Gesammelte Werke: Science-Fiction-Romane + Abenteuerromane + Erzählungen. Dominik Hans
auch mitmachen?«
»Was für einen Ausflug, Baronin?«
»Ah, Sie wissen von nichts… Wir alle wollten morgen einen Ausflug in die baskischen Berge machen zu dem berühmten Schäfer Arriava.«
»Schäfer? Arriava? Nie gehört. Was ist mit dem?«
»Nun, der Mann ist doch bekannt durch seine prophetische Gabe.«
Iversen zuckte die Achseln und verzog den Mund.
»Gnädigste Baronin, sind Sie auch sicher, daß seine Prophezeiungen nicht post festum kommen?«
»O nein, Sie irren, Herr von Iversen. Der Mann, das steht fest, hat des öfteren anderen gegenüber von der Zukunft gesprochen, die ihm in Träumen sich offenbart.«
»Und die Träume sind auch richtig in Erfüllung gegangen?! Das noch am Ende des 20. Jahrhunderts!«
»Lachen Sie nicht zu früh, Herr von Iversen. Vielleicht, daß Ihre Ungläubigkeit schneller bekehrt wird, als Sie denken.«
»Selbstverständlich, ich werde mitkommen. Wäre es auch nur, um einen schönen Stoff für einen Zeitungsbericht zu haben.«
Am 18. August brachten die europäischen Zeitungen an hervorragender Stelle die folgende Nachricht:
Bern, den 17. August. Heute vormittag um 11:30 Uhr begab sich der maurische Geschäftsträger zum Minister des Äußeren und übergab dem Minister die nachstehende Note:
Die Regierung Seiner scherifischen Majestät lehnt es ab, der Einladung zu einer neuen Versammlung der römischen Konferenz Folge zu leisten. Nach dem bisherigen Verlauf dieser Verhandlungen kann die Regierung Seiner scherifischen Majestät nicht zu der Überzeugung gelangen, daß die Wiederaufnahme zu einem glücklichen Resultat führt.
Sie kann sich der Ansicht nicht verschließen, daß auf europäischer Seite der ernsthafte Wille fehlt, den Verhandlungen einen Abschluß zu geben, der die völlige Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten gestattet.
Die offizielle Telegrafenagentur meldet hierzu eine Stunde später:
Die Erklärung Mauretaniens kommt der europäischen Staatsregierung völlig überraschend. Die europäische Regierung wird nicht verfehlen, bei der mauretanischen Regierung Aufklärung zu fordern. Es erscheint der europäischen Staatsregierung undenkbar, daß die mauretanische Regierung damit die ständige Besetzung Nordspaniens oder gar die Annexion aussprechen will.
Kurz vor Schluß der Redaktion ging folgendes Manuskript der Telegrafenagentur ein:
Die Notiz eines hiesigen Mittagsblattes, daß die so plötzlich veränderte Sprache der scherifischen Regierung aller Wahrscheinlichkeit nach darauf zurückzuführen sei, daß der Apparat von maurischer Seite geraubt sei und sich im Besitz der maurischen Regierung befindet, dürfte jeder Begründung entbehren.
Am nächsten Tag ein neues Telegramm der offiziellen Agentur:
Die gestrige Abendmeldung der Agentur ist leider durch einenÜbertragungsfehler entstellt worden. Die Erklärung der Agentur lautet natürlich:
Die Behauptung, daß der englische Apparat in maurischer Hand sei, entbehrt jeder Begründung.
Der starke Kraftwagen Harders rollte die Landstraße entlang, die von Bayonne aus dem Laufe der Nive folgt. In hundert Windungen und Krümmungen eilt der reißende Bergstrom zu Tale, bis er dicht bei Biarritz das Meer erreicht. Bald zu seiner Rechten, bald zu seiner Linken, ihn oft auf kühnen Brückenbogen überschreitend, dringt die Straße in das Gebiet der Hochpyrenäen ein. Majestätische Berge zu beiden Seiten des Weges. Die Gipfel schon stellenweise mit ewigem Schnee bedeckt. Tief unten im Tal grünglasig schimmernd die wirbelnden Wasser der Nive. Über dem Ganzen der Azurhimmel Südfrankreichs. Bezaubernd die Landschaft, verlockend die Fahrt.
Im breiten Fond des Wagens Mette Harder. Zu ihrer Rechten Modeste von Karsküll. Auf den Vordersitzen Harder und Iversen.
Enger wurde jetzt das Tal. Steiler und schroffer traten die Gebirge zusammen, in schäumenden Kaskaden stürzten die Wasser der Nive über gewaltige Felsblöcke.
Iversen warf einen Blick auf die Uhr.
»Noch etwa zehn Minuten, Herr Harder, dann dürften wir am Ziele sein. Ich bin neugierig, was der Wundermann uns erzählen wird.«
Harder kräuselte spöttisch die Lippen.
»Dieser Besuch ist eine Laune meiner Tochter, Herr von Iversen. Noch genauer gesagt, eine Idee der Baronin von Karsküll. Die Baronin machte zuerst den Vorschlag. Sie erzählte so viel von dem Wundermann, bis auch Mette ihn durchaus kennenlernen wollte. Und als sie mich dann endlich breitgeschlagen hatten, als der Ausflug beschlossen war und der Wagen vor der Tür stand, hielt sie ein wichtiges Telegramm in Biarritz zurück. Erbschaftsangelegenheiten, wenn ich richtig verstand. Die beiden anderen Damen wollten den Ausflug nicht aufgeben. Meinetwegen. Ich für meine Person habe für diese modernen Propheten und Wundertäter sehr wenig übrig.«
Iversen zog ein Zeitungspapier hervor.
»Es kann doch ganz interessant werden, Herr Harder. Haben Sie den letzten Aufsatz im Miroir de Bayonne gesehen?«
Er faltete das Blatt auseinander und deutete auf eine fettgedruckte Überschrift: Arriava, der wunderbare Seher von St. Jean le Miracle.
Harder lachte.
»Warum schreiben sie nicht lieber der wunderbare Schäfer. Ich habe es mir in Biarritz sagen lassen. Es ist ein alter verschrumpfter Baske, der hier oben in der Nähe von St. Jean seine Schafe hütet und daneben den Leuten allerlei unkontrollierbare Sachen erzählt.«
Iversen gab seiner abweichenden Meinung Ausdruck.
»Ich glaube, Herr Harder, so einfach läßt sich die Sache doch nicht abtun. Der Aufsatz hier führt eine Reihe von Fällen an, in denen die Prophezeiungen des Mannes ganz merkwürdig eingetroffen sind.«
»Mir fehlt der Sinn für solche Dinge, Iversen. Das zweite Gesicht. In meiner westfälischen Heimat spukt das schon immer.«
Er machte eine abweisende Handbewegung. Iversen lachte.
»Warten wir es ab, Herr Harder, vielleicht gelingt es dem Sieur Arriava, Sie zu bekehren.«
Nach einer letzten steilen Serpentine erreichte der Wagen St. Jean und hielt auf einem kleinen Platz zwischen den wenigen Häusern des Fleckens.
Ein Eingeborener wies ihnen den Weg, einen schmalen, steinigen Fußpfad den Berghang hinan. Sie mußten hintereinander gehen, sorgfältig auf den Weg achten, um nicht fehlzutreten. Dazu die Hitze des Augusttages, öfter als einmal blieb Harder stehen und trocknete sich die Stirn. Jetzt endlich war das Ziel erreicht. Eine ärmliche Hütte, roh aus aufeinandergeschichteten Feldsteinen errichtet. Ein fließender Brunnen daneben, der seinen Strahl in eine steinerne Tränke fallen ließ. Weidende Schafe an den Hängen. Ein Hund, der sie umsprang.
Auf der Bank vor der Hütte ein steinalter Mann. Bastsandalen an den Füßen, die Unterschenkel mit Fellen und Riemen umschnürt, den breiten baskischen Hut auf dem Kopf, einen verwitterten ausgeblichenen Mantel trotz Sommerhitze um die Schultern.
Iversen trat näher und grüßte in französischer Sprache. Regungslos, wie geistesabwesend blieb der Alte sitzen. Nur ein paar unverständliche baskische Worte kamen von seinen Lippen. Harder zuckte die Achseln.
»Unsere Expedition läßt sich nicht sehr aussichtsvoll an, Iversen.«
Noch bevor Iversen antworten konnte, trat ein jüngerer Mann aus der Hütte. Auch er in der Hirtentracht der Basken. Der sprach ein erträgliches, wenn auch mit zahlreichen baskischen Worten gemischtes Französisch.
»Sie wünschen zu hören, was Arriava Ihnen zu sagen hat. Sie müssen einzeln an ihn herantreten, ihm in die Augen sehen…«
Wer sollte der erste sein, der es unternahm? Ein Streit erhob sich in der Gesellschaft. Keiner wollte. Iversen versuchte ihn zu schlichten.
»Die