Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau. Emmy Ball-Hennings

Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau - Emmy Ball-Hennings


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leise aber unheimlich mit der Konkurrenz, mit der sie zu rechnen habe, wobei ich noch hinzufügte, daß es doch himmeltraurig wäre, wenn die Kinder eine vielleicht schlechte Stiefmutter bekommen würden. Mir war, als könne der Brief nicht lang genug werden, und ich war nach dieser Leistung recht erschöpft. Ich las nochmals das Geschriebene durch, strich das mit der Rivalin weg, und war im übrigen zufrieden. Ich war völlig davon überzeugt, daß der Brief seine Wirkung nicht verfehlen würde, fügte nur noch am Rande mit großen Buchstaben, unterstrichen und mit drei Ausrufungszeichen versehen, hinzu: «Ich will kein Wort umsonst geschrieben haben.» Basta. Bann ging der Brief, eingeschrieben und mit Doppelporto versehen, nach Gumbinnen ab.

      Keine acht Tage später kam Frau Mommsen deund wehmütig angerückt, aber sie brauchte, so denke ich, ihren Mann nicht lange um Verzeihung zu bitten. Er war glücklich, sie wieder zu haben, und ich mußte verzichten.

      Es blieb selbstverständlich nicht ganz aus, daß ich die nähere Bekanntschaft mit Frau Mommsen machte. Mit begreiflicher Verlegenheit dankte sie mir, daß ich in ihrer Abwesenheit so hilfsbereit nach Mann und Kindern gesehen hätte.

      O, das gehörte sich ja unter Nachbarn, sei nicht der Erwähnung wert.

      «O doch», sagte sie. Sie sah mich errötend und leicht lächelnd ein wenig von der Seite an.

      Nach diesem schlief mein Verkehr mit der Familie Mommsen ein bißchen ein.

      Der retuschierte Bürgermeister

      Vielleicht weil ich selbst in bescheidenen Verhältnissen lebte und aufgewachsen war, hatte ich einen besonders stark ausgeprägten Sinn für die Verlegenheiten und Nöte meiner Umgebung. Wohl jeder Mensch neigt dazu, dem Nächsten Gefälligkeiten zu erweisen, wo es gerade nötig ist. Bei mir jedoch führte diese Eigenschaft, die, an sich betrachtet, eine Zierde des menschlichen Wesens ist, zu ganz wunderlichen Übertreibungen. So kam zum Beispiel eines Tages der Bürgermeister der Stadt in unser Atelier, schon ein älterer Mann mit großen, scharfen Gesichtszügen und, was wahrlich nicht zu übersehen war, mit einer beträchtlich großen Warze am linken Nasenflügel. Der Herr Bürgermeister sollte nun zu einem bevorstehenden Dienstjubiläum photographiert werden. Bei der Aufnahme durfte ich assistieren, das heißt, einen Tisch oder einen Stuhl herbeiholen, einen Hintergrund zur Aufnahme beschaffen, meinem Chef die Kassetten mit den Platten reichen und dergleichen.

      Der Herr Bürgermeister hatte seinen Spaß an meiner Dienstbeflissenheit und sagte nebenbei in scherzendem Ton: «Ich hoffe, daß Sie mein Bild recht schön machen, ich hab’s ein bißchen nötig. Das Bild soll in der Zeitung erscheinen, und man muß doch repräsentieren.»

      Daß das Bild des Bürgermeisters in die Zeitung kommen sollte, das hatte bereits etwas außerordentlich Verlockendes, und es stand gleich bei mir fest, daß ich und niemand anders die Platte retuschieren müsse. Gleichsam eine Arbeit von mir öffentlich abgedruckt zu sehen, schwarz auf weiß, was man stolz überall herumzeigen konnte, o ja, das war etwas für mich. Ich mag nur sagen, daß der Bürgermeister nach meiner Retusche sein eigenes Bild nicht wieder erkannte. In meiner Zuvorkommenheit, ihn möglichst «schön» zu machen, hatte ich alle interessanten Merkmale seines Gesichtes, Falten, Doppelkinn, Warze, aufs säuberlichste vertuscht.

      Ich mußte eigens zum Bürgermeister, um diesen vielbeschäftigten Mann nochmals zur Aufnahme zu bewegen. Mit verweintem Gesicht kam ich bei ihm an und klagte ihm mein Mißgeschick. Ein Glück, daß dieser liebe Herr Sinn für Humor hatte.

      Er sah sich das Bild lachend an: «Na, ein Adonis ist ja ein Waisenkind dagegen. Dafür muß ich Ihnen eine ganz feine Tafel Schokolade offerieren. Oder essen Sie vielleicht keine Schokolade?»

      Sogar sehr gerne. O, das war noch ein Vater unserer Stadt! Ich war des Dankes voll, als er mir versprach, nochmals zur Aufnahme zu kommen unter der Bedingung, daß ich meine gefälligen Hände von der Platte lassen wolle.

      Die Verlobung aus Gefälligkeit

      Bevor ich zu einem neuen Lebensabschnitt übergehe, und da ich mich ungern von meiner leichten Mädchenzeit trenne, möchte ich an dieser Stelle die Geschichte meiner Verlegenheitsverlobung einfügen, die so recht zeigt, daß ich vom Wesen der Ehe nicht die blasseste Ahnung hatte. Meine Unwissenheit auf diesem Gebiet war eine vollkommene. Meine Mutter hatte es nicht für nötig befunden, mich auch nur im geringsten aufzuklären, und ich glaube, daß die Unkenntnis der geheimnisvollen und doch wiederum einfachen Vorgänge der menschlichen Natur viel dazu beigetragen hat, mich in Gefahren zu bringen, welche die bedenklichsten Folgen nach sich zogen. Doch will ich nicht vorgreifen, sondern erzählen.

      Also im Atelier Hollesen hatten wir einen Photographen namens Bebenrot, der ein recht netter Kamerad war, mit dem ich mich in freien Minuten gelegentlich über religiöse Fragen unterhielt. Er war ein langaufgeschossener, magerer Mann von etwa vierzig Jahren. In seiner etwas dürftigen, aber stets sauberen Kleidung und seinem höflichen Benehmen war er das, was man für gewöhnlich eine sympathische Erscheinung nennt. Nur seine langsame, fast feierliche Sprechweise, die er auch bei nebensächlichen Dingen anwandte, ermüdete und langweilte leicht. Dagegen war es mir nicht uninteressant, wenn er mir hin und wieder von seinen göttlichen Eingebungen sprach. Von seinen guten Beziehungen zum lieben Gott hörte ich sehr gern. Er war nicht sonderlich gesund. Er hatte, wenn ich mich nicht irre, ein Leberleiden, das recht schmerzhaft und störend war. Es wäre ihm jedoch nie eingefallen, irgendein Mittel gegen seine Schmerzen zu nehmen. Er sprach von seinen Schmerzen mit der gleichen Behutsamkeit wie von seinen Freunden. Nicht nur die Freuden, sondern auch die Schmerzen schienen seine Schwestern zu sein. Dies wollte ich mir allenfalls merken für vorkommende Fälle. Was mir ferner noch an Herrn Bebenrot imponierte, war, daß er niemals einen Arzt zu Rate zog und nie genau sein eigentliches Leiden zu wissen begehrte. Er war eine besondere Art von Kreuzträger.

      Dennoch war er kein Kopfhänger. Meine Kameradinnen, Irmelin und Lena, ein paar Jahre älter als ich, waren beide vergnügte junge Mädchen. Wir drei konnten über ein Nichts lachen. Es genügte, daß das Kätzchen seine kleine Pfote vorsichtig ins Tonbad steckte, um sich enttäuscht abzuwenden, weil es keine Milch war, oder irgendeine Kundin hatte zuviel Kunstblumen auf dem Hut, kurzum, wir hatten viel Grund zu lachen. Und dann lachte auch Herr Bebenrot mit.

      Er hatte eine lungenkranke Schwester im Sanatorium, für die er in der rührendsten Weise sorgte. Er wünschte diese Schwester durch die Macht des Gebetes zu heilen. Leider wurde die Schwester immer mehr krank, worüber der gute Bebenrot sich sehr wunderte. Er meinte, der liebe Gott könne gekränkt sein, weil seine Schwester unter ärztlicher Aufsicht stand. Immer wieder versuchte ich, ihn über diesen Punkt zu beruhigen.

      Der liebe Gott hätte auch die Ärzte erschaffen, meinte ich. Mehr noch, der Arzt, der Mann der Wissenschaft, sei sogar ein Liebling Gottes, weil er doch seine ganze Kraft, sein Studium und sich selbst in den Dienst der leidenden Menschheit gestellt habe. Ich wußte aus den Arbeiterkreisen manche Beispiele anzuführen für die schöne Opferbereitschaft, für die Selbstlosigkeit, für die Menschenliebe des Arztes. Es gelang mir zwar nicht, Bebenrot hiervon zu überzeugen, aber es tat ihm dennoch wohl, von mir zu hören, daß der Arzt doch helfen will und sehr oft helfen kann, das Leben zu erhalten. Freilich, einmal müsse man ja sterben, ob nun etwas früher oder später. Dann nickte Herr Bebenrot tiefsinnig, mit dem ganzen Kopf nickte er. Und ich begann wieder einen leichten Ton anzuschlagen und sprach vom möglichst späten Sterben. Herr Bebenrot lächelte mir dann liebreich zu. Er mochte mich gern, und ich ihn auch.

      Seine Mutter war eine sehr liebe Frau, die mich und meine Freundinnen aus dem Atelier an schönen Sonntagnachmittagen manchmal zu sich einlud. Wir bekamen dann jedesmal prachtvollen Kuchen zum Kaffee, und nachher gingen wir meistens zu fünft in den Garten, wo wir Volkslieder sangen, was Frau Bebenrot und ihrem Sohn besonders gut gefiel.

      Eines Sonntags ergab es sich, daß ich mit Frau Bebenrot einige Minuten allein in der Wohnung blieb, da meine Freundinnen, Karen und Marie, sich mit Herrn Bebenrot schon in den Garten begeben hatten. Da bat Frau Bebenrot mich, doch noch ein wenig Platz zu nehmen, es gefiele ihr, mal mit mir allein zu plaudern. Sie fragte dann, so wie nebenbei, wie es meiner Mutter ginge, und wann und woran mein Vater gestorben sei, und welchen Beruf


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