In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber. Augustin Wibbelt

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt


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an der Scheibe.

      Ich erhob mich von meinem Strohsack, um diese kuriose Sache etwas näher zu untersuchen.

      Der Mond nickte mir freundlich zu und sagte: »Schönen guten Abend! Eigentlich sollte ich sagen gute Nacht, denn es hat schon zwölf geschlagen.«

      Ich war etwas verblüfft, denn ich hatte den Mond noch nie so nahe gesehen. »Guter Mond«, stotterte ich, »was willst du hier?«

      Er kniff ein Auge zu und antwortete: »Ach, Waldbruder, es wurde mir so langweilig da oben. Mit den Sternen kann sich ein vernünftiger Mann nicht unterhalten, sie sind so klein und schwätzen lauter kindisches Zeug. Komm, wir wollen einen Spaziergang zusammen machen.«

      Es war eine stille, wunderwarme Nacht, und da mir der Schlaf doch vergangen war, sagte ich gern zu. Ich sah, dass der Mond ein paar große, schwarze Flecken im Gesicht hatte, und fragte, ob er sich vielleicht erst das Gesicht waschen wolle.

      Er zog die Stirn kraus: »Warum?«

      »Oh, ich dachte nur so«, sagte ich, »weil du ein klein bisschen schmutzig bist.«

      »Einbildung!«, schnarrte er, »pure Einbildung! Es sind bloß Schatten. Übrigens bin ich viel sauberer rasiert als du mit deinem wirren Barte.«

      »Das mag wohl stimmen«, begütigte ich ihn und trat ins Freie.

      Ei, wie hell war es draußen! Und wie fein war der Mond mit seinem silbernen Mantel! Ich schämte mich fast mit meiner rauen, groben Kutte. Aber er war gar nicht stolz, sondern nahm mich vertraulich am Arm und spazierte mit mir den Waldweg hinunter. Die Bäume glotzten uns verwundert nach, und Herr Hase, der uns gerade entgegenkam, schlug zwei Purzelbäume hintereinander.

      »Du hast aber eine weite Reise gemacht«, sagte ich.

      Der Mond lächelte. »Das geht ganz schnell«, belehrte er mich, »ich bin einfach die Milchstraße heruntergefahren, und am Ende brauchte ich nur noch einen Katzensprung zu machen bis in den nächsten Baum. Ich habe es drollig getroffen, denn ich bin gerade in das Nest des alten Bussard gesprungen.«

      Ich meinte, da würde der alte Herr wohl sehr zornig geworden sein. Herr Bussard hat nämlich Generalsrang und lässt nicht mit sich spaßen.

      »Ach«, lachte der Mond, »der Herr General war nicht zu Hause, aber die Frau General hat mir gründlich den Marsch geblasen. Schau mich mal an! Siehst du nichts?«

      Da sah ich, dass er ein schiefes Gesicht hatte, die linke Backe war geschwollen.

      »Da hat sie mir eine Ohrfeige hingefegt«, lachte der Mond, »aber das macht nichts. Vornehmen Damen muss man schon etwas zugutehalten.«

      Unterdessen waren wir auf eine Lichtung hinausgetreten und setzten uns auf einem Baumstamm nieder. Mein Begleiter ließ seinen ganzen Mondschein über die Fläche gleiten, es war fast taghell.

      »Gib Acht«, flüsterte er, »gleich kommt er. Wir wollen ihn mal belauern.«

      »Wer kommt?«, fragte ich.

      »Still – Reineke!«, war die Antwort, »er hat nebenan seinen Bau.«

      Richtig, da kam der alte, rote Fuchs langsam und vorsichtig, spähend und witternd auf die Lichtung geschlichen. Er schnüffelte bedenklich nach uns herüber, beruhigte sich aber und fing an zu kichern. Auf dies Zeichen kam die Frau Füchsin mit einer braunen Haube und drei jungen Füchslein. Zwei trugen die ersten Höslein, eins hatte noch ein Kleidchen an, aus dem hinten das Schwänzlein drollig hervor sah. Die beiden Alten setzten sich auf einen Baumstumpf, Mutter Füchsin zog einen Strickstrumpf hervor, und Papa Fuchs zündete sich ein Stummelpfeifchen an. Die Jungen sprangen und tollten herum wie die Affen.

      Wir schwiegen mäuschenstille. Da fing der alte Fuchs an zu plaudern. »Mutter«, sagte er, »ich bin die Mäuse jetzt gründlich satt. Es ist kein gutes Fressen für einen ordentlichen Fuchs. Du musst besser kochen.«

      Frau Füchsin kratzte sich mit der Stricknadel unter der Haube und sagte: »Dann schaff mir etwas Besseres in die Küche. Übrigens, vorgestern haben wir doch noch ein junges Feldhuhn gehabt, das war delikat.«

      Papa Fuchs spuckte aus: »Ich habe bloß ein paar Knochen davon bekommen. Du steckst alles den kleinen Bälgern ins Maul.«

      »Wie kannst du so sprechen?«, rief die Füchsin, »die lieben Kleinen wollen doch auch leben.«

      Papa Fuchs zog einige dicke Rauchwolken aus seinem Stummel.

      »Mutter«, fing er nach einer Weile wieder an, »ich probiere es wieder auf dem Weidenhofe. Da ist ein Brett lose am Hühnerstall, und ich denke, die Küken sind jetzt gut herangewachsen und stichfett.« Er schmatzte ordentlich vor Lust.

      »Nimm dich in Acht vor dem bösen Hund«, warnte Frau Füchsin.

      »Oh, der liegt an einer Kette«, grinste der Rote und zeigte dabei alle seine weißen Zähne.

      Frau Füchsin schaute sich unruhig um: »Was ist dahinten los?«

      Der Fuchs stand auf und schaute gespannt herüber. »Hat nichts zu sagen«, sagte er dann, »das verrückte Volk treibt wieder sein Unwesen.«

      »Wer?«, fragte die Füchsin. »Ach – die Elfen!«, murrte er.

      Da sah ich ein merkwürdiges Schauspiel. Erst meinte ich, ein weißer Nebelstreif schwebe über der Lichtung, aber bald erkannte ich lustige Frauengestalten in langen Schleiern. Sie hielten sich an der Hand und tanzten einen seltsamen Reigen, und ich vergaß alles im Zuschauen. So wunderschön war es.

      Als ich wieder zu mir kam, war die Fuchsfamilie verschwunden, und der Mond – wo war der Mond? Der stand wahrhaftig oben hoch am Himmel. Ich schlich in meine Klause zurück.

      Klagen

      Ach, es geht böse zu in der Welt. Der Große frisst den Kleinen, und der Schlaue übertölpelt den Dummen. Wenn ich euch so vor mir sitzen sehe, schaut ihr alle aus wie die liebe Unschuld selbst. Ausgenommen der Peter dahinten, der hat es jetzt schon hinter den Ohren, faustdick! Aber ihr seid doch noch unverdorben. Werdet ihr so bleiben, oder werdet ihr später teilnehmen an der allgemeinen Spitzbüberei? Hier im Walde ist auch nicht alles, wie es sein sollte. Reineke treibt es je länger, je ärger, und die Klagen mehren sich von Tag zu Tag.

      Gestern war ich in meinem Gärtchen beschäftigt mit schwerer Arbeit. Ich will es nämlich etwas vergrößern, und da musste ich einige dicke Baumstämme ausroden. Der Schweiß lief mir in Strömen von der Stirne herunter, aber das tut nichts, das ist gesund. Als ich mich einmal aufrichtete, um ein wenig zu verschnaufen, schaute Frau Häsin über den Zaun.

      »Gott helfe Euch«, rief sie mir zu; sie ist eine fromme Frau.

      »Gott lohne es!«, erwiderte ich, wie es sich gehört, und dann gab ein Wort das andere. Frau Häsin lobte meinen Fleiß und empfahl mir, auf dem neugewonnen Stück Garten nächsten Herbst Braunkohl zu pflanzen. »Dann hat man etwas für den Winter«, sagte sie und dachte dabei wohl besonders an sich selbst. Nun, ich habe nichts dagegen, wenn die Hasenfamilie von meinem Kohl mitisst. Man muss leben und leben lassen. Darauf machte Frau Häsin ein betrübtes Gesicht, schlug die Ohren nieder, kreuzte die Pfoten über der Brust und fing ein langes Lamento an.

      »Waldbruder«, klagte sie, »es ist nicht mehr zum Aushalten mit dem roten Räuber, er stört den ganzen Waldfrieden.«

      »Meint Ihr den Reineke, Frau Häsin?«, fragte ich, »und was hat er denn wieder verbrochen?«

      »Ach, Waldbruder!« Sie wischte sich mit beiden Pfoten die Tränen aus den Augen. »Er hat meinen Jüngsten verzehrt – rein aufgefressen hat er ihn. Und es war ein so liebes Kerlchen und konnte so putzige Männchen machen. Ach, wie hat er gequäkt, als Reineke ihn beim Wickel hatte. Aber es half ihm nichts.« Ich schalt wacker auf den Bösewicht und ließ mich auf den Baumstumpf nieder. Denn ich merkte, dass die gute Frau noch mehr auf dem Herzen hatte.

      »Das ist nicht seine einzige Untat«, fing sie wieder an. »Einmal könnte man ja ein Auge zudrücken, denn wir sind


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