In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber. Augustin Wibbelt

In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber - Augustin Wibbelt


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einen freundnachbarlichen Besuch an. Er wolle sich den neuen Bau einmal ansehen, weil er selbst auch neu bauen müsse; Vetter Kaninchen sei so geschickt, dass jeder von ihm lernen könne. Mein guter Vetter ist etwas dumm und eitel. Er ließ den falschen Reineke ein und stellte ihm seine ganze Familie vor und machte noch viele Komplimente dabei. Das Ende vom Lied war, dass der Räuber zwei Kaninchenkinder tot biss und wegschleppte. Es waren gerade die fettesten von allen, so niedliche Bübchen, wenn sie auch nicht besonders begabt waren. Die Dummheit ist erblich in der Familie, während bei uns das Gegenteil der Fall ist. Denkt Euch, zwei auf einmal und dann so ein Hausfriedensbruch!«

      Frau Häsin trommelte mit beiden Pfoten auf den Gartenzaun und sträubte zornig ihren Schnurrbart. In demselben Augenblick duckte sie sich und machte einen Hopser rückwärts, denn es ließ sich ein Geräusch vernehmen. Es war aber bloß mein Küster, Meister Kuckuck, der sich auf den Zaun schwang und wie verrückt schrie.

      »Was ist denn wieder los?«, fragte ich.

      »Der Reineke«, rief der Kuckuck, »der Dieb, der Räuber, der Schuft, er ist bei der gnädigen Frau Fasan eingebrochen und hat ihr das ganze Gelege weggeholt – sechs schöne Eier! Ich freue mich, dass nicht zufällig eins von mir dabei war.«

      Ihr wisst, dass der Kuckuck seine Eier immer bei anderen Leuten unterbringt. Ich habe ihm schon oft gesagt, er solle sich doch selbst ein Haus bauen, aber er ist ein Faulpelz und macht es sich gern bequem.

      »Die gnädige Frau ist ganz untröstlich«, fuhr er fort, »sie will fortziehen aus dem Walde, und das wäre schade, sie ist die vornehmste Person und gibt auch immer ein anständiges Trinkgeld, wenn sie taufen lässt.«

      Frau Häsin war wieder hochgekommen und lehnte sich auf den Gartenzaun. »Waldbruder«, sagte sie, »Ihr müsst für Ordnung sorgen, so geht es nicht weiter. Wir hatten früher einen Waldbruder mit einem Schießgewehr. Es knallte allerdings fürchterlich, aber er hat den alten Vater Reineke totgeschossen. Das war eine große Tat.«

      »Frau Häsin«, sagte ich, »ich habe gehört, dass mein Vorgänger auch Schlingen gelegt hat in seinen Kohlgarten.«

      »Was? Schlingen?« Sie tat wieder einen Hopser nach rückwärts. »Schlingen sind eine Gottlosigkeit, daran dürft Ihr gar nicht denken. Aber noch eins! Reineke hat der Weidenbäuerin unten am Bach die beste Henne fortgeholt. Er bringt den ganzen Wald in Verruf, und zuletzt heißt es noch, mein guter Mann hätte es getan.«

      Ich beruhigte die beiden, so gut es gehen wollte.

      Da schnurrte Frau Feldhuhn über den Zaun, trippelte eilig durch den Salat und duckte sich unter die Bohnenstauden.

      »Wie kommt Ihr denn in den Wald, Frau Feldhuhn?«, rief ich erstaunt.

      »Ach, Reineke!«, schluchzte sie ganz verstört, flog auf und schnurrte wieder fort.

      »Da habt Ihr es!«, riefen der Kuckuck und die Häsin mit einer Stimme und machten sich schleunigst aus dem Staube. Ich nahm meine Hacke und ging in die Klause, indem ich mir überlegte, wie dem Unwesen zu steuern sei.

      Zunächst bin ich zur Weidenbäuerin hinübergegangen und habe ihr gesagt, sie solle das lose Brett an ihrem Hühnerstall wieder festnageln. Sie gab mir ein halbes Dutzend Eier für die gute Warnung. Wenn es mehr gewesen wäre, würde ich euch allen jetzt ein gesottenes Ei spendieren, aber so weit reicht der Vorrat nicht.

      Die Kobolde

      Man kann lange im Walde wohnen, ohne alle Leute zu kennen, mit denen man zusammenwohnt. Ich meine nicht bloß das winzig kleine Zeug, das im Grase und Moose haust oder gar in der Erde, all die Würmlein und Käferlein und dazu das Mückenvolk. Ich meine besonders die Heimlichen, von denen nichts in den Büchern steht, weil die Gwlehrten nichts von ihnen wissen und auch nichts von ihnen wissen wollen.

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      Von meinen sieben Zwergen will ich schweigen, die sind schon ziemlich weit bekannt geworden. Auch von dem Elfenvolk wissen die Menschen allerlei. Sie kommen in vielen Gedichten vor. Sie tanzen gern im Mondschein und werden wohl mal vom nächtlichen Wanderer belauscht. Die Feen sind weniger bekannt, sie lassen sich selten sehen. Ebenso geht es mit den Nixen, die im Wasser leben und meist einen Fischschwanz haben. Sie sind sehr scheu.

      Aber am scheuesten und heimlichsten sind die Kobolde, die Neck- und Plagegeister. Sie tun manchem einen Schabernack an, aber sie halten sich verborgen oder verwandeln sich. Sie legen sich gern im Dunkeln über den Weg, sodass man stolpert und auf die Nase fällt. Schaut man nach, so sieht man eine alte Baumwurzel, die dumm und steif daliegt. Dreht man den Rücken, so macht die Baumwurzel eine boshafte Fratze und kriecht sachte in den Boden. Es war nämlich ein Kobold. Ich kenne diese Kobolde jetzt und bin gut Freund mit ihnen. Das ist so gekommen.

      Seit Monaten wohnte ich ungestört in meiner Waldklause weit hinter der Welt. Die Welt kümmerte sich so wenig um mich, wie ich mich um sie kümmerte. Nicht mal die Post und nicht mal die Zeitung kamen in meine Einsamkeit. Da stand plötzlich eines Tages ein Mann mit einer bunten Mütze vor meiner Klause und schaute durch die offene Tür. Es war ein heißer Tag, und ich hielt gerade mein Mittagsschläfchen.

      »Guten Tag«, rief der Mann mit schnarrender Stimme. »Seid Ihr der Waldbruder?«

      Ich erhob mich und sagte: »Das stimmt, guter Mann! Was steht zu Diensten?«

      Er zog ein Papier heraus und zeigte es mir. Es war – ein Steuerzettel. »Ich komme vom Finanzamt«, schnarrte er, »Ihr müsst Steuern zahlen, Waldbruder! Übrigens, wie ist Euer Name?«

      »Ich heiße bloß Waldbruder«, sagte ich, »meinen Namen habe ich abgelegt, der muss irgendwo draußen in der Welt liegen. Wenn Ihr ihn findet, will ich ihn Euch schenken.«

      Er verzog keine Miene und sagte mit steifem Ernst: »Auf Ulk und dergleichen lasse ich mich nicht ein. Ich bin eine öffentliche Person, und ich sage Euch: Steuern müsst Ihr bezahlen. Es hilft Euch nichts.«

      »Was für Steuern?«, fragte ich.

      Er zählte an den Fingern auf: »Einkommenssteuer, Grundsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Hauszinssteuer, Luxussteuer …«

      »Was?«, unterbrach ich ihn. »Luxussteuer? Was ist hier denn Luxus?« Er schaute sich prüfend um, dann schaute er mich durchdringend an und sagte mit Nachdruck: »Der lange Bart.«

      Ich dachte, er sei ein Spaßmacher, und fing an zu lachen. Da wurde er böse und schrie: »Ihr dürft mich nicht auslachen, ich bin eine öffentliche Person. Übrigens kommen nächstens noch mehr Steuern dazu, so die Gesundheitssteuer, die müsst Ihr unbedingt bezahlen, denn Ihr seid unverschämt gesund. Auch das Lachen fällt nächstens unter die Lustbarkeitssteuer, wenigstens, wenn man laut lacht, wie Ihr soeben. Und dann die Rocksteuer, die wird für Euch hoch werden, denn es geht nach Länge. Dann die Zahnsteuer. Ich sehe, Ihr habt Eure Zähne noch so ziemlich alle. Das gibt eine hohe Steuer. Habt Ihr eine Frau?«

      »Nein«, sagte ich, »Gott sei Dank!«

      »Also, Junggesellensteuer, wird mit jedem Jahr höher. Und noch Verschiedenes. Wollt Ihr nun zahlen oder nicht?«

      »Guter Mann«, antwortete ich, »kann ich vielleicht mit Tannenzapfen oder Nüssen bezahlen? Denn Geld habe ich nicht.«

      Da trampelte er mit beiden Beinen vor Wut und schrie: »Habt Ihr nicht vor Kurzem eine neue Glocke gekauft? Gekauft und bezahlt?«

      Ich konnte es nicht leugnen. »Weil ich sie bezahlt habe, gerade darum habe ich kein Geld mehr.«

      Er schrieb etwas in sein Notizbuch und knurrte dann: »Wartet nur, wir wollen Euch schon kriegen. Wir schicken den Gerichtsvollzieher und lassen Euch pfänden.« Damit ging er.

      »In Gottes Namen«, seufzte ich, es war mir doch etwas unbehaglich zumute. Gegen Abend begab ich mich zu dem hohlen Weidenbaum, wo Frau Eule wohnt, um mir Rat zu holen. Als ich klopfte, schaute sie etwas verschlafen aus ihrem Loche und hörte meine Klagen an. Die Sache interessierte sie.

      »Waldbruder«,


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