1870/71. Tobias Arand

1870/71 - Tobias Arand


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›Kreuzzeitung‹ am 8. Juli darüber, »[…] in welcher thörichten Weise die Pariser officiösen Blätter ihre Verstimmung über die spanische Throncandidatur kundgeben, und wie sie ihre Leser förmlich mit Märchen füttern […]«57. Allerdings vermutet das Blatt ganz zutreffend eine tiefere Absicht: »Dem Kaiserthum kommt die plötzliche Aufstellung der Hohenzollern-Candidatur für den spanischen Thron so gelegen, daß man schon anfängt, die Achseln zu zucken über die maßlos empfindliche Sprache der Regierungsblätter.«58 In den Pariser Zeitungen werden aber nicht nur Vorwürfe gegen Preußen erhoben, auch Forderungen für eine Besänftigung des französischen Zorns werden laut. So schreibt der traditionsreiche ›Moniteur universel‹ am 8. Juli: »Die Frage muß erweitert werden. Das wenigste was uns heute befriedigen kann, wäre die Freiheit der süddeutschen Staaten, die Räumung der Festung Mainz, das Aufgeben jedes militärischen Einflusses jenseits des Mains […].«59 Über die Folgen der Pressearbeit Gramonts kann sich der Pariskorrespondent der ›Kreuzzeitung‹ nur wundern: »Die ganze Wuth ist los, der verhaltene Groll gegen Preußen, der Haß gegen Bismarck, das Alles ist entfesselt; die Blätter läuten Sturm […] während die eigentlichen Säbelrasseler jede Zurückhaltung abgeworfen haben und keinen Preußen mehr ansehen können, ohne herausfordernd die Schnurrbartspitze aufwärts zu drehen. […] Und doch geht die ganze Regierungspresse heute mit einer Wuth gegen Preußen, die durch nichts gerechtfertigt ist. Auch zeigt sie sich ganz schlecht unterrichtet dabei. Zuerst ist der Erbprinz von Hohenzollern gar kein preußischer Prinz […]. Aber mit Tobenden ist nicht zu streiten; ich kann diese Verhältnisse so oft auseinandersetzen wie ich will, es bleibt bei der Bismarckschen Intrigue!«60 Mit einer Rede, die Gramont am 6. Juli 1870 in der gesetzgebenden Kammer hält, heizt der Außenminister die Stimmung gezielt auf. Zuvor hat der Ministerrat eine passende »Konfliktstrategie«61 entwickelt. Er macht die spanische Thronfolge zu einer Frage der nationalen Ehre: »Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten eines Nachbarvolks uns zu dulden verpflichtet, daß eine fremde Macht, indem sie einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setzt, dadurch zu ihrem Vorteil das gegenwärtige Gleichgewicht der Mächte Europas derangieren und so die Interessen und die Ehre Frankreichs gefährden darf.«62 Die Folgen dieser Rede kommentiert die ›Kreuzzeitung‹ spitzzüngig: »Was sich jetzt hier ereignet, muß Ihnen in der Ferne ganz unglaublich scheinen; ich sehe und höre es mit eigenen Augen und kanns kaum glauben. Ists die entsetzliche Hitze, die verwirrend wirkt, mir ists zuweilen, als hätte ich nur Trunkene vor mir! Die Regierung des Volkskaisers ist empört, daß sich Spanien durch Volkswahl einen König geben will, der ihr nicht zu passen scheint! Man schreit über den preußischen Prinzen, aber Prinz Leopold ist kein preußischer Prinz! […] der Herzog von Gramont führte gestern in der Kammer eine so hohe Sprache, daß man wirklich einen verborgenen Grund annehmen muß; denn das, was geschehen ist, kann solchen Ton nicht rechtfertigen.«63 Die ›National-Zeitung‹, Organ der Nationalliberalen, zweifelt fassungslos am Verstand der Franzosen: »Dieses Volk, welches sich so gern der aufgeklärtesten, modernsten Anschauungen rühmt, welches täglich die Volkssouveränität im Mund führt, verirrt sich hier bei der spanischen Thronfrage in den Anschauungen und den Aberglauben der zopfigsten Diplomatie. Da wird von Karl V. gefaselt, von der Wiederherstellung seines Weltreichs, von der Störung des europäischen Gleichgewichts, von der Umschnürung und Erdrückung Frankreichs – und alles das aus keinem weiteren Anlaß, als daß die Rede ist von der Berufung eines geborenen Deutschen auf den spanischen Thron. Leuten, die dergleichen vorbringen, kann es doch nicht von Ferne ernst sein mit ihrem sonstigen demokratischen Wortkram.«64 Gramonts wegweisende Rede vom 6. Juli ist für die ›National-Zeitung‹ nur Ausdruck »der hysterischen Beschaffenheit des französischen Nationaltemperaments, von der wir in den letzten Jahren so häufige Beweise erhielten«65. Bedenkt man die Selbstverständlichkeit, mit der Frankreich noch wenige Jahre zuvor glaubte, der mexikanischen Republik einen österreichischen Prinzen als Kaiser aufdrängen zu dürfen, muss unabhängigen Zeitgenossen die Empörung in Paris in der Tat reichlich heuchlerisch und aufgesetzt erschienen sein.

      Bereits am 7. Juli 1870 bereitet Gramont den Krieg vor. An Benedetti geht schriftlich die Mahnung, vom preußischen König eine rasche Antwort zu erhalten: »Wir sind sehr in Eile, weil es einen Vorsprung zu gewinnen gilt für den Fall einer unbefriedigenden Antwort, da ab Samstag die Truppenbewegungen einzuleiten sind, um in 14 Tagen in den Krieg einzutreten […].«66

      König Wilhelm von Preußen ist über die Situation sehr verärgert und denkt nicht daran, Gramont willfährig zu sein. Den Vorwurf Gramonts, er habe die Kandidatur Leopolds betrieben und die sich daraus ableitende Forderung, er müsse diesen nun davon abbringen, bringt den ehrfixierten Wilhelm in Rage. Weder hat er Leopold bei der Annahme Druck gemacht, noch sieht er es als seine Aufgabe, bei der Ablehnung Druck auszuüben. Die Erfüllung der Forderungen Gramonts hält er für weit unter der Würde eines Königs von Preußen. Allerdings durchschaut er das Ganze nicht, zürnt zudem Bismarck und will auf keinen Fall Grund für einen weiteren Krieg sein. Am 8. Juli äußert sich der König in einem Gespräch mit dem preußischen Militärattaché in Paris, Alfred Graf von Waldersee, erregt: »Wir befinden uns mit einem Male inmitten einer sehr ernsten Situation […]. Ich verdanke das jedenfalls Bismarck, der die Sache auf die leichte Achsel genommen hat, wie schon so manch andere. Zunächst kann ich mich gar nicht dareinmischen, ich halte meinen anfänglichen und korrekten Standpunkt fest. […] Niemals habe ich mit jemandem direkt oder offiziell verhandelt und mich auch zu nichts verpflichtet. Ich kann die französische Regierung nur an den Fürsten Hohenzollern weisen und werde auf diesen keinerlei Einfluß ausüben […]. Daß ich in meinem hohen Alter nicht den Wunsch habe, noch einen so großen Krieg zu führen und so ernste Verwicklungen nicht leichtfertig herbeigeführt habe, das wird die Welt mir wohl glauben.«67 Auch der preußische Botschafter in Paris, Karl Freiherr von Werther, der mit Gramont auf gutem Fuß steht und die spanische Thronkandidatur offen für einen Fehler hält, warnt den französischen Außenminister vor der Wut seines Königs. Als Gramont Werther am 12. Juli bittet, König Wilhelm um ein Schreiben anzugehen, in dem dieser versichert, nie etwas gegen Frankreichs Interessen geplant zu haben, bekommt er einen deutlichen Hinweis auf die Stimmung des alten Königs. Werther berichtet Wilhelm schriftlich von seinem Gespräch mit Gramont: »Ich habe den Herzog von Gramont bemerkt, daß ein solcher Schritt ungemein durch seine am 6. des Monats in der Deputiertenkammer gegebene Erklärung erschwert würde; es kämen da Andeutungen vor, die E[ure] K[önigliche] M[ajestät] hätten tief beleidigen müssen.«68 Daneben drängt Werther, zum Ärger Bismarcks, den König, alles für den Erhalt des Friedens zu tun.

      Mittlerweile hat man auch in Madrid verstanden, in was für ein Spiel man da geraten ist. Nun wünscht man ebenfalls dort den Verzicht Leopolds. Gramonts Weisungen an Benedetti in Bad Ems werden indessen immer drängender. Der Herzog will den Krieg vorbereitet haben, bevor Preußen so weit ist. Am 10. Juli schreibt er an Benedetti: »Sie müssen alle Ihre Kräfte einsetzen, um eine entschiedene Antwort zu erhalten; denn wir können nicht warten angesichts der Gefahr, daß Preußen unseren Vorbereitungen zuvorkommt. Der Tag darf nicht zu Ende gehen, ohne daß wir beginnen. Ich weiß aus sicherer Quelle, daß in Madrid der Regent den Verzicht des Prinzen von Hohenzollern wünscht.«69 Ebenfalls am 10. Juli sendet König Wilhelm an Karl Anton dann doch die verklausulierte Bitte, Leopold zum Verzicht zu bewegen. Der König wünscht ehrlichen Herzens keinen Krieg: »Die Kriegsrüstungen im größten Maßstabe in Frankreich sind im Gange, wie Du sehen wirst. Die Lage ist also mehr wie ernst. Ebensowenig wie ich Deinem Sohn meinen Befehl zur Annahme der Krone geben konnte, kann ich jetzt meinen Befehl zur Zurücknahme seines Entschlusses geben. Faßt er diesen Entschluss jedoch, so wird mein ›Einverstanden‹ wiederum nicht fehlen. – Das Französische Ministerium (ob der Kaiser, ist mir unklar) vor allem Gramont will den Krieg und hat es ausgesprochen, daß Spanien hors de ligne, nur Preußen soll bekriegt werden. Es grenzt an Wahnsinn […].«70 An seine Frau schreibt der König am 11. Juli: »Gott gebe, daß die Hohenzollern ein Einsehen haben.«71

      Am 12. Juli erklärt Karl Anton für seinen Sohn den Verzicht auf den spanischen Thron. Leopold ist gerade auf einer Wandertour in den Alpen und mitten in der größten Krise des Kontinents, die sich schließlich um seine Person dreht, nicht erreichbar! König Wilhelm schreibt der Königin Augusta: »Mir ist ein Stein vom Herzen!«72

      Mit


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