt, sind allerdings nicht zu verschmähen; doch muß man die alte Freundschaft in der ihr gebührenden Stelle erhalten. Denn sehr groß ist die Macht des Alters und der Gewohnheit. Ja selbst schon beim Pferde, dessen ich so eben erwähnte, sehen wir, daß, wenn sonst Nichts im Wege steht, Jeder lieber das gebrauchen will, an das er gewohnt ist, als ein ungeschultes und neues. Und nicht bloß bei lebendigen Wesen, sondern auch in der leblosen Natur behauptet die Gewohnheit ihre Geltung, da wir sogar an Gegenden, selbst bergigen und waldigen 136, Gefallen finden, wenn wir uns in denselben lange aufgehalten haben.
69. Aber höchst wichtig in der Freundschaft ist es, daß der Höhere sich dem Niedrigen gleich stellt 137, Denn es gibt oft hervorstechende Persönlichkeiten, wie die des Scipio in unserem Kreise war. Nie zog sich dieser dem Philus 138, nie dem Rupilius 139, nie dem Mummius 140, nie seinen Freunden niedrigen Ranges vor. Ja seinen Bruder Quintus Maximus 141, einen allerdings ausgezeichneten, aber ihm keineswegs gleichen Mann, ehrte er, weil er älter war, wie einen Höheren, und so wünschte er, daß seine Angehörigen durch ihn zu höherem Ansehen gelangten. Dieß sollten Alle thun und nachahmen. [70.] Wenn sie daher Vorzüge der Tugend, des Geistes und der äußeren Lage erlangt haben, so mögen sie diese den Ihrigen zu Gute kommen lassen und ihren nächsten Angehörigen mittheilen, so daß, wenn sie von niedrigen Aeltern abstammen, wenn sie Verwandte von schwächerem Geiste oder geringeren Glücksgütern haben, sie deren Vermögensumstände verbessern und ihnen zu Ehren und Ansehen verhelfen, wie wir dieß in den Schauspielen sehen, wo die, welche wegen der Unkenntniß ihres Namens und Geschlechtes einige Zeit lang in Dienstbarkeit lebten, aber selbst nach Entdeckung ihres Ursprunges von Göttern oder Königen dennoch ihrer Liebe gegen die Hirten treu bleiben, die sie viele Jahre für ihre Väter gehalten hatten 142. Und dieß muß man in ungleich höherem Grade bei wirklichen und rechtmäßigen Vätern thun. Denn dann genießt man von seiner Geisteskraft, Tugend und jedem Vorzuge die größten Früchte, wenn man sie denen zuwendet, die uns am Nächsten stehen.
XX. 71. Sowie also diejenigen, welche in dem engeren Verhältnisse der Freundschaft oder Verwandtschaft höher stehen, sich den Niedrigeren völlig gleichstellen müssen; ebenso dürfen sich auch die Niedrigeren nicht verletzt fühlen, wenn sie von den Ihrigen an Geisteskraft, Glück oder Würde übertroffen werden. Aber die Meisten von ihnen haben immer Klage zu führen oder wol gar Vorwürfe zu machen, und zwar um so mehr, wenn sie meinen Fälle anführen zu können, wo sie dienstfertig und freundschaftlich und zum Theil mit eigener Anstrengung gehandelt hatten: wahrlich eine verhaßte Gattung von Menschen, die Anderen ihre Dienstleistungen vorwerfen, deren nur der gedenken soll, dem sie erwiesen wurden, die aber nicht der erwähnen darf, der sie erwies.
72. Sowie sich also die höher Stehenden in der Freundschaft herablassen müssen, ebenso müssen sich die Niedrigeren gewissermaßen erheben. Denn Manche machen die Freundschaft dadurch lästig, daß sie sich zurückgesetzt meinen, was nicht leicht stattfindet, außer bei denen, die auch wirklich Zurücksetzung zu verdienen glauben. Diese muß man von einem solchen Wahne nicht bloß durch Worte, sondern auch durch die That befreien.
73. Man muß aber einem Jeden so Viel zutheilen, als man erstens selbst zu leisten vermag, sodann auch, so Viel der, den man liebt und unterstützt, zu ertragen vermag. Denn man kann nicht, so sehr man auch hervorragt, alle die Seinigen zu den höchsten Ehrenstellen befördern. So konnte Scipio dem Publius Rupilius 143 das Consulat verschaffen, aber dessen Bruder Lucius nicht. Und wäre man auch im Stande dem Anderen alles Mögliche zuzuwenden, so muß man doch sehen, was er zu ertragen vermag.
74. Ueberhaupt darf man über Freundschaften erst dann urtheilen, wenn die Geistesanlagen und das Alter die gehörige Stärke und Festigkeit erlangt haben, und wer zum Beispiel in der Jugend Liebhaber der Jagd oder des Ballspieles war, muß sich darum nicht an diejenigen gebunden glauben, die er damals wegen derselben Neigung liebte. – Nach diesem Maßstabe würden ja die Ammen und Kindererzieher 144 nach dem Rechte des Alters die nächsten Ansprüche auf unser Wohlwollen machen können. Allerdings sind diese nicht gering zu schätzen. Aber die Liebe zum Freunde muß doch anders beschaffen sein 145. – Im entgegengesetzten Falle 146 können Freundschaften auf die Dauer nicht bestehen. Denn Ungleichheit des Charakters hat auch ungleiche Neigungen zur Folge, deren Unähnlichkeit die Freundschaften trennt. Und aus keiner anderen Ursache können Gute den Bösen und Böse den Guten nicht befreundet sein, als weil zwischen ihnen der möglichst größte Abstand des Charakters und der Neigungen herrscht.
75. Mit Recht kann man auch bei Freundschaften die Vorschrift geben, daß nicht übertriebenes Wohlwollen – was sehr oft geschieht – wesentlichen Vortheilen der Freundschaft hinderlich sei. Denn sowie Neoptolemus 147 – um wieder zu den Schauspielen zurückzukehren – Troja nicht hätte einnehmen können, wenn er dem Lykomedes, bei dem er erzogen worden war, hätte Gehör schenken wollen, als er ihn unter vielen Thränen von seiner Abreise abzuhalten suchte. So treten oft wichtige Vorfälle ein, wo man sich von seinen Freunden trennen muß. Wer diese nun, weil er die Sehnsucht nach dem Freunde nicht leicht zu ertragen meint, hintertreiben will, der ist schwach und weichlich von Natur und gerade aus diesem Grunde zu wenig gerecht in der Freundschaft. Und so muß man bei jeder Angelegenheit erwägen, was man von dem Freunde fordern und was man seinen Forderungen gewähren darf.
XXI. 76. Es tritt bisweilen auch ein unvermeidliches Mißgeschick ein, daß man Freundschaften aufgeben muß. Schon gleitet nämlich unser Vortrag von den vertrauten Verbindungen der Weisen zu den gewöhnlichen Freundschaften herab. Es brechen oft Fehler an den Freunden bald gegen ihre eigenen Freunde hervor, deren Schimpf jedoch nicht auf die Freunde zurückfällt. Solche Freundschaften muß man durch allmähliche Verminderung des Umganges auflösen und nach Cato's Ausspruche mehr auftrennen als zerreißen; es müßte denn eine ganz unerträgliche Kränkung in volle Flamme ausgebrochen sein 148, so daß es weder vernünftig noch sittlich gut noch überhaupt möglich wäre nicht sogleich eine Entfremdung und Trennung eintreten zu lassen.
77. Ist aber eine Veränderung in dem Charakter und den Neigungen, wie es zu geschehen pflegt, erfolgt, oder