Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau. Emmy Ball-Hennings

Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau - Emmy Ball-Hennings


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      Irmelin und ich lachten laut auf.

      «Eine nette Ansicht haben die ja da oben», sagte Irmelin, und ganz keck rief sie hinauf:

      «Heda! Meint ihr etwa uns?»

      Die jungen Leute sahen zu uns hinab.

      Ich sah hinauf, und der eine von dort oben sah mich an. Er war mir ja gar nicht so sehr nahe, und doch tauchte sein Blick tief in den meinen, und vielleicht schon in diesem Augenblick war unser beider Schicksal ineinander verschlungen. Es war mein zukünftiger Mann, es war Gaute Londelius, den ich sah und in diesem Hause kennenlernte.

      Wir waren sofort, wie schlagartig von einander — ja — ich kann nicht anders sagen — bezaubert. Es war, als hätten wir seit langem aufeinander gewartet. So unwiderstehlich fühlten wir uns voneinander angezogen, wie zwei Magnete einander anziehen müssen, ob sie wollen oder nicht. Wir flogen einander zu, als triebe uns eine Macht, die weit über unsere Kräfte hinausging.

      Niemals vorher und niemals später habe ich Ähnliches erlebt. Es war jene Verliebtheit auf den ersten Blick, die sich nicht erklären läßt und die auch keiner Erklärung bedarf.

      Die «Goldene Eva» war nichts Biblisches, sondern ein reizendes Lustspiel in Versen. Das Stück spielte etwa im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert. Ich hatte eine Goldschmiedstochter darzustellen, die auf Wunsch ihres Vaters eine Vernunftehe hätte eingehen sollen, schließlich aber eine Liebesheirat durchsetzte. Gaute spielte den verliebten Goldschmiedgesellen Peter, der am Ende die Braut heimführte.

      Gaute sah bildschön aus. Er war groß und schlank, dreiundzwanzig Jahre alt, und in seinem ebenmäßig gebildeten Gesicht, das meistens einen stillen, kühlen Ausdruck hatte, waren seine großen, tiefgrünlich blauen Augen von solch seltsamer Leuchtkraft, wie ich dies sonst nirgends bei Menschen gefunden habe. Die Pupillen hatten bei näherem Hinsehen viele winzig-kleine weiße Pünktchen, die eigentümlich zu strahlen begannen, sobald Gaute lebhaft sprach oder sich sonstwie erregte. Dies war freilich etwas, das ich erst genauer entdeckte, als wir schon verheiratet waren. Gerade weil die Leuchtkraft der Augen nicht immer zu bemerken war, wirkte dieses kleine Wunder um so stärker, da es plötzlich eintrat. Sein nur leicht gebräuntes Gesicht mit dem schon erwähnten kühlen Ausdruck hatte eine ähnliche Verwandlungsfähigkeit wie die Augen. Manchmal war es mir, als bewege sich das Gesicht einer Statue und erwache zu einem Leben, das mich entzückte. Er hatte volles, weiches, schwarzes Haar, das er zurückgestrichen trug, so daß es seine schöne Stirn frei ließ.

      In der Rolle des Goldschmiedgesellen trug er ein bräunliches, sandfarbenes, altdeutsches Kostüm mit ein wenig Grün besetzt, das ihm wie angegossen saß. Ich selbst bekam ein Gretchenkleid, Weiß mit Blau garniert. Der Stoff des Kleides, leichter weißer Kaschmir, war von Seidenblumen durchwoben, silbrig schimmernd. Die gebauschten Ärmel wurden von schmalen, luftblauen Streifen gehalten und in der Mitte jeden Streifens waren kleine Silbersterne angebracht, ebenso an der Tasche, die ich über dem weiten geschürzten Rock trug. Nie zuvor hatte ich ein solch schönes Kleid getragen, und man möge mir gestatten, daß ich es so ausführlich erwähne, was vielleicht nur für mich nötig ist. Es war dies aber mein erstes eigentliches Bühnenkleid, das meine Mutter mir genäht hatte mit ihren lieben, treuen Händen, und ich trug es noch viele Jahre, nachdem sie schon längst nicht mehr da war. Als habe meine Mutter es vorausbedacht, war es überaus dienstbereit und gefällig eingerichtet. Man konnte die Bänder lösen, die Ärmel fielen weit herab, und erhob man nur leicht die Hände, dachte man an Flügel oder an die Sehnsucht nach Schwingen. Dann war es das Kleid der Ophelia.

      Weiß wie eine Ahnung. Einmal war es das Brautkleid der Athenaiis im «Hüttenbesitzer», dann wieder Schneewittchens Mädchengewand. Es war so vielseitig, und obwohl ich dies noch nicht wissen konnte, da ich es an jenem Abend als «goldene Eva» trug, erklärte ich es dennoch von Anfang an als mein Glückskleid, das mich in seiner rührenden Schönheit auf kommende Wunder vorbereiten wollte.

      In diesem Kleide also hörte ich mir die Worte an, die Gaute mir im flüchtigen Spiel sagte. Er hatte als Goldschmied mir für einen Ring das Maß vom Finger zu nehmen, nahm statt eines Fingers die ganze Hand, und Eva und ich bemerkten es kaum. Nur einige Worte fielen mir noch nach Tagen ein.

      «. . . und küß mich beim Schwören,

      Und schwör mir’s beim Küssen:

      Wir beide, wir müssen

      Einander gehören. . . »

      Und dies war Spiel, nur Spiel.

      Wohin sollte es uns führen? Wir dachten wohl beide zunächst nicht daran. Wir gaben uns nur der Freude hin, die das Beisammensein uns bereitete. Gaute war Schriftsetzer an einem Zeitungsverlag. Seine Arbeitsstätte war keine fünf Minuten von der meinen entfernt. Wir konnten uns tagsüber, in der Mittagspause, nur wenige Minuten, aber doch täglich sehen. Er wohnte im Süden der Stadt, in der kleinen Wohnung seiner Mutter, die aber nicht daheim war, sondern als Wirtschafterin in einem fremden Haushalt arbeitete. Von Gaute wußte ich, daß er sich das Frühstück und manchmal auch das Abendessen selbst zubereitete, doch kam von Zeit zu Zeit eine Stundenfrau, um seine Wohnung zu reinigen.

      Nun kam ich eines Sonntagnachmittags in Gautes Behausung, um ihn nach vorheriger Verabredung zu einem Spaziergang abzuholen. Ich klopfte an die Tür, aber nicht Gaute kam öffnen, sondern eine ältere Frau, die ich nach Herrn Londelius fragte:

      «Was wünschen Sie von Herrn Londelius?»

      Ich fand die Frage recht unpassend. Was ich von Gaute wünschte, brauchte ich ihm nicht einmal selber zu sagen, und es verdroß mich ein wenig, von der Stundenfrau so ablehnend gemustert zu werden. Weil Gaute indessen auf die Frau angewiesen war, wollte ich es auch nicht mir ihr verderben, und sagte daher als Ausrede: «Ich habe die Wäsche von Herrn Londelius in Ordnung zu bringen, ich bin nämlich seine Schwester.»

      «So, so. Das ist mir nicht uninteressant zu hören. Ich bin nämlich seine Mutter.»

      O Gott, war das eine Verlegenheit! Ich wußte gar nicht, was ich sagen sollte. Ja, so sei das, dann allerdings. . . Ich konnte doch nicht gut sagen, daß wir ja irgendwie alle Geschwister seien. So weit wagte ich die Verwandtschaft nicht zurückzuverlegen.

      «Schon gut. Kommen Sie nur herein. Gaute kommt gleich. . . »

      Dann wurde ich auf dem Sofa placiert und suchte verzweifelt nach einer Entschuldigung für meine Notlüge, aber es kam kein sterbendes Wörtlein aus mir heraus. Ich sah sie nur an, die Mutter meines Liebsten.

      Endlich sagte sie: «Tja, wenn Gaute Ihr Bruder ist, müßte ja eigentlich ich Ihre Mutter sein. Wie haben wir es denn damit?»

      Ich konnte nur stammeln: «Ach, wenn Sie das wollten.»

      «Genau weiß ich es nicht. Wir werden mal etwas zuwarten, Es eilt wohl nicht. Oder? Etwas hat Gaute mir von Ihnen erzählt. Aber weiß Ihre Mutter, daß Sie hierher kommen?»

      Nein, das wußte meine Mutter ganz und gar nicht, und meine Mutter hätte mir diese Besuche niemals erlaubt. Sie wußte noch gar nichts von Gaute. Es war mein Geheimnis, das mitzuteilen ich mich nicht entschließen konnte. So offen und ehrlich ich auch sonst meiner Mutter gegenüber war, vermochte ich ihr gleichwohl nichts von meinen Beziehungen zu Gaute zu beichten. Es war alles noch so zart und neu, es mußte heimlich bleiben.

      Daher tat es mir auch leid, Gautes Mutter begegnet zu sein. Als er zurückkam, freute er sich, mich zusammen mit seiner Mutter anzutreffen. Er warb für mich bei seiner Mutter. Er wünschte, daß ich ihr gefiel. Sie verabschiedete mich dann auch recht freundlich und ließ ihren Sohn mit mir gehen.

      Kaum aber war ich mit Gaute allein, machte ich ihm Vorwürfe. Er hätte seiner Mutter nichts sagen dürfen.

      «Aber weshalb denn nicht?» fragte er erstaunt. «Einmal wird sie es ja doch erfahren.»

      «Niemals würde sie es erfahren, wenn du geschwiegen hättest. Meine Mutter weiß nichts. Es ist doch unsere Sache, wenn wir uns liebhaben? Was haben unsere Mütter damit zu tun?»

      «Gut. Sprechen


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